Wissenschaftskommunikation

Eine neue Kultur der Wissenschaftskommunikation

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27. Mai 1999: Spitzen der Wissenschaft diskutieren in Bonn das PUSH-Memorandum. (Foto: David Ausserhofer)
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Mit dem PUSH-Memorandum 1999 sollten verschiedene Ziele im Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft erreicht werden (PUSH: Public Understanding of Sciences and Humanities). Ein paar Stichworte, die das Papier durchziehen: Erstens, das Thema Begeisterung für Wissenschaft. Damit wurde ein Thema adressiert, das vor 20 Jahren und auch heute noch relevant ist, nämlich, dass es in bestimmten wissenschaftlichen Fächern, gerade in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern, zu wenig Nachwuchs gibt. Zweitens, das Thema Transparenz und Legitimation von Wissenschaft in einem gesellschaftlichen Umfeld, das viel Geld in die Wissenschaft investiert. Drittens das Thema Wissensvermittlung, im Papier adressiert mit Begriffen wie „Experten-Laien-Kommunikation“. Auf einer Meta-Ebene betrachtet lässt sich sagen: Das PUSH-Memorandum schwankt durchgehend zwischen zwei Kommunikationszielen: zum einen Verständnis für Wissenschaft wecken und zum anderen Verständigung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft betreiben. Verständnis und Verständigung brauchen aber sehr unterschiedliche Kommunikations-Modi: Der dominierende Kommunikations-Modus für Verständnis ist Erklärung, der dominierende Kommunikations-Modus für Verständigung ist Verhandlung

Wenn man sich anschaut, was in den vergangenen 20 Jahren passiert ist, dann wird deutlich, dass für das Gebiet der Erklärung – also „wie vermittle ich wissenschaftliche Forschung und Ergebnisse an die Bevölkerung" – mit großem Erfolg und viel Aufwand der Kommunikationsabteilungen der Wissenschaftsinstitutionen ein Übermaß an Formaten entwickelt worden ist. Man kann pointiert sagen: Es gibt kaum einen Marktplatz in Deutschland, wo nicht Wissenschaft auf die Straße gegangen ist und in vielen Formaten Expertenwissen mit der Gesellschaft ausgetauscht hat. Das ist erfolgreich passiert, da gibt es kaum eine Lücke.

Und doch sprechen aktuell viele von einer Krise der Wissenschaftskommunikation. Von einer wachsenden Wissenschaftsfeindlichkeit in der Gesellschaft, eingebettet in eine insgesamt wachsende Elitenkritik. Die Veränderungen, denen sich die Wissenschaft stellen muss, sind selbstverständlich unmittelbar mit Transformationsprozessen in vielen anderen Gesellschaftsbereichen verknüpft. Zum Beispiel mit einem rasanten Transformationsprozess der Medien. Nicht nur darbt der Wissenschaftsjournalismus – viel gravierender sind insgesamt Tendenzen der Hysterisierung, der Egalisierung, der Skandalisierung, der Kommentierung und Moralisierung in den Medien, in denen gut recherchierte Berichterstattung und Tiefgründigkeit ins Hintertreffen geraten. Auch die Gesellschaft hat sich rasant gewandelt in den vergangenen 20 Jahren: Themen wie Transparenz und Partizipation haben eine ganz andere Konjunktur als um die Jahrtausendwende. Und schließlich hat sich auch die Wissenschaft verändert. Sie stößt mit Themen wie Künstliche Intelligenz oder den gentechnischen Entwicklungen in den Lebenswissenschaften in die Tiefen von Manipulationen und Kreationen von sich selbst regulierenden und vom Menschen kaum noch zu kontrollierenden Systemen vor, die den in der Öffentlichkeit und der Politik insgesamt wahrgenommenen Kontrollverlust über das, was da „um uns herum passiert“ zusätzliche Nahrung geben. 

 

Wissenschaft im Kampfmodus

Doch das alles erklärt nicht hinreichend das in der Wissenschaft und in der Profession der Wissenschaftskommunikatoren verbreitete Krisengefühl und die eher gespürten als belegten neuen gesellschaftlichen Vorbehalte gegenüber der Wissenschaft. Vieles wird oft richtig beobachtet und beschrieben und doch in ihren Gründen, Ursachen und Ausprägungen, so denke ich, nur wenig verstanden. 

