KI Skills

KI ist mehr als Technik

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Dorothee Bär (Foto: Jesco Denzel)
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Frau Bär, Sie haben sich gerade in Ingolstadt die Konzeptstudie eines autonomen Flugtaxis angesehen – eine Technologie, bei der Sie Deutschland in Zukunft die Weltmarktführerschaft zutrauen. Wo müssen wir die Hebel ansetzen, damit wir mit disruptiven Technologien nach vorne kommen?
Das Thema Flugtaxi ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir in der nächsten Generation der Digitalisierung Weltmarktführer hervorbringen können. Warum? Weil wir immer noch gut sind im Ingenieurwesen. Ob das wie gestern der City Airbus oder die Flugtaxis von Volocopter oder Lilium sind. Ob das Hausgeräte von Miele oder aus dem Hause Bosch sind. Wir sind in der Sensorik und der Logistik bereits Weltmarktführer. Das müssen wir jetzt paaren mit Digitalisierung, mit KI und neuen Ideen für die Umsetzung. Die Entwicklung von Plattformen wie von Google und Amazon haben wir verschlafen. Aber wir sind gut in handfesten Produkten. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir wieder aufholen können.

Woran fehlt es bei Forschung und Innovation? Wo müssen wir besser werden?
Zum einen müssen wir in der Clusterbildung besser werden. Schauen wir uns Ost-Westfalen-Lippe an. Das ist eine erfolgreiche Region. Da gibt es die Old Economy wie Oetker, Miele oder Bertelsmann, es gibt aber auch kleine mittelständische Unternehmen, mit denen sie zusammenarbeiten sowie Start-ups und Hochschulen. Das ist eine Region, die gemeinsam das ausbaut, worin sie gut ist. Das ist auch der Grund, warum Ingolstadt mit seiner Airmobility so viel Erfolg hat. Die Kombination aus Airbus, Audi und allen Stakeholdern macht´s möglich. Das gleiche passiert in München mit seiner TU und dem Schwerpunkt Robotik. Deswegen haben wir als Bundesregierung auch frühzeitig unterschiedliche Digitale Hubs gefördert. Sie sollen im Rahmen unserer KI-Strategie als Multiplikatoren wirken.

Was sind weitere wichtige Ziele Ihrer KI-Strategie?
Wir wollen die Forschung ausweiten und werden neue Professorenstellen schaffen. Mir persönlich ist es ganz wichtig, dass wir in den Hochschulen, aber auch schon in den Schulen, einen neuen Gründergeist wecken. Das ist hierzulande noch nicht so ausgeprägt wie in anderen Ländern. Es muss mehr Ausgründungen geben. Grundlagenforschung ist immer gut, aber um das Ganze dann auch erfolgreich zu monetarisieren, muss man auch den nächsten Schritt Richtung Markt gehen. Den gehen wir noch nicht oft genug. 

„Wir müssen in Schulen und Hochschulen einen neuen Gründergeist wecken.“

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Dorothee Bär (Foto: Jesco Denzel)
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Dorothee Bär
Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung

Welche Rolle spielt das Thema Fachkräfte?
Das steht auf mehreren Füßen. Kurzfristig geht es darum, Fachkräfte, die wir haben, im Land zu halten. Wir müssen Menschen aus dem Ausland zurückholen und auch ausländische Fachkräfte gewinnen. Aber wir brauchen auch langfristige Ziele. Da geht es natürlich um Ausbildung. In Deutschland sollten wir schon von klein auf eine Technikbegeisterung wecken und mehr technische Schwerpunkte an Schulen setzen.

Um KI-Systeme zu trainieren, aber auch um Forschung zu verbessern, gibt es schon heute einen Wettlauf um möglichst viele Daten. Sind wir mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) dafür gut aufgestellt? 
Beim Thema Daten werden wir, nicht nur in Deutschland, nie gut genug aufgestellt sein. Das ist ein sich immer weiter entwickelndes System. Wir haben die DSGVO und das ist ein europaweites Regelwerk. Das ist grundsätzlich der richtige Weg: Wir müssen vom Flickenteppich europäischer Regulatorik wegkommen und brauchen mehr Harmonisierung. Das ist wichtig, um überhaupt einigermaßen eine Chance gegenüber den USA oder China zu haben. Trotzdem werden wir die Datenschutzgrundverordnung immer weiter entwickeln müssen. Bislang sprechen wir hauptsächlich über Industriedaten. Jetzt geht es um die Digitalisierung im medizinischen Bereich, um Gesundheitsdaten. Da stehen wir erstmal vor einer ganz neuen ethischen Herausforderung.

