Sie sind vielen ein Vorbild: 34 Jahre alt, syrische Vorfahren, Professor an der Fachhochschule Münster. Ihre Studien zu Bildungsaufsteigern aus benachteiligten Milieus wurden mehrfach prämiert. Was zeichnet Kinder aus, die sich über ein Jahrzehnt lang erfolgreich durchs deutsche Bildungssystem boxen?
Grob skizziert: Sie wollen mehr erreichen als die Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld. Dafür sind sie bereit, sich selbst zu verändern. Doch dies ist ein unbekannter Weg, den sie nur schlecht planen können. Überall gibt es Hürden: fehlendes Wissen, wenig Anerkennung, Vorurteile, Geldsorgen, fehlende Anteilnahme, Benachteiligungen. Niemand hat sie darauf vorbereitet. Kinder und Jugendliche, die einen Aufstieg dennoch schaffen, zeigen ein enormes Durchhaltevermögen. Sie halten diese Unsicherheiten vom ersten Schuljahr über die Hochschulzeit bis ins Berufsleben hinein aus.
Erschreckend viele Aufsteiger werfen noch im Studium alles hin. Außenstehende können dies schwer nachvollziehen. Was passiert da?
Ich nenne das die ungeplanten, ungeahnten Nebenwirkungen des Erfolgs. Unbeteiligte schauen sich Aufsteiger an und sagen: Was für eine Leistung, Respekt. Das kann nur positiv sein! Wer sich aber von unten nach oben durchkämpft, empfindet das anders. Er erlebt seinen Erfolg ambivalent.
Inwiefern? Sie haben biografische Interviews mit mehr als 100 Aufsteigern geführt.
Alle hatten Abbruchgedanken noch in der Hochschule, viele sogar im Berufsleben. Das war auch für mich überraschend. Wenn man sich in die Biografien reinfühlt, ist es aber plausibel. Denn man paukt auf dem Weg nach oben nicht nur Vokabeln oder Formeln. Aufsteiger absolvieren Höchstleistungen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Denk- und Handlungsmuster aus dem Herkunftsmilieu passen immer weniger. Wer vorankommen möchte, muss sie zu weiten Teilen über Bord werfen. Das gilt für Kinder aus armen Verhältnissen genauso wie für Kinder aus Einwandererfamilien. Dabei entfremdet man sich von seinem Umfeld, von Freunden, der Familie. Unter Umständen also von allen Menschen, die in Kindheit und Jugend wertvoll waren. Das ist schmerzhaft und erfordert eine hohe Trennungskompetenz. Nicht jeder schafft das auf Dauer. Der Erfolg ist gekoppelt an den Verlust von Solidarität, Sozialkontakten, Zugehörigkeitsgefühl. Rückzugsgedanken wachsen spätestens dann, wenn es für all das keinen adäquaten Ersatz gibt. Wenn das neue Umfeld „da oben“ sich weiter fremd und abweisend anfühlt.