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Kalte Dusche für kostenlose MOOCs

Junge Frau arbeitet auf dem Tablet
Foto: iStock/ Wavebreakmedia
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Im Juni meldete die größte deutsche MOOC-Plattform Iversity Insolvenz an. Damit bekam die Idee der kostenlosen und frei zugänglichen Hochschulbildung mittels massive open online courses (MOOCs) hierzulande eine kalte Dusche. Zwar ist Iversity längst nicht die einzige Onlineplattform im Land für hochwertige und gebührenfreie MOOCs. Die Insolvenz des jungen Start-ups spielt aber Kritikern in die Hände, die MOOCs seit Jahren als einen aus Stanford und Harvard rüber geschwappten Hype abtun, den man sowieso nicht brauche.

Dabei lässt sich die agile MOOC-Szene in Deutschland bei weitem nicht in das Bild des einen kommerziellen Plattformanbieters quetschen, der nun gescheitert ist. Viele Hochschulen gehen eigene Wege bei der Verbreitung ihrer MOOCs. Mehr noch: Den meisten Produzenten an deutschen Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen ist längst klar, dass eine gebührenfreie MOOC-Plattform scheitern muss, wenn sie nicht ein wirklich innovatives Geschäftsmodell ausklügelt.

Für diese Erkenntnis reicht der Blick über den Atlantik, wo sich die großen MOOC-Plattformen edX, Coursera und Udacity bereits von ihren komplett kostenfreien Angeboten verabschieden. Dabei habe man in den USA erst mal zig Millionen, wenn nicht sogar hunderte Millionen Dollar Venturecapital zum Verbrennen, sagt Jörn Loviscach, der für Udacity einen MOOC konzipierte und in Deutschland mit seinen Mathematik-Erklärvideos unter Studenten ein YouTube-Star ist. Wenn die US-Plattformen Geld verdienen, so Loviscach, dann nicht mehr mit MOOCs im klassischen Sinne: „Sie nehmen von den Teilnehmern Geld, so wie Udacity das macht mit 200 Dollar im Monat; das ist nicht mehr offen.“ Man habe ohne Bezahlung zwar noch Zugang zu den Materialien, aber das sei im wahrsten Sinne die Version für arme Leute. EdX und Coursera strebten in dieselbe Richtung, erklärt Loviscach weiter, der an der Fachhochschule Bielefeld Ingenieurmathematik und technische Informatik lehrt und seine MOOCs nebenberuflich produziert. Sein Fazit: „Es sind viele Monetarisierungsmodelle ausprobiert worden, aber ein Modell, in dem man als Anwender alles geschenkt bekommt, scheint es nicht zu geben.“

Robin Hood als Vorbild

MOOC-Pionier Loviscach: „Die Plattformen sind nicht mehr offen.“
Jörn Loviscach
Jörn Loviscach (Foto: Dominik Asbach)
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MOOC-Plattformen als Hauptgeschäftsmodell lassen sich nur schwierig realisieren, wenn es wirklich offen sein soll, das sagt auch Claudia Bremer, Expertin für E-Learning und digitale Medien in Bildungsprozessen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main: „Was besser funktioniert ist, dass man das nebenher macht und ein wenig die Robin-Hood-Variante lebt: Man nimmt Ressourcen für Aufbau und Betreiben der Plattform aus einem anderen Geschäftsbereich heraus, lässt das also nebenherlaufen.“

Genau das tun die Betreiber von mooin.oncampus.de, eine offene Lernplattform der Fachhochschule Lübeck und ihrer Tochter oncampus. Mooin bietet kostenfrei eigen- und fremdproduzierte MOOCs an, wobei der eigentlich Clou ist, dass die ganze Plattform als „open source“ ganz einfach kopiert werden kann, was auch passiert. Zugpferd der Lübecker Aktivitäten ist Rolf Granow, Professor für Maschinenbau und Wirtschaft: „Wir realisieren hier genau das umgekehrte Iversity-Modell. Iversity hat etwas entwickelt, was kostenfrei nutzbar war, und diese Plattform dann später für kostenpflichtige Angebote genommen. Wir stellen das, was wir entwickelt haben und ohnehin betreiben, kostenfrei zur Mitnutzung bereit.“ Die Infrastruktur der Plattform mooin ist damit ein Ableger der sonstigen digitalen Lehrangebote von FH Lübeck und oncampus, was aber keinesfalls heißt, dass mooin nicht innovativ weiterentwickelt wird. Rolf Granow: „Unsere MOOC-Plattform ist so etwas wie ein Showcase, in dem wir Innovationen erproben können, was hier einfacher ist als im Kontext der vielen Online-Studiengänge und Hochschulen, mit denen wir kooperieren.“ In Wirklichkeit wisse man immer noch nicht, was MOOCs eigentlich sind und was man mit ihnen machen kann. „Wir brauchten eine Umgebung, in der wir dieses Format der offenen Kurse systematisch erforschen, entwickeln und zu innovativen Lösungen erarbeiten können“, so der E-Learningexperte weiter. Die bestehenden Plattformen, bei denen man nicht habe eingreifen können, waren Rolf Granow und seinem Team zu eng: „Wir haben ja auch auf Iversity begonnen mit unserem ersten MOOC; wir konnten da aber unsere didaktischen Szenarien nicht erproben, so wie wir uns das vorgestellt haben. Und deshalb haben wir aus unserer Infrastruktur unsere eigene Lösung bereitgestellt.“

