Wissenschaftskommunikation

„Diesmal sind nicht die Banken systemrelevant, sondern die Wissenschaften“

Harald Lesch (Foto: Gerald von Foris)
Harald Lesch (Foto: Gerald von Foris)
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Herr Lesch, verändert das Corona-Virus das Vertrauen in die Wissenschaft?
Aber ja! Was wir momentan sehen, ist eine Revolution. Es gibt die paar Hanseln, die im Internet irgendeinen Unsinn erzählen, aber alle anderen vertrauen natürlich der institutionalisierten Wissenschaft – dem Robert-Koch-Institut, der Charité, den Laboratorien und all den Kolleginnen und Kollegen, die unterwegs sind und darüber erzählen, was ein Virus ist, was eine Epidemie ist und wie sich das ausbreitet. Vor vier Wochen herrschte wesentlich weniger Vertrauen in die Wissenschaft, und jetzt auf einmal sind alle heilfroh, dass es diese Institutionen gibt – und dass es dort Leute gibt, die ein großes Interesse daran haben, die Zusammenhänge zu erklären und die das auch ganz großartig machen.

Ist denn tatsächlich die Angewiesenheit auf wissenschaftliche Erkenntnisse jetzt in dieser Krisensituation stärker als vorher – oder ist sie einfach nur sichtbarer geworden?
Ich glaube, dass sie stärker ist, weil unmittelbar auch etwas getan werden muss. Wenn Wissenschaftler die Politik beraten, geht es üblicherweise um Entscheidungen, die erst in großer Ferne wirken. Man denke zum Beispiel an die Klimaziele: Da werden Klimaziele für 2030 und sogar 2050 formuliert, aber es sind ja alles Sachen, die weder den Beratenen noch den Berater dann noch betreffen. Das hat man ja auch gemerkt: Bei den Themen Klima oder auch Energiewende sind wir viel zurückhaltender; aber hier im Fall von Corona ist es praktisch körperlich spürbar, wie die Leute Angst davor haben, dass dieses Virus sich weiter ausbreitet, sie vielleicht selbst erwischt oder jemanden in der Familie. Das gibt dem eine ganz andere Konkretheit. Und ich muss sagen: Ich bin sehr beeindruckt von der Bundesregierung und den Landesregierungen, wie schnell Entscheidungen getroffen werden – nicht nur direkt das Virus betreffend, sondern auch die Entwicklung der Wirtschaft.

Haben Sie den Eindruck, dass die Politik in der momentanen Situation mehr auf die Wissenschaft hört als üblicherweise?
Ja, den Eindruck habe ich ganz stark. Natürlich spüren die Politiker jetzt die Unmittelbarkeit der Wissenschaft. Nehmen wir einmal an, es gäbe jetzt einen Politiker oder eine Politikerin, die besonders skeptisch wäre und das alles als Hysterie bezeichnen würde. Wo würde sie jetzt diese Stimme unter den Wissenschaftlern finden, die ihr das bestätigt? Das können Sie vergessen! Diese Stimme gibt es nicht. Die Wissenschaft spricht mit einer Stimme. Es ist allen völlig klar, was passieren muss, nicht zuletzt auch wegen der Erfahrung mit der Spanischen Grippe nach dem Ersten Weltkrieg.

YouTube-Kanal Terra X Lesch & Co (Foto: Screenshot)
YouTube-Kanal Terra X Lesch & Co (Foto: Screenshot)
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Zur Person

Harald Lesch, Jahrgang 1960, ist Professor für Theoretische Astrophysik am Institut für Astronomie und Astrophysik der Ludwig-Maximilians-Universität München und leidenschaftlicher Wissenschafts­kommunikator. Bekannt wurde er in den 1990er Jahren durch seine Sendereihe „alpha-Centauri“ im Bayerischen Rundfunk, in der er wissenschaftliche Fragen, insbesondere zur Astrophysik, leicht verständlich beantwortet. Heute moderiert er unter anderem „Leschs Kosmos“ im ZDF.

Auf seinem YouTube-Kanal „Terra X Lesch & Co“ präsentiert er wöchentlich Spannendes aus der Wissenschaft, und nimmt aktuelle Diskussionen zu wissenschaftlichen Themen in den Blick. Für seine Wissensvermittlung wurde er vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Communicator-Preis des Stifterverbandes.

 

„Was wir momentan sehen, ist eine Revolution in der Wissenschaftskommunikation.“

Harald Lesch
Astrophysiker und Moderator

Was können wir von der Spanischen Grippe lernen?
Es gab vor 13 oder 14 Jahren eine riesige Untersuchung darüber, wie die sogenannten „nicht-pharmazeutischen Interventionen“ wirken, wenn man also kein Medikament hat. Daraus geht ganz klar hervor: St. Louis hat praktisch sofort Quarantänemaßnahmen durchgezogen; dort war die Ansteckungs- und entsprechend die Sterberate ganz niedrig. Und in Philadelphia wurde gar nichts gemacht, da gab es große Festivitäten – dort sind die Leute gestorben wie die Fliegen. Diese Parallele macht allen klar – auch denen, die am Anfang ein bisschen skeptisch waren –, dass es schlicht die Dringlichkeit notwendig macht, auf die Wissenschaften zu hören.

