Herr Dirnagl, wird Künstliche Intelligenz (KI) die Therapie von Parkinson oder Alzheimer verändern?
Ja, davon gehe ich aus. Denn in der klinischen Wissenschaft waren es fast immer methodische Durchbrüche, die im Nachgang diagnostische und therapeutische Durchbrüche ermöglicht haben. Denken wir nur an die Bildgebung und die Magnetresonanztomographie (MRT). Bevor es diese Methode gab, war man über hochauflösende Bilder von Organen glücklich. Dann konnten wir plötzlich mit der MRT Organbewegungen darstellen, zum Beispiel ein schlagendes Herz, oder aber den Blutfluss im Gehirn beobachten - heute sogar Nervenverbindungen, das ist absolut fantastisch! Das hat Teile der Medizin revolutioniert.
Was könnte KI in der Neurologie jetzt anstoßen?
Das wissen wir noch nicht, das müssen wir erforschen - wobei sich manches schon abzeichnet. Ich gebe Ihnen ein spektakuläres Beispiel, das im Bereich der Neurochirurgie angesiedelt ist: In der Schweiz hat man einen jungen Mann aus den Niederlanden, der seit mehr als zehn Jahre nach einem Unfall querschnittgelähmt war, wieder zum Gehen gebracht.
Wie hat man das gemacht?
Man hat seine Hirnströme durch implantierte Elektroden abgeleitet, die zwischen Knochen und Hirn liegen. Diese Hirnströme wurden dann mit Techniken der Künstlichen Intelligenz verknüpft, um das System lernen zu lassen, welche Impulse aus dem Gehirn bei dieser Person die Füße und Beine bewegen. Die Mediziner konnten so über eine „digitale Brücke“ die im Hirn ausgelesenen Impulse direkt an das untere Rückenmark senden, das bei diesem Patienten noch intakt war. Er kann dadurch tatsächlich aufstehen und jetzt wieder Laufen.