KI Skills

Wie Profis mit KI Personal suchen

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Foto: iStock/Warchi
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Ausgerechnet der Sport: Wenn es darum geht, die Personalbeschaffung konsequent zu automatisieren, sind Fußballvereine wie der FC Arsenal in London ganz vorn. Sie verlassen sich beim Anwerben neuer Spieler längst nicht mehr allein auf die Erfahrung ihrer Talentscouts. Big-Data-Agenturen durchleuchten das Spielverhalten von Talenten, Algorithmen fügen Unmengen Daten zu „objektivierbaren Einzelleistungen“ zusammen. Verglichen wird etwa das Lauf- und Passverhalten eines Neuzukaufs mit dem der Teammitglieder. Durch „exakten Datenabgleich“ will man herausfinden, ob die Verstärkung in das Spielsystem einer Mannschaft passt.

Aber nicht nur in der Sportbranche  gehören automatisierte Systeme in den Personalprozessen großer Firmen zum Alltag: Textbasierte Dialogsysteme, Chatbots genannt, beantworten online Tausenden Bewerbern gleichzeitig ihre Fragen zum Jobprofil und zum weiteren Auswahlverfahren. Einige Programme entscheiden eigenständig, welche Bewerber schon nach dem Erstkontakt mit dem Chatbot ausscheiden. Hierzu genügen ihnen klar definierte Knock-out-Kriterien, die der Algorithmus im Gespräch implizit abfragt. Bei IT-affinen Unternehmen ist auch die nächste Stufe des „Robot Recruitings“ längst Routine: Kandidatenprofile werden gezielt mit den definierten Anforderungsprofilen des Unternehmens abgeglichen. Der Bot scannt die digital eingeschickten Unterlagen nach allen relevanten Schlagwörtern. Nur das, was passt, wird an die Menschen in der Personalabteilung weitergeleitet.

Chatbots beantworten Fragen zum Jobprofil
Foto: iStcok.com/weedezign
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Damit ein Chatbot überhaupt sinnvolle Antworten geben kann, muss die Personalabteilung zuerst den „Wortschatz“ und die nötigen Kontexte bereitstellen. Tim Oliver Pröhm berät bei Kelly Services, einer internationalen Agentur für Personaldienstleistungen, Personalabteilungen beim Trainieren des Chatbots. Er empfiehlt, die Pareto-80/20-Regel anzuwenden. „Eine volle, proaktive Beantwortung sämtlicher denkbarer Fragen ist meist unmöglich.“ Auf Basis der gespeicherten Daten fängt das System an, eigenständige Verknüpfungen zu entwickeln, zu lernen. Ein gut trainiertes KI-System scannt dann rund um die Uhr Tausende Bewerbungen, Lebensläufe und Social-Media-Profile und erstellt in kürzester Zeit wertvolle Daten für die Auswertung der laufenden Recruitment-Kampagnen im Netz. Ist ein Arbeitsablauf erst automatisiert, erzielen die größten Unternehmen die größten Skalierungseffekte. Kein Wunder: Allein Google muss jährlich aus über einer Million Bewerbungen Zehntausende Kandidaten für verschiedenste Jobprofile identifizieren.

HAT DER LEBENSLAUF AUSGEDIENT?

„Gerade am Anfang des Bewerbungsprozesses können KI-Systeme sehr viel Bias aus dem Bewerbungsprozess herausnehmen“, beobachtet Luc Dudler, CEO von jobpal, einer Agentur, die zum Einsatz von Bots berät. „Richtig programmiert, interessiert sich der Algorithmus bei der Auswertung von Bewerbungen nicht dafür, welchen Namen oder welche Hautfarbe jemand hat oder ob die Person auf derselben Uni studiert hat wie der Abteilungsleiter.“ Frida Polli, CEO von pymetrics, ruft sogar schon den Tod des Lebenslaufs aus: „Menschen erhalten Zugang zu Jobs nicht mehr aufgrund ihrer vermeintlichen Arbeitserfahrung, sondern aufgrund ihrer aktuellen kognitiven Leistungen.“ Die Software von pymetrics fragt anhand von Onlinespielen, Quizzes und Puzzles die „Eigenschaften“ eines Kandidaten ab: Ist jemand teamfähig? Wie geht die Person mit Feedback um? Ist jemand bereit, Risiken einzugehen – und bläst den virtuellen Luftballon so lange auf, bis er platzt? Spielerisch entsteht ein Persönlichkeitsprofil, das die Software in einem zweiten Schritt mit Profilen von Firmenmitarbeitern vergleicht, die auf ähnlichen Positionen erfolgreich agieren. Pymetrics basiert auf KI und auf „neuen Erkenntnissen der Neurobiologie“, so heißt es. In den USA kommt das an: Firmen wie Unilever und Accenture geben an, die Diversity ihrer ausgewählten Kandidaten um 20 Prozent gesteigert zu haben. Dank pymetrics.

