Das tut er nicht nur vor Politikern: Allein für sein Buch „Lütten Klein“ stand er mehr als 40 mal auf der Bühne für Lesungen und Diskussionsveranstaltungen: in Buchhandlungen, Kulturzentren, Mehrzweckhallen, alten Kirchen – „überall, wo man mich eingeladen hat.“ In den Diskussionen ging es schnell nicht mehr nur um Ost und West, sondern auch um alle die anderen Themen, zu denen Steffen Mau forscht: um die Ungleichheit, um die Migration, generell um das Gesellschaftsbild. Und immer wieder bekommt er ordentlich Gegenwind in den Diskussionen, regelmäßig gibt es Zuhörer, die wüst schimpfen. „Der Rededruck ist hoch“, konstatiert Mau dazu trocken.
Das Versprechen der Demokratie ist ja nicht nur das der Beteiligung an der politischen Macht, sondern auch das des guten Regierens. In der Politikwissenschaft gibt es den Begriff der Output-Legitimität. Das ist die Legitimität, die die Politik dadurch gewinnt, dass sie Probleme löst und effektiv handelt. In dieser Hinsicht gibt es schon eine Enttäuschungshaltung. (…) Mit Verwaltungshandeln allein lässt sich eine Krise kaum lösen, da kann man sie höchstens bürokratisch verstolpern. (Interview mit der Berliner Zeitung, April 2021)
Seine ersten gesellschaftlichen Beobachtungen machte Steffen Mau, als er noch lange kein Soziologe war. In den 1980er Jahren war das, Mau war Teenager und absolvierte seine Ausbildung zum Schiffselektriker in einer Werft in Rostock. Das Meer, die Schifffahrt: Klar, die Berufswahl lag nah dort im hohen Norden Deutschlands, vor allem, wenn der Vater selbst im Schiffbaubetrieb tätig war. Steffen Mau merkte schon damals, wie in der DDR etwas in Bewegung geriet. Er wollte dabei sein, direkt am Puls. „Freunde von mir lebten im Prenzlauer Berg in Ostberlin, damals war das ein ziemlich renovierungsbedürftiges Arbeiterviertel“, sagt er. Eines Tages machten sie ihn darauf aufmerksam, dass eine Wohnung in ihrem Haus frei geworden sei. Der Vorbesitzer, auch er ein junger Mann, hat es über die Grenze in den Westen geschafft. Zu dieser Zeit, erinnert sich Mau, gab es viele solcher Wohnungen, die von Flüchtigen einfach zurückgelassen wurden. „Die Wohnung fand ich gut, Berlin war spannend, und so habe ich einfach ein neues Schloss in die Tür eingebaut und angefangen, dort zu wohnen“, erinnert er sich. Dort, im Prenzlauer Berg und umgeben von jungen Leuten, spürte er die tektonischen Verschiebungen in der DDR-Gesellschaft, er nahm die feinen seismographischen Wellen auf. Max Weber las er und Pierre Bourdieu, und als die Wende kam und er endlichen studieren konnte, was er wollte, schrieb er sich für Soziologie ein. Drei Jahre sollte es von diesem Moment an noch dauern bis zu jenem ersten Interview mit dem japanischen Fernsehsender.
Eine fundamentale Polarisierung wie in den USA, mit Lagern, die einander nichts zu sagen haben, gibt es in Deutschland so nicht. Was man trotzdem findet, sind Ränder, die sich immer stärker radikalisieren. Der alte Klassenkonflikt spielt dabei kaum mehr eine Rolle, es ist schwierig, damit zu mobilisieren. Stattdessen haben wir zwei große Konflikte: Migration und Klimapolitik. Und die sind zunehmend miteinander verkoppelt. Das heißt, Leute, die positiv gegenüber Migration eingestellt sind, setzen sich auch stärker für Klimaschutz ein. (Interview mit der Süddeutschen Zeitung, August 2023)