Wo stand damals die Hirnforschung, Herr Singer?
Es gab einen vielversprechenden Ansatz, der auf Theorien der Verhaltensforschung, des Behaviorismus, beruhte. Das Gehirn wurde als Reiz-Reaktions-Maschine betrachtet: Über die Sinnesorgane wird ein Reiz aufgenommen und in neuronale Erregung umgewandelt, die durch die Schichten eines hierarchisch aufgebauten Systems fließt. An der Spitze dieser Verarbeitungspyramide, so die Vermutung, würden dann alle Informationen gebündelt und bildeten die Grundlage von Wahrnehmungen, Entscheidungen und schließlich motorischen Reaktionen.
Und so ist es nicht?
Wir haben inzwischen gelernt, dass das Gehirn völlig anders aufgebaut ist. Es gibt nicht diesen einen Chef, der an der Spitze des Systems sitzt und der sagt: ‚Ich beschließe jetzt.‘ Die meisten Funktionen des Gehirns erfolgen parallel und deren Koordination organisiert sich selbst. Das Gehirn ist ständig aktiv und formuliert auf der Basis von gespeichertem Wissen Hypothesen, die es mit eintreffenden Signalen abgleicht. Wir haben einen ungeheuren Schatz an Vorwissen, der das Wenige, das über sensorische Signale vermittelt wird, ständig interpretiert, ordnet, hinterfragt und letztlich zu Wahrnehmungen verarbeitet.
Was ist denn dann ein Gedanke?
Ein Gedanke, eine Wahrnehmung oder auch eine Entscheidung beruht auf extrem komplexen, raumzeitlich strukturierten Wolken von neuronaler Aktivität, die sich in einem hochdimensionalen System konfigurieren.
Wie bitte?
Diese Deutung lässt sich gegenwärtig nicht weiter reduzieren.