… weil es um Personendaten, die Daten von Patienten geht?
Ja, da bewegen wir uns natürlich in einem Spannungsfeld. Wir sind in der Medizin auf der einen Seite gut aufgestellt. Wir haben einen großen Datensatz, was die Diagnostik angeht. Aber wir brauchen in Zukunft auch gezielt mehr Daten, um bei der Entwicklung neuer Verfahren und Therapien nicht abgehängt zu werden. Was mir persönlich ganz wichtig ist, dass wir eben nicht alles machen, was technisch möglich ist. Wir haben in den letzten Jahren bei den ganzen ethischen Fragestellungen im Bundestag immer zur Fraktionsdisziplin aufgerufen. Das wird meines Erachtens in Zukunft noch stärker der Fall sein, weil wir da geschlossen auftreten wollen.

Sie haben das Thema Ethik schon angesprochen. In welchen anderen Bereichen müssen wir aus Ihrer Sicht ethische Fragen klären?
Ich glaube, das ist überall der Fall. Beispiel Künstliche Intelligenz, die ja schon an vielen Stellen eingesetzt wird: Sie können heute ein Bewerbungsgespräch führen, lassen ein Band mitlaufen und hinterher analysiert eine KI die Sprache, die Pausen, die Wortwahl, und ermittelt den IQ des Bewerbers oder hört eine chronische Krankheit heraus. Wollen wir das? Oder verlassen wir uns auch in Zukunft lieber auf die menschliche Intuition oder auf das Papier, das einem vorgelegt wird? 

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Illustration: Stifterverband/ Lisa Syniawa
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Forschungsgipfel 2019

Der Forschungsgipfel 2019 steht ganz im Zeichen der künstlichen Intelligenz (KI). Das brandaktuelle Thema wirft zahlreiche Fragen auf: Was kann KI heute bereits leisten und was nicht? An welchen ethischen Prinzipien sollte sich die Entwicklung von KI orientieren? Ist Deutschland bei der Entwicklung und beim Einsatz von KI bestmöglich aufgestellt? Wie kann die Teilhabe Deutschlands und Europas an der Weiterentwicklung von und die Wertschöpfung durch KI gesichert werden?

Wir hatten eine Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, die in den Ausschüssen für Bewerbungen ohne Bild und ohne Angabe des Geschlechts wirbt. Und wir haben das andere Extrem – eine starke KI, die Ihnen sagt, was hinter einem Menschen steckt. Oder nehmen Sie die Mobilität: Entscheidet in besonderen Situationen die KI über Leben und Tod oder überlässt man das weiter dem Fahrer?  

Darauf aufsetzend hat die Bundesregierung jetzt eine Datenethikkommission für alle diese Fragen eingesetzt. Das ist etwas, worauf ich stolz bin. Dass wir innerhalb Europas, aber auch weltweit, neben der Technik auch die Ethik mitdiskutieren. Ich komme gerade aus Austin in Texas von dem Tech-Festival South bei Southwest und auch dort habe ich in den letzten Jahren einen Umschwung erlebt. Da gibt es neben den technischen Fragen jetzt auch einen Shift zu den soziokulturellen Fragen, den Fragen von Ethik und Empathie. Das alles spielt jetzt bei der Digitalisierung, der Robotik, bei KI eine Rolle. Das Thema wird menschlicher.  

„Wir sind eine soziale Marktwirtschaft. Wir wollen niemanden durch das Raster fallen lassen. “

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Dorothee Bär (Foto: Jesco Denzel)
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Dorothee Bär
Staatsministerin im Bundeskanzleramt

Ich habe mich schon 20 Jahre mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt, aber immer auf einem sehr technischen Niveau. Kurz nach meinem Amtsantritt im vergangenen Jahr habe ich gemerkt, da verändert sich etwas. Auch ausgelöst durch die vielen Zuschriften von Bürgerinnen und Bürgern und die vielen Besuche in Kindergärten und Altenheimen, wo ich gemerkt habe, was uns fehlt, um auch Vertrauen zu schaffen.

