4. Stichwort Bildungskanon: Wenn jeder lernt, was er will, wann er will und wo er will, bleibt das Curriculum dann nicht auf der Strecke?
Heusinger: So ganz lässt es sich nicht umsetzen, dass jeder lernt, was er will und wann er will und wo er will und dies wäre auch nicht sinnvoll. Bestimmte Kompetenzen müssen erworben werden, um Lernende dazu zu befähigen, am gesellschaftlichen sowie nach Schulabschluss am beruflichen Leben teilzuhaben. Man kann jedoch Lehr-Lern-Prozesse individualisieren und schülerzentriert gestalten, sodass Frust verringert und Motivation für die Auseinandersetzung mit Lerninhalten gesteigert wird. Es muss nicht jeder zur gleichen Zeit in gleicher Form an den gleichen Aufgaben arbeiten, aber gemeinsame Ziele sollten erreicht werden.
5. Stichwort Qualitätssicherung: Woran lassen sich gute Lehr- und Lernmaterialien erkennen?
Heusinger: Für meine Arbeitsweise wäre es wichtig, dass sie auch digital verfügbar sind, man sie verändern oder aktualisieren kann und sie modular aufgebaut sind, sodass ein flexibler Einsatz möglich ist. Des Weiteren wäre mir wichtig, dass es differenzierte Lernangebote gibt, die individuelle Förderung der Lernenden ermöglichen. Darüber hinaus sollte die Möglichkeit der Selbstevaluation gegeben sein. Und natürlich dürfen sie keine sachlichen Fehler enthalten.
Muuß-Merholz: Ich beobachte zunehmend, dass Qualität keine abstrakte Eigenschaft ist, sondern über das Auge des Betrachters und über die Situation, in der das Material eingesetzt wird, definiert wird. Das gilt nicht nur bei „weichen“ Themen. Nehmen wir ein Beispiel aus der Naturwissenschaft: Dasselbe Material zum Thema „Vermehrung von Mücken“ wird von einer Grundschullehrerin ganz anders beurteilt werden als von einem Hochschulprofessor, einem Verbraucherschützer oder von einem Tierschützer. Und genau da wird OER spannend! Denn da kann ich ein Material an genau meine Bedürfnisse oder an die Situation meiner Lernenden anpassen.