Was kann die Wissenschaft aus der jetzigen Situation lernen mit Blick auf die Kommunikation?
Es sollte ein neues Ethos entstehen, dass sich niemand mehr findet, der aus welchen Gründen auch immer ein Gutachten schreibt nach dem Motto: Hilfst du mir, helfe ich dir. Bis jetzt war es ja insbesondere beim Klimawandel so, dass dort Einzelfiguren aufgetreten sind und gegen den wissenschaftlichen Mainstream angeschrieben haben – und auf die hat man in der Politik immer gern gehört. Jetzt muss klar sein: Wenn wir Wissenschaft wirklich ernst nehmen wollen, dann muss die Wissenschaft auch darauf achten, dass da eben keine Scharlatane unterwegs sind. 

YouTube-Kanal Terra X Lesch & Co (Foto: Screenshot)
YouTube-Kanal Terra X Lesch & Co (Foto: Screenshot)
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Coronavirus – unnötiger Alarm bei COVID-19?

Das ist eine Aufgabe für die Wissenschaftskommunikation: Man darf diese Leute nicht unkommentiert zu Wort kommen lassen. Die Bevölkerung weiß nicht, was die seriöse Quelle und was Scharlatanerie ist. Jetzt können wir ein Beispiel geben für gute Wissenschaftskommunikation: ohne Panik zu verursachen immer wieder klar sagen, was der Fall ist, wie man den Problemen begegnen kann und dass wir das auch hinkriegen, wenn wir das zusammen, ruhig, besonnen und mit Augenmaß machen.
 

„Wenn die Öffentlichkeit die Wissenschaft nicht versteht, dann werden sich die Menschen von der Wissenschaft abwenden.“

Hannah Arendt, 1958
aus ihrem Buch „Vita Activa“

Aber ist es in der derzeitigen Situation nicht zuviel verlangt, dass die Virologen schnellstmöglich einen Impfstoff entwickeln, aber gleichzeitig viel über die Epidemie erklären sollen?
Im Allgemeinen sind es die Direktorinnen und Direktoren der jeweiligen Institutionen, die an die Öffentlichkeit gehen. Die Untersuchungen selbst werden ja von Doktoranden, Postdocs und so weiter gemacht, denn da muss ja momentan rund um die Uhr gearbeitet werden. Andererseits muss man sich tatsächlich fragen, welche Anforderungen heutzutage an eine Person gestellt werden, die mal Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler werden will. Wir verlangen eine eierlegende Wollmilchsau, und das kann natürlich überhaupt nicht funktionieren. Wir müssen bei der Ausbildung unserer jungen Kolleginnen und Kollegen darauf achten, früh genug Talente zu identifizieren, die sich für Wissenschaftskommunikation eignen. Nicht jeder hat das Talent, sich in der Öffentlichkeit so auszudrücken, dass das Richtige gesagt wird und dass es so gesagt wird, dass es von der Öffentlichkeit auch tatsächlich verstanden werden kann. Nicht umsonst hat zum Beispiel die Philosophin Hannah Arendt in ihrem Buch Vita Activa schon 1958 sinngemäß gesagt: „Eine Schlüsselposition für die Stabilität einer technisierten, globalisierten Gesellschaft werden in Zukunft diejenigen haben, die die Ergebnisse der Wissenschaft in die Öffentlichkeit bringen und sie damit verständlich machen. Wenn die Öffentlichkeit die Wissenschaft nicht versteht, dann werden sich die Menschen von der Wissenschaft abwenden.“

Der Virologe Christian Drosten wurde ja in einem regelrechten Shitstorm kritisiert, weil er eine zuvor geäußerte Einschätzung zum Corona-Virus geändert hat …
… und hat auf die Kritik völlig richtig entgegnet, dass er schließlich kein Politiker, sondern ein Wissenschaftler sei, dessen Kenntnisstand sich verändern darf, ja, sogar verändern muss. Eine solche geänderte Lageeinschätzung zu kritisieren, ist fürchterlich – das dürfen wir niemals zulassen. Solche Leute wie Herr Drosten sind systemrelevant, auch wenn das ein blödes Wort ist. Diesmal sind nicht die Banken systemrelevant, sondern diejenigen, die in den Laboratorien die Untersuchungen machen und überlegen, was sich mit den Ergebnissen anfangen lässt.

Was können in der jetzigen Situation alle diejenigen Forscher zur Wissenschaftskommunikation beitragen, die keine Virologen oder Epidemiologen sind?
Nehmen wir mal die Geisteswissenschaften. In dieser Situation könnten sie sich fragen, was wir eigentlich sind: Sind wir nur noch eine von der Ökonomie getriebene Republik, die mit anderen Republiken zusammen Konsum durchführt? Ist es das oder sind wir mehr? Wo bleibt denn nun die europäische Identität? Und alle, die mit Naturwissenschaften zu tun haben, können sich recht leicht kundig machen über das Corona-Virus und in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis informieren und Dinge klarstellen. Ich bin mir sicher: Alle diejenigen, die sich für Intellektuelle halten, haben jetzt die dringende Verpflichtung, sich für die Sache einzusetzen. Und dann kann man eines Tages über die Corona-Krise vielleicht sagen: Damals haben wir endlich angefangen, vernünftige europäische Umwelt-, Klima-, Energie- und Gerechtigkeitspolitik zu machen.

 

Die Langfassung des Interviews zum Nachhören

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