Chancengerechtigkeit

Ende der Kreidezeit

Andreas Hofmann (Foto: Valeska Achenbach)
Andreas Hofmann (Foto: Valeska Achenbach)
©

Anstehende Wahlen sind eine Steilvorlage für jeden Politik- und Geschichtslehrer. Egal, ob auf Landtags- oder Bundestagsebene, die Fragen sind die gleichen: Wie funktionieren politische Wahlen, wie läuft der Wahlkampf ab? Worum geht es Politikern und wie dicht sind sie dran am Wahlvolk? In den Zeiten von Social Media können Schüler auch virtuell ins direkte Gespräch mit Abgeordneten einsteigen: via Twitter beispielsweise.

„Viele Abgeordnete nutzen diesen Kanal gern, um mit ihren potenziellen Wählern in Kontakt zu treten. Für die Schüler ist diese Interaktion toll, denn so verliert Politik das Abstrakte. Und da sehr viele von ihnen ebenfalls auf diversen Social-Media-Plattformen unterwegs sind, ist es vertrautes Terrain“, sagt Andreas Hofmann, Medienberater, Coach und Lehrer, der damit sehr gute Erfahrungen in seinem eigenen Unterricht gemacht hat. Er weiß allerdings, dass viele Lehrerkollegen Social Media im Unterricht scheuen wie der Teufel das Weihwasser und solche Unterrichtseinheiten lieber modellhaft am Beispiel erfundener Politikerpersönlichkeiten bestreiten.

Andreas Hofmann (Foto: Valeska Achenbach)
Andreas Hofmann (Foto: Valeska Achenbach)
©
Der Lehrer Andreas Hofmann arbeitet heute als Medienberater und Coach.

PCs aus der digitalen Steinzeit

Hofmann gehörte bis vor Kurzem zum Lehrerkollegium der Waldschule Hatten in der Nähe von Oldenburg. 15 Jahre lang, bis zum Sommer 2018, war der Mittvierziger dort Lehrer für Geschichte, Politik und Englisch. Dank einer aufgeschlossenen Schulleiterin gilt die Oberschule, die bis zum mittleren Schulabschluss führt, inzwischen als digitale Vorzeigeschule in Niedersachsen. Andreas Hofmann erinnert sich noch an ganz andere Zeiten, mit leichtem Grausen: „Als Referendar habe ich an der Waldschule die Administration der Computerbestände übernommen. Das klingt toll – doch dahinter verbargen sich PCs aus der digitalen Steinzeit. Ausgemusterte Geräte, die die örtliche Sparkasse der Schule gespendet hatte.“ Seine Schule sei natürlich kein Einzelfall gewesen. Schlimmer noch: „Es ist heute an vielen Schulen immer noch Standard, dass man versucht, uralte Computer mit neuen Einzelteilen auf Leistungsfähigkeit zu trimmen.“ Was natürlich oft nicht funktioniere.

Der DigitalPakt Schule soll diesen Zustand nun beenden: 5 Milliarden Euro wollen Bund und Länder für die Ausstattung der Schulen mit Hard- und Software ausgeben, vor allem leistungsfähige Notebooks und Tablets fehlen allerorten. Das sei längst überfällig, findet Hofmann, der heute als selbstständiger medienpädagogischer Berater deutschlandweit mit Schulen Konzepte für eine sinnvolle Implementierung digitaler Technik in den Unterricht entwickelt und Unternehmen bei Change-Management-Prozessen berät.

„Es ist heute an vielen Schulen immer noch Standard, dass man versucht, uralte Computer mit neuen Einzelteilen auf Leistungsfähigkeit zu trimmen.“

Andreas Hofmann (Foto: Valeska Achenbach)
Andreas Hofmann (Foto: Valeska Achenbach)
©
Andreas Hofmann

Tablets für die Schule

Auch Lehrer müssen oft erst lernen, wie man mit Tablets und Smartphones richtig umgeht.
Foto: Valeska Achenbach
Foto: Valeska Achenbach
©

An seiner eigenen Schule ließ er bereits 2008 mit Unterstützung der Schulleitung und der Eltern Notebooks für den Unterricht der achten Klassenstufe anschaffen und führte 2012 als Schulbeauftragter für Medien im Unterricht Tablets an der Waldschule ein. Seit dieser Zeit war Hofmann neben seiner Arbeit als Lehrer auch als Berater des Niedersächsischen Landesinstituts für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) abgeordnet – so konnte er bereits früh viele Kontakte zu anderen niedersächsischen Schulen knüpfen. Aus den Softwareschulungen, die er als NLQ-Berater gab, entstand die Idee, komplette Digitalisierungskonzepte für die Schulen zu erarbeiten. Schließlich verabschiedete Hofmann sich ganz aus dem Schuldienst. Der sei für ihn, trotz der netten Kollegen, zu sehr Hamsterrad gewesen und habe letztlich zu wenig kreativen Spielraum geboten, bedauert Hofmann.

