Mitte Februar wollten die Antikörper-Forscher eigentlich noch mit Patientenproben aus China in die Studien einsteigen. Mitte März lag der Fokus von Hust und seinem Team dann schon auf Patientenmaterial aus Italien. „Aktuell ändert sich immer wieder alles. Seit zwei Wochen nutzen wir nun erste Proben aus der Region Braunschweig“, berichtet der Professor weiter. Der hierfür notwendige Ethikantrag war innerhalb von sechs Stunden genehmigt – dankenswerterweise, denn damit können die Wissenschaftler die zeitfressenden Logistikprobleme an den innereuropäischen Grenzen umgehen. Auch Forschungsschritte, die zunächst mit dem ATAC-Partner in der Schweiz geplant waren, verlegte das deutsche Team kurzerhand in die eigene Region an das Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. Der Improvisationszwang unter Zeitdruck reißt nicht ab.
Vor allem die klinische Studienphase frisst Zeit in der Medikamentenforschung, die im Moment eigentlich nicht da ist. Die Braunschweiger rechnen mit Erfolgen frühestens in einigen Monaten oder einem Jahr. Damit stehen sie nicht allein da. Klinische Studien zu Wirksamkeit und Verträglichkeit sind weltweit noch der Hinkefuß, auch bei der Impfstoffforschung. Um die Zeit zu überbrücken, testen Mediziner in ihrer Not auf den Intensivstationen Medikamente, die für andere Krankheiten zugelassen sind. Auch hierzu sind weltweit gerade zig klinische Studien in Arbeit. Die ersten von ihnen stehen schon als Preprints, also Vorveröffentlichungen, auf den Onlineplattformen der Wissenschaft.
Um der aktuellen Situation gerecht zu werden, startete ResearchGate Anfang April das neue Tool Covid-19 community auf seiner Webseite – Open Science par excellence. Nicht nur, weil erstmals Außenstehende ohne Profil mitverfolgen können, wie Wissenschaftler und Ärzte in diesem Forum über die neuesten Preprints und Befunde zum Coronavirus diskutieren und sich untereinander beraten; die hoch spezialisierte Gemeinschaft bewertet auch offen Dokumente, Daten und Links.
Sofort die Spreu vom Weizen trennen – das ist in Krisenzeiten eine wichtige Abkürzung. Gerade Preprints bergen Risiken, weil niemand sie vor dem Upload auf Herz und Nieren checkt. Im normalen Publikationsbetrieb gibt es ein aufwendiges und langwieriges Gutachterverfahren – das jetzt aber abzuwarten, während sich die Ereignisse in den Kliniken und Labors überschlagen, wäre absurd.