Publikation: Wie Future Skills die Personalarbeit verändern

Jedes dritte Unternehmen wird in Zukunft die Profile von Bewerbern auf Onlineplattformen analysieren, jedes vierte wird digitale Auswahltests einsetzen. Das ist eines der Ergebnisse eines Diskussionspapiers von Stifterverband und McKinsey. Darin analysieren sie, wie es Unternehmen in Zukunft gelingen kann, genügend Personal mit technologischen Skills zu rekrutieren und gleichzeitig mittels Weiterbildung neue überfachliche Fähigkeiten der bestehenden Belegschaft zu entwickeln. Für beide Aufgaben werden neue, automatisierte Instrumente an Bedeutung gewinnen, beispielsweise digitale Auswahltests, Planspiele sowie die Analyse von Bewerberprofilen. 

Mehr Infos und Download des Diskussionspapiers

„Richtig programmiert, interessiert sich der Algorithmus bei der Auswertung von Bewerbungen nicht dafür, welchen Namen oder welche Hautfarbe jemand hat oder ob die Person auf derselben Uni studiert hat wie der Abteilungsleiter.“

Frida Polli
CEO von pymetrics

Exaktes Matching in der Endauswahl eines Bewerbungsverfahrens verspricht auch die Persönlichkeitsmessung durch Stimm- und Sprachanalyse. Die KI des Aachener Start-ups Precire berücksichtigt angeblich mehr als 600.000 Merkmale, darunter Verknüpfungen durch Metadaten, die selbst geschulten Psychologen entgehen mögen. Precire analysiert, wie der Bewerber spricht – also Tonlage, Stimmführung, Wortwahl, Satzbau und so weiter. Anhand einer Vielzahl unterschiedlicher linguistischer und psychologischer Modelle gibt Precire komplexe Handlungsempfehlungen. Bei Randstad nutzt die Personalabteilung Precire als „sinnvolle Ergänzung“: Das Programm kommt erst nach einer genauen Analyse des Lebenslaufs und einem persönlichen Telefoninterview zum Einsatz. Die Ergebnisse fließen in die Gesamtbewertung mit ein.

Ein Hauptvorteil KI-gestützter Bewertungssysteme ist die Kostenersparnis: Wer als Personalleiter genug Gründe gefunden hat, an Leistungsversprechen von Angeboten wie Precire zu glauben, kann sich teure Assessement-Verfahren sparen, die – deutlich aufwendiger – ebenfalls versuchen, auf der Basis psychologischer Modelle möglichst exakte Kandidatenprofile zu definieren.

Wenn Software deine „angry hours“ erkennt

Christian Greb, CEO von Precire, prognostiziert, dass „in den meisten Firmen in wenigen Jahren sämtliche Rekrutierungsprozesse über smarte Technologien laufen und sich die Beurteilung von Kandidaten aus unterschiedlichen Datenquellen speist“ – aus einer Kombination aus Social-Media-Analyse mit Video-Recruiting etwa. Dabei wird nicht nur die Sprache, sondern werden auch Gestik und Mimik ausgewertet, bis hin zur Mikromimik des Bewerbers im Videointerview. Das Angebot des Start-ups HireVue soll bereits 15.000 Merkmale berücksichtigen, anhand derer Top-Performer identifiziert werden. Agenturen wie AmazingHiring oder WorkShape.io bieten an, verschiedene Trends im automatisierten Personalwesen zu passgenauen Maßnahmen zusammenzufügen. „Es kommt auf die richtige Bewertung der anfallenden Daten an“, sagt Andreas Dittes von Talentwunder. Die KI dieser Agentur screent laufend über eine Milliarde Profile auf 75 Plattformen, um Unternehmen die besten Talente passgenau herauszufiltern. Laut Tim Oliver Pröhm wird es zur wichtigsten Aufgabe von HR-Abteilungen, „überhaupt den konkreten Bezug zwischen den vielen gemessenen Daten und offenen Positionen im Unternehmen herzustellen“.

