Wissenschaftskommunikation

Hanns im Duft

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Hanns Hatt (Foto: Christian Bohnenkamp)
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Seine große Entdeckung wäre womöglich sang- und klanglos untergegangen, wenn sich Hanns Hatt an die Konventionen gehalten hätte. „Spermien können Maiglöckchen riechen“ – so lautete vor rund zwei Jahrzehnten die Schlagzeile zu einem spektakulären Forschungsergebnis des Bochumer Duftforschers und sie ging weltweit durch die Medien. „Was haben mich manche Kollegen danach kritisiert!“, ruft Hanns Hatt, wenn er heute daran zurückdenkt. Er vereinfache zu stark oder seine Sprache sei unpräzise, hielten sie ihm vor. „Aber wenn ich geschrieben hätte: ‚Menschliche Spermatozoen reagieren positiv chemotaktisch auf die Zugabe von Bourgeonal‘, dann hätte das niemanden interessiert, obwohl es im Prinzip die gleiche Aussage ist.“

Hanns Hatt sitzt im vierten Stock in einem der Hochhäuser auf dem Campus der Bochumer Ruhr-Universität, sein Büro ist klein, die Wände schmucklos, denn meistens ist er sowieso unterwegs in den Büros und Labors seiner Arbeitsgruppe, die sich über die gesamte Etage verteilen. Was der Professor damals zusammen mit seinen Forscherkollegen entdeckte, hat in der Medizinforschung viele neue Hoffnungen geweckt und den Anstoß zu etlichen Medikamentenentwicklungen gegeben: Menschliche Zellen auch außerhalb der Nase reagieren auf Düfte, das war die tiefere Erkenntnis von Hanns Hatt, und selbst elementare Funktionen wie der Herzschlag lassen sich mit Düften regulieren.

„Wenn jemand hört, dass ich Riechforscher bin“, sagt der 72-Jährige, „dann kommt immer die gleiche Frage: ‚Was machst du da eigentlich genau?‘ Vermutlich sollte man sich mal einen anderen Namen einfallen lassen für mein Forschungsgebiet!“ Viele denken bei seiner Berufsbezeichnung zuerst an einen Parfümeur; tatsächlich aber beschäftigt sich Hatt, der in Biologie und Medizin promovierte, mit Zellphysiologie: Welche Bedeutung, welche Wirkung haben Duftstoffe auf der molekularen Ebene? Das ist die Leitfrage, um die sich seine Forschung dreht.

Logo Communicator-Preis
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Diese Forscher sind Stars. Denn sie arbeiten nicht nur in Labors, sitzen nicht nur in Bibliotheken. Stattdessen stehen sie als Medienprofis sehr oft auf den großen Bühnen des Landes. Sie können meisterhaft über Forschung reden, sie begeistern für das, was vielen Bürgern sonst nicht zugänglich wäre. Sie sind die besten Anwälte für die Sache der Wissenschaft.

Solche begnadeten Wissenschaftskommunikatoren als Vorbilder zu adeln und ihr außergewöhnliches Engagement zu belohnen, war im Jahr 2000 die Idee des Stifterverbandes und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Seitdem vergeben sie gemeinsam jährlich den „Communicator-Preis – Wissenschaftspreis des Stifterverbandes“. Der Stifterverband steuert das Preisgeld bei (50.000 Euro), die DFG sucht die Preisträger aus. 

„Wenn jemand hört, dass ich Riechforscher bin, kommt immer gleich die Frage: Was machst Du da eigentlich genau?“

Hans Hatt (Foto: Screenshot)
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Hanns Hatt

