Wissenschaftskommunikation

„Mit Diffamierungen hätte ich nicht gerechnet“

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Robert Arlinghaus (Foto: IGB/ David Ausserhofer)
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Herr Arlinghaus, haben Sie eine besondere Schwäche für Comics?
(lacht) Sie spielen darauf an, dass ich meine Studienergebnisse auch als Comic veröffentlicht habe.

Richtig. Wie kommt ein Professor auf diese Idee? 
Ich habe es halt mit unterschiedlichen Zielgruppen zu tun, die alle auf ihre Art angesprochen werden wollen. Es macht einen Unterschied, ob Sie Angler ansprechen oder Vertreter der internationalen Fischereipolitik. Zeichentrickfilme stehen dabei an einem Ende der Skala, wissenschaftliche Artikel am anderen.
Außerdem macht es mir Spaß, auch mal etwas Neues zu wagen. Mein Ziel ist es, die nachhaltige Fischerei so einfach und niedrigschwellig wie möglich zu vermitteln. Dabei darf man nicht belehrend wirken. Es sollte interessant und witzig sein. Und es schadet nicht, wenn man sich selbst ein wenig auf den Arm nimmt. Der Rest ist Learning by Doing, die Möglichkeit des Scheiterns immer inbegriffen. 

Wie wird das denn von den Anglern aufgenommen?
Wir erforschen durchaus kontroverse Themen und die Ergebnisse schmecken nicht immer allen Gruppen. Empfinden Fische Schmerzen? Sind Angler ein Störfaktor? Ist es sinnvoll, Fische nach dem Fang zurückzusetzen? Da es dazu unterschiedliche Meinungen gibt, ist heftige Kritik nicht überraschend. 
Es war zum Beispiel lange Zeit die Norm, dass man Fische unterhalb einer festgelegten Mindestgröße freilassen musste, große Exemplare hingegen frei entnehmen konnte und sollte. Wir haben jedoch vielerorts einen sehr hohen Fischereidruck. Deshalb bekommt der Erhalt der großen Laichtiere eine besondere Bedeutung für die Erneuerung des Bestandes. Sonst verschwinden mittelfristig neben den großen auch die kleinen Fische oder die Bestände schwanken zu stark. 
Das konnte meine Arbeitsgruppe am Beispiel des Hechtes bereits 2010 zeigen, eine Reihe internationaler Studien bestätigte später die Erkenntnisse an anderen Arten. Das sogenannte Entnahme- oder Küchenfenster ist hier eine sehr einfache Regelungsoption: Die Angler lassen die Jung- und die Altfische leben und nur die mittelgroßen Tiere landen im Kochtopf. Mein Ziel war es, dass vor allem die Fischereibehörden und Landesanglerverbände unsere Forschungsergebnisse verstehen, weil sie über Fischereigesetze oder Gewässerordnungen Änderungen in der Bewirtschaftung auslösen können.

Und wo lag das Problem? 
Wer einen großen Hecht oder Zander angeln und zu Hause verspeisen will, fühlt sich betrogen, obwohl diese Fische äußerst selten und schwer zu fangen sind. Auf der anderen Seite gibt es spezialisierte Angler, die gefangene Großfische überwiegend lebend zurücksetzen möchten, entweder zum Schutz des Bestands oder um die Fische irgendwann noch einmal zu fangen. Diese Gruppe fühlt sich durch unsere Forschung bestätigt. 

Robert Arlinghaus
Robert Arlinghaus (Foto: IGB/ David Ausserhofer)
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Robert Arlinghaus

Arlinghaus ist seit 2013 Professor für Integratives Fischereimanagement an der Humboldt-Universität zu Berlin und Arbeitsgruppenleiter am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. 
Der Stifterverband und die Deutsche Forschungsgemeinschaft verleihen ihm in diesem Jahr den „Communicator-Preis“. Er wird seit dem Jahr 2000 an Forscher verliehen, die Wissenschaft und Forschung besonders gut vermitteln. Die Communicator-Preis-Jury zeigte sich beeindruckt sowohl von der Fülle an Kommunikationsformaten als auch der konzeptionsstarken Planung und Umsetzung der Aktivitäten von Robert Arlinghaus. Es gelinge ihm, ein scheinbares Spezialthema wie die Angelfischerei mit den gesellschaftlich relevanten Fragen der Nachhaltigkeit, des Umweltschutzes und des verantwortlichen Umgangs mit der Natur zu verknüpfen. 

