Ist das nicht erstaunlich angesichts der vielen E-Learning-Fördermaßnahmen seit den 1990er-Jahren? Damals sprach man von der Virtuellen Hochschule und übertrug Vorlesungen an mehrere Standorte in einem Bundesland. Später wurde das Programm „Neue Medien in der Bildung“ mit viel Geld ausgestattet und strebte eine „dauerhafte und breite Integration“ in die Studiengänge an. Parallel dazu entstanden E-Learning-Einrichtungen an den Hochschulen sowie gebündelt als Landesinitiative wie zum Beispiel der Virtuelle Campus Rheinland-Pfalz (VCRP). Die Bilanz des E-Learnings ist jedoch ernüchternd. Das wird gerade durch die Corona-Krise deutlich. Es fehlt an digitalen Inhalten, Methoden und didaktischen Formaten, um nun flächendeckend Lehre durchführen zu können. Darum kann es jetzt auch nur um ein „Notprogramm“ gehen, mit dem die Zeit, bis der Lehrbetrieb wieder aufgenommen wird, überbrückt wird.
Aber auch bei den Fernlehreinrichtungen stagnierte die Entwicklung seit dem Aufkommen von E-Learning. Sprach man in den 1980er-Jahren noch vom „Betriebssystem FernUniversität“ mit mehreren Funktionskomponenten, die von einer integrierenden Organisation zusammengehalten und gesteuert wurden, so wurde ab Mitte der 2000er-Jahre das Lernen von einer Webplattform gemanaged. Diese Learning-Management-Systeme (LMS) wurden sehr populär - an allen Hochschulen gleichermaßen -, weil sie sehr viele Funktionen unter einem Dach anbieten. Damit wurde der Weg frei für ein neues Standardmodell der Lehre, das Online- und Präsenzphasen miteinander mischt: Blended Learning. Es gibt verschiedene Modelle, wie die Phasen miteinander verschränkt werden können, etwa das umgedrehte Klassenzimmer. Inwieweit dadurch Lehre tatsächlich verändert und innoviert wird oder nur digital fortgeführt wird, was sich im analogen Raum bewährt hat, ist eine Frage, die ich in der vorangegangenen Ausgabe meiner Kolumne behandelt habe.
Deutlich wird das Beharrungsmoment im Zusammenhang mit den Lernplattformen. Hier geht es eigentlich nicht um das Lernen, sondern um die Verwaltung der Lehre. Strukturen wie fester Klassenverband und die strenge zeitliche Taktung werden beibehalten und damit Lernpotenziale, die sich aus der Struktur des offenen World Wide Webs ergeben, nicht genutzt. Prominentes Beispiel der vergangenen Jahre waren die als „digitale Bildungsrevolution“ vermarkteten Massive Open Online Courses (MOOCs), die sich stark an den Formaten Seminar und Vorlesung anlehnten. Dagegen stehen Lernformen, die das Internet ernst nehmen und dies didaktisch berücksichtigen. Ein Beispiel ist der OpenCourse 2011, der auf vernetztes Lernen setzte und dazu die verschiedenen Werkzeuge (Twitter, Blogs, RSS-Feeds) nutzte. Es blieb jedoch bei ein- bis zweimaligen Experimenten, die eher an der Peripherie der Hochschule liefen und sich kaum auf den Kern der Lehre auswirkten.
So bleibt E-Learning nur ein Zusatz, der die analog gedachte Lehre unterstützt. Dafür gibt es seit vielen Jahren Werkzeuge und „Tools“, die das Lernen mit digitalen Elementen wie Animationen oder kleinen Quizze anreichern. Es ist eine Baukastenlogik, die dahintersteckt und suggeriert, dass es für jedes Problem auch eine (technische) Lösung gibt.