An den Tag, der diesem Wissenschaftsgebiet einen ungeahnten Schwung gab, erinnert sich Hanns Hatt noch minutiös. „Wir saßen da vorn in dem Besprechungsraum“, sagt er und deutet mit der Hand den langen Flur entlang, „und eine Diplomandin berichtete, sie habe bei einer genetischen Analyse Riechrezeptoren bei Spermien gefunden.“ Mehr als zwei Jahrzehnte liegt das zurück und Hatt zweifelte zunächst am Ergebnis seiner Studentin. Bald aber bestätigte sich ihre Entdeckung und Hatt und seine Kollegen spürten in immer mehr menschlichen Organen Riechrezeptoren auf. Diese Rezeptoren waren bis dahin nur aus der Nase bekannt: 350 verschiedene Typen von Riechrezeptoren hat der Mensch und jeder reagiert nur auf ganz bestimmte Duftstoffe in der eingeatmeten Luft. Je nachdem, welcher dieser Rezeptoren anspricht, erkennt das Gehirn, wonach es in der Umgebung riecht. Genauso reagieren die Riechrezeptoren, die über den ganzen menschlichen Körper ausgebreitet sind, aber mit „Riechen“ im eigentlichen Sinne haben sie nichts zu tun; sie beeinflussen jedoch die Zellfunktionen.

Maiglöckchen und Spermien

Hanns Hatt und seine Kollegen begannen fieberhaft zu untersuchen, mit welchen Duftstoffen sich die Rezeptoren an der Schilddrüse, in Magenzellen oder auch in Gehirntumorzellen aktivieren lassen. Durch die richtige Stimulation, da ist sich Hatt sicher, lässt sich beispielsweise Zellwachstum stimulieren oder auch bremsen. „Für die Diagnose, aber auch für die Therapie von Krankheiten werden diese Riechrezeptoren in Zukunft eine große Rolle spielen“, prophezeiht Hanns Hatt. Mit der Entdeckung seiner Studentin, dass es einen Riechrezeptor in menschlichen Spermien gibt, der durch einen maiglöckchenähnlichen Duft aktiviert wird, fing alles an, inzwischen sind mehr als zehn weitere Riechrezeptoren in Spermien bekannt und auch im Vaginalsekret wurden entsprechende Duftstoffe gefunden.

„Wenn Riechrezeptoren in Hautzellen aktiviert werden, geht die Wundheilung viel schneller vonstatten. “

Hans Hatt (Foto: Screenshot)
Hans Hatt (Foto: Screenshot)
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Hanns Hatt

„Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen mal etwas“, sagt Hanns Hatt und geht voran in den Nebenraum. In diesem befindet sich eines der Labore seiner Arbeitsgruppe; dort ist eine komplizierte Apparatur mit Schläuchen, Kabeln und Reagenzgläsern aufgebaut. Im Mittelpunkt steht ein hochempfindliches Messsystem, mit dem sich live und in Echtzeit Calciumveränderungen beobachten lassen – in ihm werden menschliche Körperzellen beduftet, die über dünne Schläuche herangeführt werden. „Auf die Art versuchen wir herauszufinden, mit welchen Duftstoffen wir konkrete Rezeptoren aktivieren oder blockieren können“, erklärt Hanns Hatt. Mit Haut und Haar funktioniert das schon in klinischen Studien erfolgreich: „In Hautzellen haben wir 20 bis 30 Riechrezeptoren gefunden und bei einigen davon konnten wir nachweisen: Wenn sie aktiviert werden, geht die Wundheilung viel schneller vonstatten. In Haarzellen können wir damit die Lebensdauer der Haare steigern und damit Menschen mit Haarverlust helfen.“ Weltweit waren Hanns Hatt und sein Labor die Ersten, die einen menschlichen Riechrezeptor und einen menschlichen Pheromonrezeptor entschlüsselt haben, und auch die Ersten, die bei Insekten einen Rezeptor mit einem Duft aktivieren konnten.

Es ist eine faszinierende Welt, die Hanns Hatt erforscht – und es ist eine Welt, die er meisterhaft vermitteln kann. Gerade erst hatte er eine Gastprofessur in Mainz inne, ein Semester lang hielt er Vorlesungen über seine Arbeit. „Und stellen Sie sich vor: Da kamen jede Woche etwa 1.000 Leute in den Hörsaal.“ Über die kulturhistorische Bedeutung von Gerüchen referierte Hanns Hatt, über die biologischen Grundlagen, den Einsatz im Marketing und in der Parfümerie sowie über die menschliche Duftkommunikation und darüber, wie wir Düfte in Zukunft beim Erkennen von Krankheiten, aber auch bei der Therapie einsetzen können. „Ich kann nicht singen und ich kann nicht malen, diese Gabe habe ich nicht. Aber ich kann ganz gut so über meine Forschung sprechen, dass es die Zuhörer interessiert und begeistert. Ich könnte tagelang darüber reden!“

Hans Hatt (Foto: Screenshot)
Hans Hatt (Foto: Screenshot)
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"Ich gehe mit offener Nase durch die Welt."

