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Kritische Freunde

Teilnehmer beim Forum Hochschulräte 2019.
Teilnehmer beim Forum Hochschulräte 2019. (Foto: David Ausserhofer)
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Immer mit den Besten vergleichen und sie auch die eigenen Argumente testen lassen! Diesen Rat bekam Kerstin Krieglstein von ihrem Vater. Heute greift sie diese Lebensweisheit als Rektorin der Universität Konstanz gern auf: „Für mich sind Gegenargumente wertvoll und ich empfinde diejenigen, die sie aussprechen, nicht als Gegner.“ Dies gelte insbesondere für die Experten des Hochschulrates der Universität Konstanz, so Krieglstein: „Ich sehe sie als wohlwollende, kritische Sparringspartner, die mir dabei helfen, dass unsere Argumente aus der Hochschulleitung plausibler, verbindlicher und damit besser werden.“

Ohne Ansichten, Kritik und Argumente von außen seien Hochschulleitungen schnell in den eigenen Problemen gefangen, ist die Rektorin überzeugt. Der Hochschulrat sei ein wunderbares Instrument, um diese Blase früh zu verlassen – im vertrauensvollen Wechselspiel der Argumente. Krieglstein testet mit ihm Visionen, Pläne und Strategien für die Universität Konstanz, noch bevor diese an ein größeres Auditorium gelangen, wo sie dann mit weiteren Personen erneut weiterentwickelt werden.

Sie schätze und genieße diesen diskursiven Prozess nicht nur, so Rektorin Krieglstein, sondern er bringe definitiv das Anliegen voran: Die Universität Konstanz im Einzelnen, aber auch das Hochschulsystem im Ganzen auf große Herausforderungen auszurichten, wie den digitalen Wandel, den Klimawandel oder den weltweiten Wettstreit um die klügsten Studierenden und Wissenschaftler. 

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Kerstin Krieglstein (Foto: Universität Konstanz)
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Uni-Rektorin Krieglstein: „Hochschulräte sind keine Gegner"

Schaut man in die Vergangenheit, so stand es um den Ruf der Hochschulräte zunächst schlecht. Kein Wunder, denn sie bekamen gleich zu Anfang von vielen den Stempel „Kontrollorgan“ aufgedrückt. Erdacht wurden sie vor 20 Jahren, als die deutschen Länderministerien die Hochschulen in die Autonomie entließen. Hochschulräte wurden ein neues Gremium und Teil der Steuerung von Universitäten und Fachhochschulen. Sie sollten beraten, aber sie übernahmen auch Kontrollfunktionen, die zuvor die Ministerien innehatten. Wie weit das gehen darf, definieren bis heute die jeweiligen Ländergesetze.

Annette Fugmann-Heesing kann sich an diese ersten Jahre gut erinnern. Die SPD-Politikerin und frühere hessische Finanzministerin ist mittlerweile Finanzberaterin und seit 2008 Vorsitzende des Hochschulrates der Universität Bielefeld. „Die Einführung der Hochschulräte war heiß umstritten“, so Fugmann-Heesing. Gerade in den Hochschulsenaten und bei den Gewerkschaften habe es teils erhebliche Widerstände gegen sie gegeben. Es gab Vorwürfe, die Politik wolle über die Hochschulräte die Universitäten fremdsteuern und ökonomisieren. „Sie sind auch heute nicht völlig unumstritten, ein Teil dieser Kritik ist aber mittlerweile verstummt“, sagt Fugmann-Heesing – auch dank des Forums Hochschulräte.

Dieses Forum existiert seit 2009 und ist ein gemeinsames Projekt der Heinz Nixdorf Stiftung und des Stifterverbandes, in Kooperation mit dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Es gab keine Blaupausen dafür, wie gute Hochschulratsarbeit funktioniert, was die Partner ändern wollten. „Die Landesgesetze und die Zusammensetzung der Hochschulräte sind deutschlandweit sehr unterschiedlich und es gab den starken Wunsch, dies alles besser zu überblicken, damit man voneinander lernen kann“, so Horst Nasko, Vorstand der Heinz Nixdorf Stiftung.

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Annette Fugmann-Heesing (Foto: David Ausserhofer)
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SPD-Politikerin Fugmann-Heesing: „Die Kritik ist teilweise verstummt."

Hochschulräte haben enorme Verantwortung

Auch heute noch ist das Forum Hochschulräte die einzige Plattform in Deutschland, wo sich Hochschulräte frei und offen austauschen können. Frank Ziegele, Geschäftsführer des CHE, hält dies für notwendig: „Hochschulräte haben eine enorme Verantwortung, weil sie in den meisten Bundesländern über die strategische Ausrichtung der Universitäten, also deren Zukunft, mitentscheiden.“

Das Forum hilft den Hochschulräten dabei, diese Aufgabe gut und professionell anzugehen. Bereits 2010 erarbeitete die Gemeinschaft ein Handbuch. Über die Jahre folgten mehrere Positionspapiere mit Forderungen an die Politik, wie die Hochschularbeit im 21. Jahrhundert gestaltet werden solle. Langsam kristallisierte sich die Rolle der Hochschulräte heraus: als Brücke zwischen Hochschule und Gesellschaft, über die Informationen effektiv hin- und herfließen können.