Um zu ermessen, nach welchen Kategorien sie die umfangreichen Datenpakete erfassen, auswählen und einsetzen möchten, müssen Personaler ihre analytische Kompetenz steigern. Beispiel Predictive Targeting, neuester Trend aus den USA: Unternehmen wie Netflix oder L'Oréal nutzen Big-Data-Analysen, um geeignete Kandidaten für potenzielle Stellen vorab zu identifizieren. Rund um die Uhr werden die Metadaten zu Tausenden potenziellen Kandidaten in den sozialen Medien gefiltert. Firmen wie Google verfolgen schon lange die Arbeitsleistungen von Talenten der Konkurrenz, deren Social-Media-Verhalten, und lesen – sofern verfügbar – Informationen über deren Konsumverhalten aus. Aus Veränderungen möchte man KI-gesteuert „herausfiltern“, ob ein anvisierter Kandidat wechselbereit ist. Schließlich ist das exakte Timing die halbe Miete. John Sullivan, Experte für Talentmanagement, hat in den USA den Begriff der „angry hours“ populär gemacht: Selbst bei sehr zufriedenen Mitarbeitern gebe es im Job zwei, drei intensive Frustmomente im Jahr, etwa wenn das Budget gekürzt oder ein wichtiges Projekt verschoben wird. Drückt der Mitarbeiter nur ganz kurz auf Twitter seinen Frust aus, reagiert die Mustererkennungssoftware sofort – und schickt ihm ein bereits vorbereitetes Angebot.

„Sollte eine HR-Abteilung feststellen, dass die Personaler nur Klone des existierenden Personals einstellen, obwohl sich die Geschäftsführung überraschende, innovative Typen wünscht, macht es Sinn, sich mit den neuen Angeboten auseinandersetzen.“

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Gunter Dueck (Foto: Michael Herdlein)
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Gunter Dueck
Unternehmensphilosoph

Wolfgang Kerner ist Senior Manager Talent Acquisition für die kreuzwerker GmbH. In der Berliner IT-Beratung arbeiten IT-Architekten, DevOps-Experten und Softwareingenieure Hand in Hand. Auf viele technologiegetriebene Szenarien reagiert der Personaler kritisch. Er findet es bedenklich, „wenn wir Algorithmen und KI-Systemen erlauben, unsere Persönlichkeit zu bestimmen und damit unseren Karrierepfad“. Sein Kommentar zu automatisierten Persönlichkeitstests: „Macht man bei 16Personalities oder Good&Co den gleichen Test nach einem halben Jahr noch einmal, ist man plötzlich ein ganz anderer – welch Wunder.“ Seine eigene Arbeitsweise fasst Kerner als „individualisiertes, persönliches, empathisches Scouting“ zusammen. Dass der Mensch veränderbar ist und „auch durch die Umwelt ständig weiter gestaltet und entwickelt wird, dafür ist KI noch blind“, sagt Kerner. Anders gefragt: Haben Individualisten mit Ecken und Kanten, die dennoch gut in ein Unternehmen passen könnten, überhaupt noch eine Chance?

Der Mathematiker und Ex-Manager Gunter Dueck ist ein gern gesehener Redner auf Personalerkongressen, er beobachtet die Entwicklung seit Jahren. Sein Standpunkt: „Um Spitzenleute zu identifizieren, braucht man viel Sorgfalt und persönliche Erfahrung im Umgang mit Exzellenz. Algorithmen hingegen finden durchschnittlich gute Leute bereits recht gut. Sollte eine HR-Abteilung also feststellen, dass die Personaler nur Klone des existierenden Personals einstellen, obwohl sich die Geschäftsführung überraschende, innovative Typen wünscht, macht es Sinn, sich mit den neuen Angeboten auseinandersetzen.“ Man sollte sich aber auch klarmachen, „dass Bewerber über Umwege die Software in die Hände bekommen und die Testergebnisse faken können.“ Wie schon geschehen in den USA. „Klassische Bewerbungen werden auch gefakt“, sagt Dueck, „aber dann kann man dem Bewerber noch im Interview persönlich auf den Zahn fühlen.“ Das HR-Management wird komplizierter.

