Doch zurück zum Chatbot-Vorhaben in Lübeck und Tübingen. Bis die emotional intelligente Lernassistentin oder Lernfreundin tatsächlich mit Studierenden oder Studieninteressierten chattet, werden noch ein paar Jahre vergehen. Bislang ist alles eher Zukunftsmusik. Auch „Melinda“ ist erst ein Namensentwurf. Eine große Vision hat das Team aber bereits: Was der Chatbot an wichtigen Informationen anvertraut bekommt, soll auch dazu dienen, die Dozierenden über den mentalen Zustand ihrer Studierenden aufzuklären: „Wenn wir wissen, welche Vorlesung gar nicht funktioniert hat, welcher Lernstoff auf Moodle für viele unverständlich war, welche Klausur den Leuten richtig Stress macht, vielleicht auch bloß, weil parallel noch zu viele andere Prüfungen laufen, dann sollten die entsprechenden Professoren und Dozenten das ruhig erfahren“, so Amir Amir Madany Mamlouk. Letztlich gehe es darum, vor allem die sehr schwierigen Studiengänge überhaupt studierbar zu machen.
Informatiker Amir Madany Mamlouk und Oberärztin Herrmann-Werner sehen einen wachsenden Bedarf an solchen digitalen Lehrwerkzeugen – eben weil die Digitalisierung voranschreitet und ganz neue Unterschützungsservices ermöglicht. Zwei Szenarien zeichnen sich für höhere Bildung im digitalen Zeitalter schon ab: Das Angebot an Onlinekursen, in denen Lernende nur wenig bis gar keinen direkten Kontakt zu Dozenten und Tutoren bekommen, wird wachsen. Vorboten sind die Massiv Open Online Courses (MOOCs) – reine Onlineangebote, die teils Tausende Lernende anziehen, aber bloß von einer Handvoll Lernassistenten betreut werden. Was nicht zuletzt daran liegt, dass die MOOCs gewollt kostenfrei sind.
Ein weiteres Szenario betrifft die Präsenzlehre an Hochschulen, wo zukünftig immer mehr Online- beziehungsweise Blended-Learning-Formate den Frontalunterricht ergänzen oder ablösen. Dozenten stellen bei diesen neuen Formaten Lerninhalte digital bereit, damit Studierende sie autonom zu Hause büffeln können. Im Hörsaal wird der Stoff anschließend vertieft und gefestigt, was im Idealfall im persönlichen Austausch mit den Dozierenden passiert, die das Lernen coachen.
Was vielversprechend klingt, hat einen Haken: Studierende schaffen das autonome Lernen zu Hause – oder auch nicht. Wenn Probleme auftauchen, vielleicht deshalb, weil der Lernende Inhalte nicht findet oder am technischen Zugang scheitert, ist er damit auf sich gestellt. Das kann frustrieren, gerade wenn viel Lernstoff in kurzer Zeit bewältigt werden muss und der direkte Kontakt zu Lehrkräften, Tutoren oder Kommilitonen in diesem Moment nicht klappt. Ein Chatbot könnte in solchen Fällen einspringen und zumindest die ersten Wogen glätten, denn er ist immer erreichbar.
Reihenweise abgehängte Studierende im digitalen Zeitalter – trotz wohldurchdachter Lernformate mit hohem Lernpotenzial? Das ist wohl eine Hürde, die zukünftige Lernangebote noch nehmen müssen, glaubt Amir Madany.