Das Lübecker-Modell könnte sich als nachhaltig erweisen, Zulauf und Zuspruch sind groß. Während mooin die komplett kostenfreie Linie beibehält – vielleicht auch, weil öffentliche Förderung im Hintergrund vorhanden ist –, gehen viele andere Hochschulen bei der wissenschaftlichen Weiterbildung ihrer MOOCs Richtung Bezahlkurse, wie Claudia Bremer beobachtet hat: „Ich denke, da liegt das größere Interesse, etwas aufzubauen.“

In München verdient man Geld

„Gute Konditionen“: Die TU München kooperiert mit großen US-amerikanischen Plattformen
Haupteingang der TU München
Foto: Uli Benz/ TUM
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Geld wird mit MOOCs auch schon verdient, wie Hans Pongratz berichtet, geschäftsführender Vizepräsident für IT-Systeme und Dienstleistungen an der TU München. Seine Universität betreibt Kooperationsverträge mit den US-amerikanischen Plattformen edX und Coursera, wo bereits einige MOOCs der TU München mit mehr als 20.000 Teilnehmern laufen und „Mittelrückflüsse“ generieren. Teilnehmer können sich beispielsweise gegen eine Gebühr von 49 Dollar ein Zertifikat ausstellen lassen, was viele auch tun, die Hälfte davon fließe zur TU München. Bekanntlich verlangen die US-Plattformen hohe Gebühren für das Bereitstellen der Fremd-MOOCs, Hans Pongratz spricht „von guten Konditionen“ für die TU München, da sie schon in den Anfängen der Plattformen früh mit dabei gewesen sei.

Aktuell experimentiere die TU München auch mit den MOOCs nachgelagerten Serviceangeboten, erzählt Pongratz weiter. Eine Idee: Wer einen Kurs bestanden hat, kann anschließend gegen Bezahlung noch einen mehrtägigen Präsenzkurs besuchen und ein weiteres Zertifikat erwerben, wobei dieser Kurs dann nicht digital stattfindet, sondern auf dem Campus in München. 

Hans Pongratz glaubt, dass man sich in Deutschland zwar mit der Technologie für MOOCs und andere digitale Lernformate beschäftigen muss, dass es aber auch sinnvoll sei, weltweit zu schauen, wo es schon gute Entwicklungscommunitys für diese Technologien gibt. Moodle beispielsweise sei im Bereich Learning-Managementsysteme mit mehr als 70.000 Installationen eine riesige Entwicklercommunity, mit deren Hilfe man gut auch deutsche Installationen aufbauen könne. Auch die Lübecker Plattform mooin nutzt Moodle.

 

Rohmodell für die digitale Lernwelt

Jörn Loviscach, den MOOC-Pionier aus Bielefeld, zieht es ebenfalls Richtung open source: „Für einen meiner nächsten Kurse überlege ich, schlicht und ergreifend Open edX – die Software der edX-Plattform gibt es ja frei – auf meinen Webspace zu spielen und zu sagen: Das ist meine MOOC-Plattform.“ Denn das Einzige, was die MOOC-Plattformen – wenn sie gratis seien – noch liefern könnten, sei die Kontaktliste, so Loviscach: „Man bekommt den Kontakt zu den Leuten, die sich dort eingetragen haben, sodass man sie anmailen kann, um für einen neuen Kurs zu werben.“ Die Werbung sei durchaus schwierig, erklärt Loviscach, gerade wenn man nicht zu den Pionieren gehöre und sich noch keinen großen Namen machen konnte: „Um zum Beispiel bei Facebook auch nur eine Reichweite zu bekommen, die über 10.000 hinausgeht, muss ich bezahlen. MOOC-Plattformen können Reichweite liefern. Aber alles andere können wir auch selbst machen.“

Wo sich die MOOC-Szene in Deutschland – ob nun mit großen MOOC-Plattformen oder ohne – hin entwickeln wird, ist offen. Viele sehen das Format sowieso nur als eine Art Rohmodell in der großen Entwicklung hin zur digitalen Lernwelt. Geschäftsmodelle für MOOCs werden in einem öffentlich finanzierten, föderalen Bildungssystem anders aussehen müssen als in den USA – so viel steht fest. Darin liege jetzt genau die Chance in Deutschland, glaubt Rolf Granow, dass die deutsche MOOC-Szene mit intelligenten Kollaborationsmodellen eine höhere Innovationsgeschwindigkeit erreiche und möglichst viele zum Mitmachen animiere. 