Brauchen wir den „Algorithmus-TÜV“?

Foto: [CC0](https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de), [Rishi Deep](https://unsplash.com/photos/WiCvC9u7OpE) via unsplash.com_bearbeitet
[CC0](https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de), [Rishi Deep](https://unsplash.com/photos/WiCvC9u7OpE) via unsplash.com_bearbeitet
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„Noch haben viele Firmen zu wenige klare Kriterien, wie sie ihre Jobprofile für Machine Learning objektivierbar machen“, beobachtet Tim Weitzel, Wirtschaftsinformatiker an der Universität Bamberg. Um ihr Big-Data-Management voranzubringen, müssen sich HR-Abteilungen zuerst klarmachen, welche Daten für die im Unternehmen erwünschte Jobperformance tatsächlich relevant sind. Und: In welcher Verknüpfung? Und wann? Hierzu müssten Unternehmen die Performance ihrer eigenen Mitarbeiter akribisch beobachten, erfassen und in mühsamer Kleinarbeit in maschinenlesbare Modelle gießen. Das schafft datenrechtlich neue Herausforderungen. Hinzu kommt die Frage nach der Transparenz von Algorithmen: Woher sollen die Unternehmen wissen, nach welchen Kategorien ein Start-up Algorithmen für digitales Recruiting entwickelt, wenn es den Algorithmus nicht offenlegt, sondern als Firmengeheimnis deklariert? Soll zum Beispiel Spracherkennungssoftware mit herauslesen können, ob ein Bewerber in Zukunft wahrscheinlich chronisch krank werden wird? Wie soll die Information in die Bewertung einfließen? Soll sie dem Bewerber mitgeteilt werden? Der Rechtswissenschaftler Viktor Mayer-Schönberger glaubt, es brauche Kontrollinstanzen, die definieren, nach welchen Wertvorstellungen KI-Systeme Menschen katalogisieren, auswählen und ausschließen dürfen. Er schlägt vor, einen „Algorithmus-TÜV“ einzuführen, der neue Algorithmen zuerst auf ihren gesellschaftlichen Nutzen überprüft. Artikel 22 der neuen Datenschutz-Grundverordnung DS-GVO definierte bereits, dass elektronische Auswahlsysteme im Recruting nicht allein entscheiden, also auswählen dürfen. Solche und ähnliche Themen diskutieren Personaler jetzt auch im neu gegründeten Ethikbeirat HR Tech.

Schon gibt es wirtschaftliche Auswirkungen der Debatte: Auf Anfrage zu diesem Text antworteten Unternehmen aus dem Mittelstand, sie seien an Angeboten von Firmen wie Precire oder Knack interessiert, schrecken aber vor „dem Aufwand beim Datenschutz“ zurück. Außerdem gebe es zu wenig Abgleich „zwischen Vorhersagen und Realität“. „Start-ups besitzen oft noch nicht die Datenvolumina, um ihre Analyse- und Vorhersagemodelle wirklich datenbasiert zu entwickeln“, weiß Tim Oliver Pröhm. Die Folge: Solange sich vor allem die großen Unternehmen nicht auf die neuen Angebote einlassen und KI-gestützte Software nicht mit ihren firmeneigenen Big Data füttern und fit machen, hat das anbietende Start-up ein Glaubwürdigkeitsproblem. Ein klassisches Henne-Ei–Problem

Artikelserie Künstliche Intelligenz

Lesen Sie mehr zum Thema Künstliche Intelligenz in einer MERTON-Artikelserie zum Forschungsgipfel. Die Veranstaltungsreihe bringt jedes Jahr rund 400 hochrangige Entscheider, Experten, Vordenker und Newcomer aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik zusammen, um gemeinsam Antworten auf die großen Fragen der Forschungs- und Innovationspolitik zu finden. 2019 stand das Thema künstlichen Intelligenz (KI) im Fokus: Was kann KI heute bereits leisten und was nicht? An welchen ethischen Prinzipien sollte sich die Entwicklung von KI orientieren? Ist Deutschland bei der Entwicklung und beim Einsatz von KI bestmöglich aufgestellt? Wie kann die Teilhabe Deutschlands und Europas an der Weiterentwicklung von und die Wertschöpfung durch KI gesichert werden?

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