Seit dem Zweiten Weltkrieg konnten Lehrstuhlinhaber als Ordinarius oder Ordinaria unbeschränkt über Forschungsvorhaben, Lehrinhalte und Wissenschaftlerkarrieren bestimmen. Diese Ära, die bis zu Humboldt zurückreichte, war nun vorüber: Professoren verloren ihre exklusive Entscheidungsmacht in den Fachbereichs- und Fakultätsräten wie auch in den Hochschulsenaten. Die neue sozialliberale Politik ab 1969 unter Bundeskanzler Willy Brandt setzte ihnen ein partizipatives Modell sozusagen vor die Nase. Fortan konnten wissenschaftliche Bedienstete, Studierende und das nicht wissenschaftliche Personal mitbestimmen.
Das war ein Demokratisierungseifer, der nicht nur konservative Professoren erschütterte. Auch außeruniversitäre Wissenschaftler, Wirtschaftsvertreter und die Gestalter des Stifterverbandes befürchteten, dass sich nun eine Aussage der Studenten womöglich bewahrheiten könnte: dass „die große Zeit der Gelehrten vorbei“ sei. Man sorgte sich besonders um die Freiheit von Wissenschaft und Forschung. Hellmut Ley, Vorsitzender des Stifterverbandes, betonte, dass alle Bestrebungen oder Tendenzen, die diese Freiheit gefährdeten, undemokratisch seien – ob sie nun von einzelnen Interessengruppen an den Hochschulen oder von der staatlichen Planung und Gesetzgebung kämen.
Adolf Butenandt, Biochemiker, Nobelpreisträger und Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, mahnte 1970 in einem Vortrag beim Stifterverband in Münster vor den Folgen: „Auch die moderne Gesellschaft benötigt den Gelehrten mit weitem Horizont, der befähigt ist, immer wieder Neues zu erfassen oder zu ersinnen, der durchdrungen ist von seiner Berufung und der weiß, dass es eine Gnade ist, den Sinn geerbt zu haben für die geistige Ordnung der Welt.“ Man müsse mit solchen Männern und Frauen, die einem Volk nie in übergroßer Zahl geschenkt würden, behutsam umgehen. Butenandt wusste um den Sog des Auslands: Als junger Professor hatte er 1935 einen Ruf an die Harvard-Universität in Boston abgelehnt. Adolf Butenandt war einer jener Forscher, die im Fokus der Studentenproteste standen: Nationalsozialist, Direktor eines Instituts der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im „Dritten Reich“ – und auch in Nazigräuel verstrickt? Es sollte bis 2006 dauern, bis dieser Sachverhalt genau untersucht war und der Spiegel titelte: „Freispruch für Butenandt“. Diese späte wissenschaftliche Aufklärung von Naziverstrickungen war kein Einzelfall, sondern wohl eher die Regel – allen 68er-Protesten zum Trotz.