Diese Gründe haben paradoxerweise nicht mit einem Zuwenig an Wissenschaftskommunikation und ihren Erfolgen zu tun, mit einem Zuwenig an Rezeption von Wissenschaftsergebnissen in der Bevölkerung, sondern im Gegenteil. Wissenschaftskommunikation ist heute so erfolgreich wie nie in der Vergangenheit. Erst einmal quantitativ: Wissenschaft bedient mittlerweile alle sozialen Medien, die PR-Abteilungen der wissenschaftlichen Einrichtungen sind deutlich gewachsen, auch von der Mitarbeiterzahl her, der Output an Wissenschaftskommunikation ist erstaunlich hoch. 

Das ist sicher auch eine Folge von PUSH, aber vor allem die Folge einer sich zunehmend im Kampfmodus befindenden institutionellen Entwicklung: Angestachelt durch einen Profilbildungswettlauf, der auch durch eine unglaublich gewachsene Drittmittelorientierung und -finanzierung verursacht wurde. Infolgedessen wurde die Marketing-Seite von Wissenschaftskommunikation deutlich gestärkt und professionalisiert.

Was sich in den vergangenen 20 Jahren aber eben auch dramatisch verändert hat, ist das Thema Verständigung. Wissenschaft hat heute eine ganz andere Bedeutung in der Gesellschaft als noch vor 20 Jahren. Etwa in der Art und Weise, wie das gesellschaftliche Leben und die politische Diskurse durch Wissenschaft geprägt sind. Das wiederum ist eng mit dem Kommunikations-Modus Verhandlung verbunden. Und genau hier gibt es paradoxerweise zugleich die größten Erfolge und die größten Schwierigkeiten in der Kommunikation mit und über Wissenschaft. Ich bin davon überzeugt: Erst wenn dieses komplexe Kommunikationsgebilde richtig verstanden wird, kommen wir in eine neue Kultur der Wissenschaftskommunikation, gewissermaßen in einen „PUSH mode two“.

Wenn Wissenschaft politisch wird

Schauen wir uns einmal Ausprägungen dieses komplexen Beziehungsgeflechtes an. Zwei aktuelle politische Debatten liefern hier einen sehr erkenntnisreichen Gegenstand: Zum einen die Wissenschaftsthemen Klima- und die Biodiversitäts­forschung. Beide sind unfassbar erfolgreich in ihrer Kommunikation, so erfolgreich, dass sie – auf wissenschafts­basierten Kongressen – weltweite Sustainability-Ziele formuliert haben, die nun Politik und Gesellschaft prägen. Die jüngste Artenschutz-Konferenz, wo Forscher die weltweiten Ergebnisse von Biodiversitäts­studien zusammengetragen haben, war fünf Tage lang die Top-Meldung in der Tagesschau. Das ist ein großartiger kommunikativer Erfolg. Das ist auch ein großartiger politischer Erfolg. Das ist eine Erfolgsgeschichte für eine wissenschafts­geprägte Gesellschaft.

Wir beobachten aber auch: Da, wo Wissenschaft politisch wird, kommt sie in einen Diskursraum, in dem sie angegriffen wird. Das ist die Kehrseite des Erfolges. Und hierüber muss die Wissenschaft viel tiefgreifender nachdenken und reden als bisher. Es reicht nicht für die Wissenschaft, sich elegant aus der Affäre ziehen zu wollen mit dem Argument, man liefere ja nur objektive Daten und Fakten, die politischen Entscheidungen treffen andere. So einfach kommt man aus diesem politisch-kommunikativen Komplex nicht raus! 

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Volker Meyer-Guckel (Foto: David Ausserhofer)
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Der Autor

Volker Meyer-Guckel ist seit 2005 stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbandes. Er ist unter anderem Mitglied im Global Learning Council, geschäftsführender Vorstand der Stiftung Bildung und Gesellschaft, Mitglied im Vorstand der Hermann und Lilly Schilling-Stiftung, Vorsitzender des Stiftungsrates der Leuphana Universität Lüneburg und Mitglied im Stiftungsrat der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).

 

Plötzlich nämlich befinden wir uns in ganz anderen Diskurswelten, in denen beispielsweise zwischen Freiheit und Gemeinwohl entschieden wird, etwa durch Gesetze über das Dieselfahrverbot in Städten, basierend auf Forschungen über die Wirkung von Feinstaub. Oder beim geplanten Impfschutzgesetz, das maßgeblich beeinflusst wurde von den Positionen der Wissenschaft. Kein Wunder, dass gerade diejenigen Felder der Wissenschaft den größten politischen Attacken ausgesetzt sind, die die größte politische Wirkung erzielen: US-Präsident Trump schränkt ja nicht die Mediävistik- oder die Mathematik-Forschung ein. Er versucht, der Forschung zur Energiewende, zum Klimawandel und zu Genderfragen den Geldhahn zuzudrehen.