Derselben Meinung ist Christoph Meinel, Direktor des Hasso-Plattner-Instituts (HPI), das mit OpenHPI.de ebenfalls eine erfolgreiche deutsche MOOC-Plattform betreibt: „Noch zu wenige Hochschulen nutzen die Möglichkeit, über MOOCs aktuelles Wissen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich sehe aber die Universitäten in der Pflicht, Online-Bildung stärker zu fördern.“ Die Infrastruktur für diese Angebote an US-amerikanische Anbieter auszulagern, biete auf Dauer keine Lösung, so Meinel: Zum einen erreichten digitale Bildungsangebote Talente auf der ganzen Welt, die man zur Stärkung des Standortes brauche und dringend ins eigene Land holen müsse. Zum anderen gebe es in den USA einen anderen Umgang mit Nutzerdaten als in Deutschland. 

„Ich sehe die Universitäten in der Pflicht, Online-Bildung stärker zu fördern.“

Christoph Meinel
Christoph Meinel (Foto: HPI / Kay Herschelmann)
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Christoph Meinel

Braucht es die große deutsche MOOC-Plattform?

Braucht es vielleicht doch noch die eine große deutsche MOOC-Plattform, die es anderswo in Europa gibt? Eine Frage, die im Hochschulforum Digitalisierung bereits von Experten diskutiert wurde, wie Sebastian Horndasch berichtet, Programmmanager beim Stifterverband und im Hochschulforum Koordinator der Themengruppe „Neue Geschäftsmodelle, Technologien und Lebenslanges Lernen“: „Wenn man nach Frankreich schaut, genauer gesagt auf die Universieté Numerique, gibt es dort mit der Plattform www.fun-mooc.fr eine staatlich festgelegte Stelle, wo alle Hochschulen ihre Kurse einstellen müssen.“ Diese Plattform sei dementsprechend gut bestückt, ihr fehle es aber an internationaler Reichweite, da die Kurse in Französisch produziert sind und nicht in Englisch. Plattformen wie diese könnten schon als ein Gegenmodell zu den großen US-Plattformen gesehen werden, so Horndasch. Natürlich sei die Insolvenz von Iversity sehr bedauerlich, weil diese Plattform auch international und auf europäischer Ebene als eine der großen deutschen MOOC-Plattformen gesehen wurde. „Wir denken, dass es sinnvoll ist, einen deutschen oder europäischen Anbieter zu haben, der die Bedürfnisse von deutschen Hochschulen auch auf kultureller Ebene versteht, wie beispielsweise unser Verständnis von Datenschutz, das sich ja massiv vom US-amerikanischen Verständnis unterscheidet.“

Sönke Knutzen, Vizepräsident für Lehre an der Technischen Universität Hamburg, sieht die deutschen MOOC-Plattformen im für das Internet so typischen Strudel: „The winner takes ist all“, der Markt werde von den großen US-amerikanischen Plattformen gut abgedeckt, während sich auf dem deutschen Markt ein paar kleinere Player eine Nische suchten: „Es stellt sich aus meiner Sicht eher die Frage, wie sich der Hochschulbereich insgesamt durch die digitalen Entwicklungen weiter verändert, wobei ich die MOOCs hier als den ersten Weckruf sehe.“ Die Veränderungen, die man in den nächsten Jahren sehen werde, seien höchstwahrscheinlich viel tiefgreifender. Knutzen nennt die Globalisierung und Kommerzialisierung der Bildung als Beispiel, das Entstehen von kleinteiligen Qualifizierungsangeboten, wie Mikro-Degrees oder Bagdes, das extreme Wachstum an verfügbaren Informationen im Internet. „Diese Entwicklungen setzen die kleinen Universitäten in den USA schon jetzt unter Druck und all das wird die Hochschullandschaft verändern. Und man täte gut daran, die Weichen schon jetzt zu stellen, denn die Hoffnung, das alles so bleibt, wie es war, wird sich vermutlich nicht erfüllen.“ Insbesondere die Deutschen hätten an dieser Stelle viel zu verlieren: nichts weniger als den freien Zugang zu Bildung.

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