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Hack Your Campus

(Foto: Impact Hub Berlin GmbH, [CC BY-ND 4.0](https://creativecommons.org/licenses/by-nd/4.0/deed.de)
(Foto: Impact Hub Berlin GmbH, [CC BY-ND 4.0](https://creativecommons.org/licenses/by-nd/4.0/deed.de)
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Sebastian Thrun, Professor an der Stanford University, wagte im Jahr 2011 ein Experiment: Er bot seine Lehrveranstaltung „Einführung in die künstliche Intelligenz“ als Massen-Online-Kurs, auf Englisch Massive Open Online Course, kurz MOOC, an. 160.000 Teilnehmer meldeten sich an, 23.000 absolvierten ein Onlineabschlussexamen – mehr, als an der Eliteuniversität eingeschrieben waren. Thruns Vorstoß ist ein Erfolgsbeispiel für die Digitalisierung der Hochschulen. Aber obwohl der Wissenschaftler in Deutschland studiert und promoviert hat, sieht Lehre in Deutschland noch ganz anders aus, bestätigt auch Mehdi Andre Bappert. „Ich war mal mit drei Freunden in einer Physikvorlesung. Da waren viele Zuhörer mit ihren Handys beschäftigt, während der Professor vorne eine One-Man-Show geliefert hat.“ Der Student im Fach Software Engineering an der Berliner CODE Universtiy of Applied Science kritisiert, dass die klassische Lehre Studierende zur Passivität zwingt. Stattdessen könnten sie auch – wie an seiner Hochschule üblich – in Projekten arbeiten, in denen sie das Gelernte auf konkrete Problemstellungen anwenden, innovative und vielleicht auch unternehmerische Ideen entwickeln. „Aber dafür gibt es im Normalfall leider keine Creditpoints.“

Ein Grund für Bappert, seine Ideen zur Umgestaltung der Hochschullehre bei der Themenwoche „Shaping the Digital Turn“ im September 2018 in Berlin zu äußern. Das Hochschulforum Digitalisierung (HFD), eine Initiative des Stifterverbandes, des CHE Centrums für Hochschulentwicklung und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), hatte zu der Veranstaltung Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen eingeladen. Sie alle machen sich stark für den digitalen Wandel und kamen in verschiedenen Teilveranstaltungen zusammen, um in interdisziplinären Teams ihre Visionen zu entwickeln.

„Die klassische Lehre zwingt Studierende zur Passivität. “

Mehdi Andre Bappert (Foto: Kay Herschelmann)
Mehdi Andre Bappert (Foto: Kay Herschelmann)
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Mehdi Andre Bappert
Student im Fach Software Engineering an der Berliner CODE Universtiy

Wie wird Hochschule 2030 aussehen?

Zum Beispiel beim Hackathon „#HackYourCampus“ vom 21. bis zum 23. September im Impact Hub Berlin. Hier beschäftigten sich 30 Studierende mit der Frage: Wie wird die Hochschule im Jahr 2030 aussehen? „Die ITler waren überrascht, dass hier nicht 24 Stunden durchgecoded wurde“, erzählt Teilnehmerin Alexa Böckel, die gerade an der Leuphana Universität Lüneburg ihren Master im Fach Nachhaltigkeitswissenschaft macht. Klassische Hackathons sind dazu da, zu einer konkreten Fragestellung in kurzer Zeit technische Lösungen zu produzieren. Bei „#HackYourCampus“ war der Ansatz ein anderer: Auf Basis von Design-Thinking definierten die Teilnehmer sogenannte Pain-Points, Missstände, die sie im Unialltag besonders stören, und bildeten Teams, um kreative, zum Teil auch technische Lösungen zu entwickeln. Das Ergebnis waren Visionen, Konzepte und Prototypen für einen Campus, der Future Skills, branchenübergreifende, berufsrelevante Kompetenzen, unterstützt und fördert.

Alexa Böckel hatte schon einige Vorerfahrung: Im Rahmen einer Stelle an der Hochschule nach ihrem Bachelorabschluss hatte sie die Aufgabe, die Arbeitsgruppe eines Professors zu digitalisieren und zu diesem Zweck das Konzept für ein soziales Netzwerk zu entwickeln. „Viele Hochschulen arbeiten an der Digitalisierung, aber die Studierenden werden dabei nicht gefragt“, kritisiert die 25-Jährige. „Dabei sind sie, was dieses Thema betrifft, oft viel smarter und erfahrener.“ Das Thema ihres Teams beim Hackathon war eine Onlineplattform, auf der gescheiterte Forschungsprojekte veröffentlicht werden. „Wissenschaft ist ein harter Wettbewerb und es gibt keine Belohnung für das Weitergeben von Fehlern“, meint Alexa Böckel. Dabei wären gerade die gescheiterten Forschungsansätze sehr nützlich für Nachahmer, die es besser machen wollen.

