In Ihrer eigenen Laufbahn spielte das Glück eine Rolle, dass Ihnen Ihr Chef das Studium ermöglicht hat. Heute gibt es viele Stipendien – werden Aufsteigerkarrieren wie Ihre damit einfacher?
Ich bin der Überzeugung: Wenn jemand will, gibt es heute viele Möglichkeiten. Auch dann, wenn die Eltern finanziell nichts beitragen können.
Gleichzeitig sind in immer mehr Unternehmen akademische Abschlüsse die Voraussetzung für eine Karriere. Nimmt man damit nicht denjenigen viele Chancen, die kein Studium mitbringen?
Seiteneinsteiger haben nach wie vor eine Chance, aber sie haben es deutlich schwerer. Ich selbst bin immer wieder erstaunt, wie viele Kollegen es hier bei der Bahn gibt, die kein herkömmliches Studium absolviert haben und außerordentlich erfolgreich sind. Auch in Zukunft müssen wir deshalb Aufstiegsmöglichkeiten bieten, auch ohne Abitur oder Studium. Wir setzen auf lebenslanges, berufsbegleitendes Lernen. Schließlich gibt es bei Bahnern traditionell eine geringe Fluktuation – nicht wenigen gratulieren wir zum 40- oder 50-jährigen Dienstjubiläum. Bei 500 Berufswegen innerhalb der DB kann man sich in viele Richtungen entfalten. Jedes Jahr stellen wir 3.400 Jugendliche für eine Ausbildung ein. Alle Bewerber absolvieren einen Online-Test, egal wie das Zeugnis aussieht. Wir wollen Leute, die offen, neugierig und teamfähig sind – das ist uns wichtiger als irgendein Notendurchschnitt.
Die Deutsche Bahn ist in vielen Ländern tätig. Wenn Sie die Mitarbeiter und Ihre Ausbildung vergleichen – sehen Sie da einen Unterschied?
Keinen Unterschied, aber ich habe zum Beispiel viele Jahre in China und anderen Teilen der Welt gearbeitet, und da merkt man schon, was es heißt, wenn jemand ein Duales Ausbildungssystem kennengelernt hat. Der Wechsel von Theorie und Praxis legt die Basis für eine lebenslange berufliche Entwicklung. Für mich ist das eines der besten Systeme weltweit, ein elementarer Bestandteil des Siegels „Made in Germany“. Deshalb versuchen so viele Länder, unser System nachzuahmen, weil wir unseren jungen Leuten eine breite und ganzheitliche Ausbildung anbieten. Da haben wir ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal, das wir hegen und pflegen müssen.
Wenn in der Gesellschaft trotzdem nach immer mehr Akademikern gerufen wird – was steckt da Ihrer Meinung nach dahinter?
Na ja, auch bei der Bahn steigen die Anforderungen an die Mitarbeiter, zum Beispiel durch die Technisierung. Nehmen Sie die Stellwerke: In der Kaiserzeit waren das mechanische Anlagen, bei denen ein Fahrdienstleiter die Weichen und Signale nur eines Bahnhofs mit der Hand gestellt hat. Heute erfolgt das zentral per Mausklick für Anlagen, die mehrere hundert Kilometer voneinander entfernt sind. Auch die Ausbildungsberufe werden differenzierter, weil die Komplexität gestiegen ist und weiter steigt. Was früher der Mechaniker war, ist heute der Mechatroniker.