Die Hilferufe kommen immer öfter aus Kriegsgebieten: In E-Mails bitten Professoren, Wissenschaftler und Studierende um Unterstützung bei Kollegen, Institutionen und Hochschulen in der westlichen Welt. Man hofft, dass man zumindest über digitale Medien weiter an höhere Bildung und aktuelles Fachwissen andocken kann. Viele der Anfragen kommen aus Aleppo. Vor Kriegsausbruch 2011 studierte in Syrien mehr als ein Viertel der 18- bis 24-Jährigen, das Hochschulsystem war gut aufgestellt. Heute sind viele Universitäten zerbombt oder mittellos und Lehrkräfte Mangelware; in den Flüchtlingscamps der Aufnahmeländer dürstet eine ganze Generation studierfähiger junger Menschen nach Wissen, Zertifikaten und Hochschulabschlüssen.
In Zeiten von Massive Open Online Courses (MOOCs) und Open Educational Resources (OER) erscheint es naheliegend, Menschen in Kriegs- und Krisensituationen einfach über digitale Medien mit modernen Lehr- und Lernangeboten zu versorgen. Wie erfolgreich wäre dieses Vorhaben? Was wird bislang realisiert? Welche Rolle spielen dabei deutsche Hochschulen und Institutionen?
Zunächst der Blick zurück nach Syrien: So erstaunlich es ist, in den von der Regierung kontrollierten Gebieten geht das Studium weiter und auch in Teilen der von den sogenannten Rebellen kontrollierten Gebiete gibt es weiter Bildungsaktivitäten, zumindest bis zu dem Niveau, dass Schüler ihr Abitur machen können. „Dieses Abitur wird aber von niemandem anerkannt, weil es vor Ort keine Institution mehr gibt, die die Qualität der Abschlüsse garantieren könnte“, sagt Carsten Walbiner, ein Kenner des Nahen Ostens, der in Amman für den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) das Projekt HOPES leitet.
HOPES wird von der EU finanziert und bietet studierfähigen jungen Syrern in Jordanien, Ägypten, im Irak, im Libanon und in der Türkei Studienberatung und Stipendien an. Walbiner hört oft aus erster Hand, wie stark sich das syrische Hochschulsystem durch den Krieg verändert hat: Den Exodus an Lehrkräften könne die nachwachsende Generation nicht mehr ausgleichen; einigen Universitäten gingen Lehrmittel und finanzielle Ressourcen aus; Professoren verlören zunehmend den Anschluss an aktuelles Fachwissen, weil der internationale Austausch fehle.
All das passiere unter einer extrem angespannten politischen Situation, was zweifelsohne auch Rückwirkungen auf die akademische Freiheit habe, glaubt Walbiner. Deshalb gehe es auch nicht bloß darum, Container mit Lehrbüchern oder E-Learning-Software zu schicken oder eben OER-Material anzubieten – das könne im Einzelfall helfen, dringlich seien aber auch Antworten auf die Fragen: „Wie können wir verhindern, dass das akademische Niveau in Syrien zu tief absinkt, dass die Hochschulbildung aufgrund des Konflikts zu stark politisiert wird?“ Der DAAD-Mitarbeiter warnt vor zu viel Optimismus: Mögliche Partnerhochschulen müssten all das, was gebraucht wird, auch leisten können, womit man die westlichen Hochschulen schlichtweg überfordere, weil sie darauf in der Regel nicht eingestellt seien. „Die immer stärker werdenden existenziellen Fragen der syrischen Lehrkräfte und Studierenden lassen dann auch so manchen akademischen Diskurs hohl erscheinen.“