Hanns Hatt im Videoporträt

Video aus der Reihe "Forschergestalten"

Hatts dufte Welt

Für seine Vorlesungen wurde Hanns Hatt häufig von den Studenten ausgezeichnet, seine Vorträge wie jene in Mainz werden regelmäßig überrannt von Zuhörern. Im ZDF war er erfolgreich mit der mehrteiligen Sendung „Vom Reiz der Sinne“, in Spektrum der Wissenschaft gehört seine Kolumne „Hatts dufte Welt“ seit einem Jahr zu den Attraktionen; seine populärwissenschaftlichen Bücher Niemand riecht so gut wie du und Das  kleine Buch vom Riechen und Schmecken wurden international zu Bestsellern. „Aber Vorsicht“, sagt Hanns Hatt: „Wir vereinfachen ja nicht grundsätzlich alles – wir haben auch zahlreiche Veröffentlichungen in den angesehensten wissenschaftlichen Zeitschriften, und da ist der Ton natürlich ein anderer!“ Seriöse Wissenschaft und verständliche Vermittlung der Ergebnisse schließen sich nicht aus; das ist eine von Hanns Hatts Kernbotschaften. „Als ich angefangen habe, hat der Geruchssinn keinen Menschen interessiert“, sagt er. „Wenn es bei Kongressen überhaupt ein Thema war, dann stand es am Schluss des allerletzten Tags auf dem Programm, wo alle Teilnehmer schon ihre Koffer gepackt hatten.“ Das sei inzwischen anders – und dazu haben seine Forschungsergebnisse sicher ebenso beigetragen wie die Tatsache, dass er deren Relevanz bei seinen Auftritten selbst medizinischen Laien erklären kann. Derzeit ist Hanns Hatt auch Präsident der Union der deutschen Akademien der Wissenschaft. Sein wichtigstes Ziel, das er zu Beginn der Amtszeit ausgab: die Wissenschaftskommunikation.

„Ich selbst gehe mit offener Nase durch die Welt“, sagt Hanns Hatt und lacht: „So wie ein Hund!“ In seinen Vorträgen fordert er die Zuhörer auf, ihre täglichen Wege einmal mit der Nase zu kartieren: Die duftende Hecke vor dem Haus, die Kreuzung mit dem Abgasgestank, die Restaurantküche an der Ecke. „Das ist eine faszinierende Welt, die sich da vor einem öffnet!“ Einmal hat er diese Welt sogar selbst in ein kleines Fläschchen kondensiert: Als die Ruhr-Universität Bochum im Jahr 2015 ihr 50. Jubiläum gefeiert hat, kreierte Hanns Hatt zusammen mit einem Parfümeur einen eigenen Duft für die Universität. „Er soll Frische, Entspannung, Konzentration und Kommunikation vermitteln“, sagt er – „und er besteht ausschließlich aus Duftstoffen, die wir hier in unseren Labors schon selbst untersucht haben.“ Der Name des Parfums, das daraus entstanden ist, spricht Bände: „Knowledge“ heißt es.

Die Lust auf Wissen scheint ungestillt.

Über diese Serie

20 Jahre Communicator-Preis - Grund genug für MERTON, die bisherigen 20 Preisträger in einer besonderen Bild- und Artikelserie zu würdigen. Nicht nur der Fotograf Christian Bohnenkamp setzt die Protagonisten in stimmungsvolles Licht, auch der Autor Kilian Kirchgeßner bringt sie in seinen Texten zum Leuchten. Wer die ausdrucksstarke Bilder einmal aus der Nähe sehen will: Das Wissenschaftszentrum Bonn präsentiert die Werke voraussichtich im Sommer 2021 in einer kleinen Retrospektive. 

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