Was ist denn unser Alleinstellungsmerkmal? Wir sind eine soziale Marktwirtschaft. Wir wollen niemanden durch das Raster fallen lassen. Wenn man sich unseren Sozialstaat anschaut, haben wir einen Vorteil gegenüber anderen Ländern. Deshalb ist diese neue empathische Herangehensweise eine ganz große Chance für uns, die sich meines Erachtens mittel- und langfristig durchsetzen wird.

Es gibt in der Bevölkerung heute auch Ängste vor dem großen und schnellen Wandel der Lebenswelt und einer neuen Technik, die sich nur schwer verstehen und einschätzen lässt. Wie wollen sie die Menschen erreichen und gewinnen?
Da gibt es einen spannenden neuen Trend, das Thema Downgrading beziehungsweise Downsizing. Das ist ein Ausfluss dessen, was ich gerade beschrieben habe. Unternehmen, auch die Hersteller von Hard- und Software, überlegen, wie sie Menschen erreichen, die von der Komplexität der Technik total überfordert sind. Da werden jetzt parallel zum neuesten Mähdrescher mit GPS-Funktionen auch wieder Geräte hergestellt, an denen man selber rumschrauben und die man reparieren kann. Oder im Supermarkt gibt es neben der automatischen Kasse eine langsamere Kasse für Menschen, die beispielsweise mehr Zeit für das Auflegen der Waren brauchen oder für alte Menschen, die das Münzgeld nicht mehr so schnell aus dem Geldbeutel nehmen können. Es gibt jetzt auch wieder einfachere Handys, mit denen man nur telefonieren kann. Aufgrund der Komplexität fühlen sich Menschen immer mehr zu einfachen Dingen hingezogen.

 

Das heißt, wenn ich als Kunde das möchte, kann ich ein weniger komplexes Gerät wählen. Sehen Sie da nicht die Gefahr, dass ein Teil der Gesellschaft von der technischen Entwicklung einfach abgehängt wird?
Man sucht sich ja das aus, was man braucht. Ich glaube eher, dass das letztlich eine absolute Individualisierung bringen wird. Und Individualisierung ist ja in unserer Gesellschaft etwas Positives. Keine Konformität, sondern jeder nach seinen Wünschen, seinen Fähigkeiten und seinen Bedürfnissen.

Ein KI-Forscher der FU Berlin hat mit Forschungspartnern gerade herausgefunden, dass etwa 50 Prozent der heutigen Anwendungen, die ein KI-Label tragen, „schummeln“, weil sie strenggenommen gar keine KI-Technologie verwenden ...
In der Tat wird viel als KI bezeichnet. Oft reicht es schon, dass ein Programm einen Auswertungs- und Analyseprozess vornimmt. Es ist aber das maschinelle Lernen, das entscheidend ist.

Ist es wichtig, dass man die Qualität von KI-Anwendungen überprüfen kann?
Ja, definitiv. Das ist auch eine große Aufgabe für den Staat. Da sind wir zurzeit auf externe Experten angewiesen. Aber wir müssen uns selbst eine Expertise aufbauen. Es wird nicht leicht sein, entsprechende Fachleute für den öffentlichen Dienst zu gewinnen, aber es ist notwendig.

Als Digitalstaatsministerin stehen Sie für das ganze Spektrum von KI-Anwendungen. Gibt es für Sie persönlich ein Herzensthema?
Ich war vier Jahre im Verkehrsministerium. Natürlich finde ich Mobilität wichtig und denke, dass KI den Menschen hier das Leben leichter machen wird. Weil sie uns schneller von A nach B bringt und Staus vermeiden hilft. Oder die Parkplatzsuche, die wegfällt. Also viel Zeit, die ich durch KI spare, um Wichtigeres zu tun. Aber das Allerspannendste ist für mich tatsächlich der medizinische Bereich, gerade was chronische Krankheiten betrifft. Ich habe sehr viel mit betroffenen Eltern und Kindern zu tun. Das ist sehr spannend, aber natürlich liegen genau dort auch die größten ethischen Herausforderungen.

Sie sind Mutter von drei Kindern. Glauben Sie, dass wir Ihre Kinder in Deutschland gut auf die Digitalisierung vorbereiten?
Ich sehe da heute viel Licht, aber auch noch viel Schatten. Wir müssen noch einiges tun – in der Schule, aber auch in der Arbeitswelt. Wir halten uns fälschlicherweise viel zu lange beim „ob“ auf, ohne das „wie“ schnell genug in Angriff zu nehmen. 

 

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Stifterverband macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews nicht zu eigen.

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