„Es ist in diesem Archiv alles ein wenig anders als in den Thrillern von Dan Brown“, sagt Hubert Wolf: Im Erdgeschoss und im ersten Kellergeschoss des imposanten Palazzo del Sant՚Ufficio lagern die Akten, aber der einzige Zugang führte damals über den dritten Stock. Dort hatte Joseph Kardinal Ratzinger sein Büro, der spätere Papst Benedikt XVI., und von den Fluren aus begann der Abstieg ins Archiv. „Das Licht kam von einer alten Glühbirne, die Unterlagen standen in Holzregalen, in der Ecke hing ein großes Holzkreuz. Mehrere Reihen von Pergamentbänden waren dort gelagert, es gab nur halbhohe Tische als Ablage, die zum Stehen zu niedrig, zum Sitzen zu hoch waren – und keine Steckdose. Für unseren vorsintflutlichen Laptop mussten wir am nächsten Tag eine 30-Meter-Kabeltrommel mitnehmen“, sagt Hubert Wolf. Wochenlang tauchte er mit einem Assistenten in die Unterlagen ein, immer von morgens 8 Uhr bis 13:30 Uhr. „Jede Akte, die man aufschlägt, birgt eine Überraschung. Es war ein Arbeiten ohne Inventarlisten und ohne eine Vorstellung darüber, wie das Archiv überhaupt aufgebaut ist“, erzählt er, und die Faszination ist ihm bis heute anzumerken. Faszination? Ach was: Vom „Virus der vatikanischen Archive“ spricht Hubert Wolf und darüber, dass sich jeder wissenschaftliche Mitarbeiter, den er in all den Jahren mit hineingenommen hat in die Tiefen der Archive, angesteckt habe.
Inzwischen greift er auch aktiver in gegenwärtige Debatten ein, gestützt auf seine Detailkenntnis der kirchlichen Vergangenheit. Sein jüngster Coup: Vor einem Jahr veröffentlichte er ein Plädoyer gegen den Zölibat – und begründet in 16 Thesen, warum er abgeschafft werden sollte. Wenn er sich als hochdekorierter Forscher und Priester in solche Gefechte stürzt, dann kann er sich einer breiten Aufmerksamkeit sicher sein. „Für mich ist die Geschichte ein locus theologicus, ein theologischer Erkenntnisort“, sagt er: „Wer in die Vergangenheit blickt, heißt es, der findet für theologische Fragen ganz neue Erkenntnisse.“
Damit macht Hubert Wolf im Großen das, was ihn schon als Zwölfjährigen umgetrieben hatte, als er nach der Wahrheit über den Streit mit dem Grenzstein gesucht hatte: Er gibt den Themen der Gegenwart mit dem Blick in die Geschichte eine neue Perspektive.