„Es reicht nicht für die Wissenschaft, sich elegant aus der Affäre ziehen zu wollen mit dem Argument, man liefere ja nur objektive Daten und Fakten, die politischen Entscheidungen treffen andere.“

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Volker Meyer-Guckel (Foto: David Ausserhofer)
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Volker Meyer-Guckel

Peter Strohschneider hat 2017 in einer Rede in Halle davor gewarnt, dass Wissenschaft immer dort in Gefahr geriete, wo sie in einen Machtbezug gedrängt wird. Den Autokraten und Populisten wird freie Wissenschaft zum Objekt von Polemik und Verdächtigungsmachung. Anstelle des „Sachverhaltsbezugs rücken sie einen Machtbezug. […] Wahrheit wird zur Funktion von  Macht.“ Genauso gefährlich aber wird es, so Strohschneider, wenn „Demokratie auf die Exekutierung von Forschungsergebnissen“ reduziert wird. Dass in dieser Vision einer „Szientokratie“ auch eine Sehnsucht vieler Wissenschaftler steckt, zeigen nicht nur „There Are No Alternatives To Facts“-Plakate auf den Marches for Science, sondern auch einige Positionen derjenigen Wissenschaftler, die sich der „transformativen Wissenschaft“ verschrieben haben, die explizit gesellschaftliche Veränderung zum Ziel hat.

Phänomen Rezo

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YouTuber Rezo (Screenshot)
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Eine besondere Aufmerksamkeit in diesem Zusammenhang verdient nun die aktuelle Diskussion über das Phänomen Rezo, über das geredet wird, als würde durch sein YouTube-Video „Die Zerstörung der CDU“ eine Zeitenwende in der politischen Kommunikation eingeleitet. Ich empfehle jedem Wissenschaftler und allen Wissenschaftskommunikatoren, dieses Video und die nachfolgende politische Debatte einmal genau zu analysieren. Was zeigt sich hier? Die gesamte Video-Polemik ist durch einen permanenten Rückgriff auf wissenschaftliche Ergebnisse und Quellen geprägt. Das demonstriert zum einen: Es gibt kein mediales Transportproblem der Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen, „digga“, die jungen Menschen sind so gut über Wissenschaft informiert wie nie zuvor! Das gesamte Video trieft nur so vor wissenschaftlichen Erkenntnissen. Und es mündet schließlich in der vernichtend-verdichtenden Aussage des YouTubers: „Wir haben gesehen, der Konsens unter den (Wissenschaftlern) ist, der aktuelle Kurs von SPD und CDU wird unsere Zukunft zerstören.“

Wie reagieren nun die zutiefst verunsicherten angegriffenen Parteien (allesamt keine Populisten oder Autokraten, sondern die politische Mitte Deutschlands)? Mit den gleichen Hau-drauf-Vokabeln eines Herrn Trump. Rezo präsentiere doch nur „Pseudo-Fakten“. Mit anderen Worten, die Politiker stellen die Fakten in Frage, nicht die Art und Weise ihrer Zusammenstellung und ihres in Bezug-Setzens. Eigentlich müsste die Wissenschaft alarmiert einschreiten in diese Debatte, doch sie schweigt bislang weitgehend. Genau dies markiert aber einen blinden Fleck in der Wissenskommunikation: Wir müssen wegkommen vom Modus der Ergebnispräsentation hin in einen kontextualisierenden Modus, in dem es mehr um das Begreifen von wissenschaftlichen Methoden geht, um den Umgang mit Irritation, um Redlichkeit, politische Bildung, Pluralismus und um Skepsisbildung. Ich glaube, hierzu bedarf es wirklich einer großen Reflektionsphase in der Wissenschaft, begleitet von Forschung über Wissenschaftskommunikation und eine Neuverordnung von Wissenschaft innerhalb der politischen Theorie. 