Aus Sicht von Constantin Pittruff kann diese Brücke gar nicht breit genug sein. Er ist studentisches Mitglied des Hochschulrates der Hochschule München und mit dem Tempo unzufrieden, das die deutsche Hochschullandschaft bei der Lösung drängender Probleme aktuell an den Tag legt: „Hochschulen sollten Treiber der gesellschaftlichen Entwicklungen sein und den wichtigen Trends nicht hinterherrennen.“ Pittruff würde deshalb gern zusätzliche Akteure im Hochschulrat sehen – vom Schulleiter bis zur Klimaaktivistin: „Es gibt in unserer Gesellschaft viele Persönlichkeiten, die sehr gute Arbeit leisten – aber eben noch nicht in den richtigen Gremien.“

Wie Kerstin Krieglstein hält Constantin Pittruff eine gesunde Streitkultur zwischen Hochschulleitung und Hochschulrat für essenziell: „Wir sind die kritischen Freunde, die dafür sorgen, dass Reibungspunkte und neue Ideen entstehen – ansonsten würde ja alles so bleiben, wie es ist.“ 

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Constantin Pittruff (Foto: Johanna Weber / Hochschule München)
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Hochschulrat Pittruff: Hochschulräte diverser und jünger machen

Hierfür könnten die Hochschulräte noch weitaus besser aufgestellt werden, in ihnen schlummerten definitiv nicht ausgeschöpfte Potenziale, glaubt der Student. Eine Idee sei, sie diverser und jünger zu machen. Pittruff weist darauf hin, dass sich die Personalien der Hochschulräte definitiv langsamer entwickelten als die politische und gesellschaftliche Debatte draußen.

Wie gelingt dieser informelle Austausch über die Brücke Hochschulrat besonders gut? Diese Frage treibt auch das Forum um. Um Licht ins Dunkel zu bekommen, ließen die Kooperationspartner 2019 systematisch Mitglieder der Hochschulräte befragen.

„Hochschulen sollten Treiber der gesellschaftlichen Entwicklungen sein und den wichtigen Trends nicht hinterherrennen.“

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Constantin Pittruff (Foto: Johanna Weber / Hochschule München)
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Constantin Pittruff
Mitglied des Hochschulrates der Hochschule München

Herausgekommen ist die bundesweite Studie „Kritische Freunde“, die einige Überraschungen parat hielt, wie Mathias Winde, Leiter des Aktionsfeldes Wissenschaft im Stifterverband und einer der Autoren der Studie, beschreibt: „Wir konnten erkennen, dass sich weitaus nicht alle Hochschulräte darüber einig waren, welche Aufgaben sie an ihrer Hochschule oder in ihrem Bundesland übertragen bekommen hatten.“ Das Aufgabenprofil und auch die Erwartungen des Landes an Hochschulräte sollten deshalb deutlicher kommuniziert werden.

 

Gleichzeitig seien solche Leerstellen und Grauzonen aber auch Chancen – wenn nicht alles juristisch festgezurrt sei, bleibe Luft für Neues, so Winde: „Wir haben interessante Freiräume entdeckt, die Hochschulräte nutzen und gestalten können.“ So sind Hochschulräte frei, ganz eigene Profile zu entwickeln, die auf die Hochschule, die Region und das Fächerprofil zugeschnitten sind.

Was die Studie belegt: Bundesweit kommt jeder dritte Hochschulrat aus der eigenen Hochschule, vier von zehn Hochschulräten sind Frauen. Die meisten Mitglieder, 52 Prozent, kommen aus dem Wissenschaftssystem, 30 Prozent aus der Wirtschaft und insgesamt 18 Prozent aus Politik, Gesellschaft und anderen Bereichen. Die Wirtschaftsvertreter kommen zu rund zwei Dritteln aus Großunternehmen, der Rest aus kleinen und mittleren Unternehmen. Die Studie zeigt allerdings auch einen Schwachpunkt auf: Juristische Kenntnisse aus dem wissenschaftspolitischen Feld sind bei den Mitgliedern in Hochschulräten häufig nicht vorhanden.

Interessant ist die Zusammensetzung der Kompetenzen, findet Mathias Winde: Viele Wissenschaftler im Hochschulrat verfügten über Managementerfahrungen, weil sie teils schon in der Wirtschaft gearbeitet hätten. Auf der anderen Seite besäßen erstaunlich viele Wirtschaftsvertreter im Hochschulrat Erfahrungen mit Forschung und Lehre. „Die meisten Hochschulratsmitglieder waren also schon in beiden Welten unterwegs, was das Verständnis füreinander hebt."

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Cover: Stifterverband
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Studie „Kritische Freunde"

Hochschulräte kommen vorrangig aus der Wissenschaft und sehen sich vor allem als strategische Berater der Hochschulleitungen. Die Mehrheit ist mit den Rahmenbedingungen einverstanden, wünscht sich aber klar definierte Aufgaben und Entscheidungsrechte. 70 Prozent der Hochschulräte erhalten keine Aufwandsentschädigung, nur sechs Prozent haben ein eigenes Budget zur Verfügung. Das sind Ergebnisse einer Umfrage unter allen Hochschulräten in Deutschland. Die Studie "Kritische Freunde" wurde auf der Festveranstaltung zum zehnjährigen Jubiläum des Forums Hochschulräte in Berlin am 20. September 2019 veröffentlicht.

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