„In deutschen Kinderzimmern wird viel auf Smartphones und auf Tablets herumgewischt. Theoretisch sind unsere Kinder Asse, wenn es um den Umgang mit Social Media, Downloads und Apps geht. Praktisch haben viele von ihnen aber nur eine sehr verschwommene Vorstellung davon, wie das World Wide Web wirklich funktioniert – wie man es kreativ nutzen kann und auch was davon mit Vorsicht zu genießen ist“, sagt der Pädagoge, der selbst zwei Kinder im Alter von sechs und zehn Jahren hat. Viele Schulen seien jedoch etwas planlos hinsichtlich der Frage, wie sie ihre Schüler hierbei unterstützen können. „Es ist ja nicht damit getan, dass eine Schule für jede Klasse Tablets bekommt. Das ist zwar toll, aber es braucht auch das Know-how, wie man sie für welche Fächer am besten nutzt und wie man überhaupt richtig damit umgeht.“ Er selbst sei als Junglehrer auch noch „komplett ahnungslos, was das anbelangt“, gewesen. Auch deshalb ist es Hofmann ein Anliegen, die Medienkonzepte für die Schulen gemeinsam mit den Lehrerkollegien zu entwickeln – und sie nicht „von oben“ verordnen zu lassen.

Aus Sicht des Englischlehrers fügt er ein Beispiel hinzu: „Für den Sprachunterricht gibt es beispielsweise tolle Möglichkeiten, sich mit Google Street View Städte anzuschauen, die man während der Klassenfahrt nach England bereisen wird. Den guten alten Weltatlas kann man im Schrank lassen. Außerdem erhöht es den Lern- und Spaßfaktor, wenn man zum Beispiel einen Klassenfahrtenblog einrichtet, den die Schüler reihum bestücken.“ 

Social Media besser in den Unterricht einbinden

Andreas Hofmann (Foto: Valeska Achenbach)
Andreas Hofmann (Foto: Valeska Achenbach)
©

Dass Hofmanns Dienste tatsächlich gebraucht und viel gebucht werden, zeigen die nackten Zahlen: Nur knapp die Hälfte der deutschen Schulen verfügt über einen WLAN-Zugang. Und nur etwa jede zweite Schule hat bereits ein Medienkonzept erarbeitet, das beispielsweise Lern-Apps, Social-Media-Plattformen oder Foren und Blogs gezielt in den Unterricht einbindet. Das haben Befragungen der Deutschen Telekom Stiftung ergeben, die 2017 veröffentlicht wurden. Auch die Studie der Bertelsmann Stiftung, „Monitor Digitale Bildung“, zeigt: Wenn Lehrkräfte digitale Medien im Unterricht einsetzen, dann nutzen sie meist Präsentationsprogramme, Office-Programme oder Videos. „Es wäre aber wichtig, auch Plattformen wie beispielsweise Instagram, Snapchat oder Messengerdienste wie WhatsApp, die die Jugendlichen ohnehin benutzen, für das Lernen in der Gruppe miteinzubeziehen.“ Stattdessen würden Smartphones meistens im Unterricht verboten. „Wie wollen Sie als Lehrer diesen Zwiespalt auflösen: Digitale Medien sind überall präsent – nur in der Schule verteufelt man sie?“ Hofmann schüttelt den Kopf.

„Wie wollen Sie als Lehrer diesen Zwiespalt auflösen: Digitale Medien sind überall präsent – nur in der Schule verteufelt man sie?“

Andreas Hofmann (Foto: Valeska Achenbach)
Andreas Hofmann (Foto: Valeska Achenbach)
©
Andreas Hofmann

Dass seine Kollegen sich gern im Bereich Digitalisierung weiterbilden wollten, zeigt der rege Zuspruch für die Veranstaltung „#molol – mobile.schule“, die Hofmann koordiniert, mittlerweile in Partnerschaft mit dem NLQ und der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Jedes Jahr im Frühjahr können sich interessierte Pädagogen, auch aus anderen Bundesländern, aus Österreich und der Schweiz, zwei Tage lang über Unterrichtskonzepte, neue digitale Tools und Materialien austauschen. Im März 2019 fand die Tagung zum neunten Mal statt. „Während zur ersten Veranstaltung gerade mal 20 Leute kamen, waren es in diesem Jahr 1.000“, sagt Hofmann. Das freut ihn – es bedeutet aber auch eine organisatorische Herausforderung für ihn. Damit alle Teilnehmer Platz finden, tagt „#molol“ im Audimax der Uni Oldenburg.

Für Hofman ist klar, dass es aber mit Weiterbildungsangeboten allein nicht getan ist: „Wir müssen dringend schon in der Lehrerausbildung mit digitaler Bildung ansetzen. Denn mein Eindruck ist leider, dass heutige Lehramtsstudierende kaum anders ausgebildet werden als ich damals.“

Patrick Neubert (Foto: Damian Gorczany)
Patrick Neubert (Foto: Damian Gorczany)
©

Serie „Weiter.Denker“

Die Digitalisierung verändert die Art, wie wir arbeiten. Doch sind wir darauf vorbereitet? Welche Kompetenzen müssen wir dafür mitbringen und wie vermitteln wir diese? Wie müssen wir Bildung, Wissenschaft und Innovation weiterdenken, um wirtschaftlich, technologisch und gesellschaftlich nicht den Anschluss zu verlieren. In der Reihe „Weiter.Denker“ stellen wir Personen vor, die bereits vorbildliches leisten, die weiterdenken und versuchen, unsere Zukunft aktiv zu gestalten.

Lesen Sie hier alle Weiter.Denker-Porträts

Tauchen Sie tiefer in unsere Insights-Themen ein.
Zu den Insights