Mehr zum Communicator-Preis

Dazu muss man wissen, dass man in Deutschland einen triftigen Grund braucht, um angeln zu gehen. Das schreibt die Interpretation des Tierschutzgesetzes vor. Wenn Sie Ihren Fisch essen wollen, haben Sie einen guten Grund. Wenn Sie ihm nur zum Spaß nachstellen, kann das je nach Interpretation anders aussehen. Da hieß es dann: „Ihr wollt doch dieses Entnahmefenster nur haben, um durch die Hintertür das Zurücksetzen von großen Fischen zu legalisieren.“ Und schon hat man neben der fachspezifischen Debatte zur Fischereibiologie eine moralisch aufgeladene, weil ethisch-tierschutzrechtliche Argumente plötzlich eine Rolle spielen.

„Man kann es in der Wissenschaftskommunikation nicht jedem recht machen. Mit öffentlichen Diffamierungen hätte ich trotzdem nicht gerechnet. “

Robert Arlinghaus
Fischereiprofessor

Was bedeutete diese Entwicklung für Sie persönlich?
Ich weiß schon, dass man es in der Wissenschaftskommunikation nicht jedem recht machen kann. Mit öffentlichen Diffamierungen hätte ich trotzdem nicht gerechnet. Unangenehm ist das besonders, wenn das aus der eigenen Community kommt. Mir wurde dann vor fast 200 Leuten beim Deutschen Fischereitag lautstark vorgeworfen, dass ich „unwissenschaftlich“ oder als passionierter Angler „parteiisch“ wäre, dass das „nur mathematische Modelle oder Laborversuche sind, die nichts mit der Praxis zu tun haben“. Von Tierschützern bekam ich anonyme Schmähbriefe. Es hagelte Anzeigen gegen Fische zurücksetzende Angler. Unser Institut wurde aufgefordert, keine weiteren Informationsveranstaltungen für Angler anzubieten. Der Disput zog sich von den sozialen Medien bis hin zu Bestsellersachbüchern. 

Da haben Sie etwas erlebt, was der Virologe Christian Drosten zurzeit offen kritisiert. Wie geht man damit um?
Das Beste ist hier, stets sachlich zu bleiben und auf die Grenzen von Wissenschaft und die Unsicherheit von Aussagen hinzuweisen. Wenn es zu persönlich wird, kann man auch wie Herr Drosten sagen: „Bis hierher und nicht weiter.“ Ich habe über viele Jahre bestimmte nationale Tagungen nicht mehr besucht und nicht weiter versucht, bestimmte Überzeugungen zu verändern. Denn offensichtlich war es einigen egal, welche wissenschaftliche Erkenntnis wir auf den Tisch legten. 
Ich habe für zehn Jahre die Zielgruppe gewechselt: Statt mit der nationalen Fischereiverwaltung oder mit Verbänden habe ich direkt mit Anglern und Bewirtschaftern in Angelvereinen oder mit Vertretern der internationalen Fischereipolitik geredet. Ich habe Kolumnen in den Anglermedien verfasst, Vortragstourneen angeboten, Leitfäden für den Praktiker geschrieben, Comics und Erklärfilme entwickelt und weiter geforscht und publiziert. Und siehe da: Mittlerweile ist meine Forschungserkenntnis fast schon Mainstream geworden und wurde bereits zu einer Fischereigesetznovellierung umgesetzt, wie in Hamburg der Fall. Dort sind die Mindestmaße per Gesetz abgeschafft und es gibt nur noch Entnahmefenster. Dutzende Anglervereine haben ihre lokalen Bestimmungen ebenfalls geändert und viele Angler setzen selbstmotiviert größere Fische zurück und behalten vor allem die mittelgroßen. 

Die Idylle trügt: Der Streit um das nachhaltige Angeln wird teilweise erbittert geführt.
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Foto: darstan on Pixabay
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Wie wichtig ist der Communicator-Preis nun für Ihre weitere Forschung?
Wir haben zwei größere Projekte gestartet, bei denen wir weiter viel Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Das eine ist ein Projekt, bei dem wir mit Angelvereinen den Lebensraum in Baggerseen verbessern. So schaffen wir Flachwasserzonen oder bringen Totholz ein, um die biologische Vielfalt zu steigern. 
Rund um Rügen haben wir im vergangenen Jahr das sogenannte Boddenhechtprojekt gestartet. Hier bringen wir Naturschutz – also Nationalpark und Biosphärenreservat –, Angler, Anbieter von geführten Angeltouren, Berufsfischer, Fischereiverwaltung und andere Akteure an einen Tisch, um gemeinsam Vorschläge für eine Bewirtschaftung zu entwickeln, die von allen Parteien getragen werden.
Außerdem bringe ich gerade ein deutschsprachiges Fachjournal für Fischereiwissenschaften als webbasierte Open-Access-Zeitschrift heraus, die Fakten rund um die nachhaltige Fischerei präsentieren wird. So ein Preis hilft uns natürlich bei all diesen Aktivitäten, weil er Öffentlichkeit schafft und wir bestimmte Aktivitäten auch finanziell unterfüttern können. 

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