„Wir werden nicht Teil dieses Verbrechens sein“ – mit diesen Worten hatten zahlreiche Wissenschaftler vor einem Jahr an die türkische Regierung appelliert, zum Friedensprozess mit den Kurden zurückzukehren. Mehr als 400 von ihnen verloren in der Folge ihre Jobs. Gegen viele ermittelt die Polizei, Dutzende waren zeitweise im Gefängnis. Sie sind ohne Einkommen, denn die anderen Hochschulen stellen sie nicht wieder ein, und sie dürfen die Türkei praktisch nicht verlassen. Unter diesen dramatischen Umständen hat sich einer der Unterzeichner im Februar das Leben genommen.
Dieses Beispiel der „Academics for Peace“ zeigt, wie bedrohlich die Lage nicht nur für Journalisten, sondern auch für Wissenschaftler in der Türkei derzeit ist. Wie es so weit kommen konnte, davon berichten diejenigen, die noch rechtzeitig das Land verlassen konnten. Pınar Şenoğuz ist Anthropologin und arbeitet zurzeit in Göttingen. Sie war unter den Ersten, die Anfang 2016 die Onlinepetition zu den Kurdengebieten unterzeichneten. „Die Petition erreichte mich über die sozialen Netzwerke und ich habe sie einfach unterschrieben.“ Şenoğuz wusste damals noch nicht, wie viele ihrer Kollegen ebenfalls unterschreiben würden. Insgesamt schlossen sich mehr als 2.000 Wissenschaftler der Petition an. Die Reaktionen waren unerwartet heftig.
„Nach der Petition begann eine große Einschüchterungskampagne“, erzählt Şenoğuz. „Unsere Fotos wurden im Fernsehen gezeigt und wir wurden als Verräter beschimpft. Ein Mafiaboss sagte öffentlich, er wolle uns tot sehen.“ Auch Präsident Erdoğan zeigte sich verärgert und reagierte mit Entlassungen und Gerichtsverfahren. Noch vor dem Militärputsch im Juli hatten mehr als 50 Academics for Peace ihre Stellen verloren. Doch Şenoğuz wollte in Gaziantep bleiben, einer Stadt im Südosten der Türkei. Die resolute Wissenschaftlerin hatte von dort aus jahrelang das türkisch-syrische Grenzgebiet erforscht und ihre Arbeit war noch nicht abgeschlossen. Doch sie merkte, dass das Klima in der Türkei für ihre Forschung immer brenzliger wurde.