„Viele Hochschulen arbeiten an der Digitalisierung, aber die Studierenden werden dabei nicht gefragt. Dabei sind sie, was dieses Thema betrifft, oft viel smarter und erfahrener.“

Alexa Böckel (Foto: Impact Hub Berlin GmbH, [CC BY-ND 4.0](https://creativecommons.org/licenses/by-nd/4.0/deed.de)
Alexa Böckel (Foto: Impact Hub Berlin GmbH, [CC BY-ND 4.0](https://creativecommons.org/licenses/by-nd/4.0/deed.de)
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Alexa Böckel
Studierende im Fach Nachhaltigkeitswissenschaft an der Leuphana Universität Lüneburg

Studierende schaffen digitale Werkzeuge für die Professoren

Foto: David Ausserhofer
Foto: David Ausserhofer
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Studierende haben nicht nur innovative Ideen, sondern sie gestalten bereits den digitalen Bildungsmarkt mit. Das beweisen erfolgreiche Gründer, die bei der Themenwoche „Shaping the Digital Turn“ ihre Unternehmen vorstellten. Zum Beispiel Jonas Kölzer, Promotionsstudent im Fach Physik an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH Aachen) und Mitgründer von Polarstern Education. Sein kleines Unternehmen entstand durch die Initiative eines Aachener Professors, der seine Vorlesung in eine digitale Form bringen wollte. Kölzer und zwei Mitstreiter übernahmen die Umsetzung in je siebenminütige Onlinevideokurse. Mit deren Hilfe können die Studierenden den Stoff zu Hause erarbeiten, Aufgaben und Fallstudien lösen. Die Präsenzveranstaltungen in der Uni mit dem Professor sind zur Diskussion da. Und das Feedback der Studierenden gibt wiederum dem Lehrenden die Möglichkeit, seine Onlinekurse zu verbessern. Polarstern Education möchte dieses Konzept bekannt machen und bietet sich als Dienstleister an. „Für einen Onlinekurs reicht es nicht, eine Kamera in den Hörsaal zu stellen. Professoren, die das gern umsetzen möchten, müssten sich mit ziemlich vielen Dingen beschäftigen, für die sie eigentlich keine Zeit haben“, sagt Jonas Kölzer. Der 26-Jährige hingegen hat bereits Erfahrung mit Konzeption und Videoproduktion. Die Umsetzung einer Vorlesung als MOOC wickelt das Team von Polarstern Education in 90 Tagen ab.

Die Digitalisierung der Lehre ist nicht der einzige Bereich, in dem Hochschulen auf externe Dienstleister angewiesen sind. Ein weiteres Feld ist das Thema Informationsfluss und Vernetzung, das Kernthema von Alexa Böckel. Weil es keine hochschuleigenen Angebote gebe, erklärt sie, müssten Fachschaften und Studenten auf etablierte Plattformen wie Facebook zurückgreifen. Dies sei aber rechtlich nicht sauber, weil dazu sensible, persönliche Daten auf amerikanischen Servern gespeichert werden. Und das ist nicht im Sinne der europäischen Datenschutzgrundverordnung. „Für viele Studierende ist das eine ethische Frage“, berichtet sie aus ihrem Umfeld. „Aber es gibt keine Alternative, wenn man nicht abgeschnitten sein will.“ Deshalb hat Alexa Böckel neben dem Hackathon auch die Kick-off-Veranstaltung der Digital Changemakers besucht. Diese Gruppe von zwölf Studierenden hat es sich zum Ziel gesetzt, ihre Projekte langfristig zu verfolgen. Alexa Böckel wird sich mit drei anderen Teilnehmern um eine Bedarfsermittlung zu studentischer Kommunikation kümmern, um Fragen wie: Welche Aktivitäten im Studium sind wichtig und welche Tools werden zurzeit genutzt, um sie zu unterstützen? Am Ende des Projekts könnte eine Idee für eine Kommunikationsplattform der Hochschulen stehen.

„Für einen Onlinekurs reicht es nicht, eine Kamera in den Hörsaal zu stellen. “

Jonas Kölzer (Foto: David Ausserhofer)
Jonas Kölzer (Foto: David Ausserhofer)
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Jonas Kölzer
Promotionsstudent im Fach Physik an der RWTH Aachen und Mitgründer von Polarstern Education

Knackpunkt Finanzierung

Eine ungeklärte Frage ist dabei wie so oft die Finanzierung. Dienstleister für digitale Bildung sind zwar vorhanden, aber sie haben es schwer. Christian Felgenhauer zum Beispiel hat vor eineinhalb Jahren mit drei Mitstreitern die Onlineplattform „StudySmarter“ an den Start gebracht. Hier können Studierende Skripte von Vorlesungen hochladen. Ein Algorithmus produziert dann Mindmaps zu den Inhalten oder erstellt aus elektronischen Unterstreichungen im Dokument automatische Zusammenfassungen. Gleichzeitig werden alle Studierenden, die an einem Skript arbeiten, miteinander vernetzt. Während StudySmarter so ein nützliches Tool zur Prüfungsvorbereitung anbietet, stellt es auch für Professoren interessante Daten zur Verfügung: Wie arbeiten die Studierenden mit den Skripten? Wo gibt es offene Punkte und Verständnisprobleme? Für diesen Service bezahlen möchte im Umfeld der Hochschulen allerdings niemand. Der 22-jährige Gründer muss sein Angebot quer finanzieren, indem er es Unternehmen zur Mitarbeiterschulung anbietet oder ihnen aus dem Pool seiner Nutzer die Vermittlung von Praktikanten anbietet. Von den Hochschulen wünscht sich Felgenhauer, dass sie experimentierfreudiger wären: „Der Erfolg digitaler Bildung hängt davon ab, dass Hochschulen besser mit privatwirtschaftlichen Akteuren zusammenarbeiten.“

Das Hochschulforum Digitalisierung

Das Hochschulforum Digitalisierung (HFD) orchestriert den Diskurs zur Hochschulbildung im digitalen Zeitalter. Als zentraler Impulsgeber informiert, berät und vernetzt es seit 2014 Akteure aus Hochschulen, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei stehen vor allem drei Ziele im Vordergrund: (1) Umsetzung von Hochschulstrategien (2) Kompetenzaufbau in der Lehre und (3) Kompetenzaufbau in der Lehre.

Das HFD ist eine gemeinsame Initiative des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft mit dem CHE Centrum für Hochschulentwicklung und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Gefördert wird es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

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