Was ein neues PUSH leisten müsste

Wissenschaft muss mehr über ihre Rolle in der Gesellschaft nachdenken, reden und verhandeln. Diese veränderte Rolle ist noch nicht hinreichend reflektiert – auf beiden Seiten, weder in der Politik noch in der Wissenschaft. Ich glaube, wir müssen die Abkürzung PUSH transformieren, von einem „Public Understanding of Science and Humanities", seiner Ursprungsbedeutung, in eine neue Begrifflichkeit des „Political Understanding of Science and Humanities". Wobei das „of" einerseits bedeutet, dass diese Wissenschaftszweige in ihren politischen Wirkungen verstanden werden sollen, andererseits brauchen „Science und Humanities" selbst eine politische Bewusstseinsbildung, die bei vielen Wissenschaftlern nicht hinreichend vorhanden ist. Um es plakativ zu sagen: Es bedarf keiner Schulungsformate mehr dazu, wie sich Wissenschaftler am besten vor der Kamera präsentieren. Es bedarf aber neuer Formate, die der Frage nachgehen, welches Rollenverständnis ich als Wissenschaftler in der Gesellschaft habe, in welchen Diskursformaten ich mich in unterschiedlichen Rollen bewege und welche Verbindungen es zwischen Kommunikations- und Debattenstrukturen innerhalb und außerhalb der Wissenschaft gibt. Das ist etwas, was man sowohl theoretisch als auch praktisch reflektieren und gleichzeitig einüben muss. Kurzum: Neben der Wissenschaftsmündigkeit der Öffentlichkeit (PUSH I) benötigen wir also eine Art Öffentlichkeitsmündigkeit der Wissenschaft (PUSH II).

Wie schwer sich die Wissenschaft noch damit tut, dies auch als Aufgabe von Wissenschaftskommunikation zu begreifen, hat Jens Rehländer, Kommunikationsleiter der VolkswagenStiftung, in einem Artikel in der FAZ herausgearbeitet, indem er darauf verweist, dass die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und die DFG die „Leitlinien für gute Wissenschaftskommunikation" deshalb nicht unterstützt haben, weil in dem Papier Verbindungslinien hergestellt worden sind zwischen Kommunikation und wissenschaftlicher Redlichkeit, also guter wissenschaftlicher Praxis, oder zwischen Wissenschaftskommunikation und Transparenz. Begründung von HRK und DFG: Das habe ja nichts mit Kommunikation zu tun. Noch immer pflegt man in der Wissenschaft also eine Art geistiger Kompartementalisierung, als sei das eine nicht ein Teil vom anderen. Das ist natürlich Unsinn und man muss in diesem Zusammenhang nicht nur auf das oft hilf- und sprachlose Re-Agieren der Wissenschaft verweisen, wenn eine Plattform wie Vroni-Plag, die nicht von der Wissenschaft betrieben wird, wieder einmal Qualitätsmängel der Forschung und ihrer Kontrolle nachweist.

Zu Wissenschaftskommunikation gehört selbstverständlich auch eine öffentliche Debatte über politische Begriffe wie Pluralismus und Freiheit. Erste Ansätze dazu liefert die Kampagne der Wissenschaftsallianz zum Thema „70 Jahre Grundgesetz.“ Klar: Die Wissenschaft setzt sich vehement für wissenschaftliche Freiheit ein, protestiert etwa geschlossen für den Erhalt der Central European University in Budapest oder die Verfolgung von Wissenschaftlern unter autoritären Regimen. Sie sollte aber auch aufschreien, wenn in Amerika ein Harvard-Professor seines Amtes enthoben wird, weil er als Jurist Harvey Weinstein, dem sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden, vor Gericht verteidigt oder wenn wegen vermeintlicher Minoritäten-Empfindlichkeiten Sprech- und Debattenverbote um sich greifen. Auch der deutsche Campus ist nicht vor einem quasi politisch umgekehrten McCarthyismus geschützt, wie Angriffe auf Professoren wie Jörg Baberowski oder Susanne Schröter zeigen.  

Der wissenschaftliche Diskurs in der Öffentlichkeit ist eben immer auch ein politischer – und unterscheidet sich doch gravierend. Dies im Dialog mit der Gesellschaft herauszuarbeiten, ist eine Daueraufgabe, die nicht in ad hoc eingerichteten Wissenschafts-Arbeitsgruppen zur Politikberatung aufbereitet werden kann. Dazu braucht es die Wissenschaftskommunikation und zunehmend auch eine sie begleitende Forschung.

 

(Dieser Beitrag erschien zuerst auf Reiner Korbmanns Blog „Wissenschaft kommuniziert".)

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