Wissenschaftskommunikation

Wissen zum Mitnehmen

Mirko Drotschmann vor der Kamera
Mirko Drotschmann vor der Kamera (Foto: Marion Koch)
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Dieses Mal hat sich Mirko Drotschmann Donald Trump vorgenommen. Er lässt die Jalousie herunter, braucht nur ein paar Minuten, um aus dem Wohnzimmer ein Filmstudio zu machen. Er räumt die Kerzen vom Tisch, baut das Stativ mit der Kamera auf und stellt den geöffneten Laptop darunter. Alles bereit, um den Fake News und Halbwahrheiten im Netz nun Wissen entgegenzusetzen. Der amerikanische Präsident soll der neue Hitler sein? Mirko Drotschmann will zeigen, was dran ist an dieser These. Es ist still in der Wohnung. Seine Frau fährt das Baby gerade in der Frühlingssonne spazieren.

Vier Seiten hat er vorbereitet. Die Aufnahme läuft. Er liest den Text vom Bildschirm ab, erklärt, wie das System der Checks and Balances, die Gewaltenteilung in den USA, die Macht des Präsidenten einschränkt. Nach einer Stunde ist das Thema im Kasten. Dann noch schneiden, Bilder und Grafiken einfügen, ein paar Klicks und das zwölfminütige Lehrstück steht im Internet. Sechs Wochen später wird es von der Netzgemeinschaft 115.658 Mal aufgerufen worden sein.

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(Foto: Screenshot YouTube-Kanal MrWissen2Go)
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Diktatur USA? Was darf Trump?

Mirko Drotschmann, 31, braunes Haar, mittelgroß, feine Gesichtszüge, ist Journalist und Videoblogger. Und er ist der Macher von MrWissen2go, einem deutschen Bildungskanal auf YouTube. Mirko wer?

Kinder und auch Ältere könnten sich an sein Gesicht aus dem Fernsehen erinnern, er moderiert die ZDF-Sendung Logo und das MDR-Geschichtsmagazin Zeitreise. Doch wirklich bekannt gemacht haben Mirko Drotschmann MrWissen2go und die inzwischen rund 500 Videos, die er in seinem Wohnzimmer zu politischen und historischen Themen gedreht und ins Netz gestellt hat. Zu Syrien zum Beispiel, zum Handelsabkommen CETA, zur Französischen Revolution. Und sie laufen sehr gut: Mehr als 44 Millionen Mal wurden seine Filme angeklickt. 484.000 Abonnenten hat sein Kanal. Das sind Zahlen von Mitte April 2017. Jede Woche werden es mehr Klicks und mehr Abonnenten. Mirko Drotschmann ist Fan des Karlsruher SC und manchmal, wenn er im Stadion steht, inmitten von Zehntausenden von Zuschauern, stellt er sich vor, wie viele Menschen hinter solchen Zahlen stecken. „Das kann einem ganz schön Druck machen“, sagt er.

Es begann als Hobby

Dabei ist MrWissen2go für ihn von Anfang an eine Art Hobby gewesen. 2012 hat er die Seite ins Leben gerufen, zwei Jahre, nachdem er das Studium in Geschichte und Kulturwissenschaft an der Universität Karlsruhe abgeschlossen hatte. Er arbeitete damals als freier Journalist, mal hier, mal da, probierte aus, was sich ergab, war Mitarbeiter bei Logo, Moderator beim NDR-Radio N-Joy, schrieb für die Stuttgarter Zeitung.

Auf die Idee, Bildungsvideos bei YouTube zu zeigen, kam er durch seine Frau. Sie betrieb dort einen Kanal für Schminktipps, mit dem sie ein recht großes Publikum erreichte. Das fand er ziemlich beeindruckend. „Ich wollte das mit einem Thema ausprobieren, das mir liegt“, sagt er. Eins kam zum anderen – sein Interesse an Geschichte, sein Spaß daran, Wissen zu vermitteln. Er hat dann einfach drauflosgedreht, vor der Kamera erklärt, wie es zum Ersten Weltkrieg kam. Das war der Beginn eines Experiments, das ihn nicht nur zu einem erfolgreichen YouTuber gemacht hat.

Dabei ist MrWissen2go cool, aber längst nicht so cool wie LeFloid, der YouTuber, der mit markanten Sprüchen das Weltgeschehen kommentiert und drei Millionen Abonnenten hat. Er ist auch nicht witzig oder besonders originell, wie andere populäre Videoblogger. Mirko Drotschmann ist eher der Typ Nachrichtensprecher. Er mag es, wenn alles seine Ordnung hat. Der Bart ist ordentlich gestutzt. Seine Videos erinnern an Frontalunterricht. Einer steht vorne und erklärt, die anderen hören zu.

Und doch erreicht der Journalist, der sich in T-Shirt oder Hemd mit offenem Kragen vor die Kamera stellt, die Generation Y, die zwischen 1980 und 1999 geborenen Digital Natives, die sich laut Umfragen doch eher für Konsum und Lifestyle interessieren als für Politik. Ganz freiwillig sehen sich Schüler und Studierende seine Filme an, zu 62 Prozent, wie die YouTube-Statistik zeigt, sogar bis zum Schluss. Das sei überdurchschnittlich, so Drotschmann: „In der Regel werden nur 40 bis 50 Prozent aller YouTube-Videos bis zum Ende angesehen.“ Öffentliche und private Wissensanbieter, die bei YouTube oft auf viel geringere Klickzahlen kommen, dürften ihn beneiden.

Einen Trick, wie er sein Publikum für so manch trockenes Thema interessiert, hat er nicht. „In den ersten Videos habe ich 20 Minuten am Stück nur geredet. Ich war selbst ganz erstaunt, dass sich das jemand angesehen hat“,  wundert er sich noch heute. Dabei findet auch in den aktuelleren Filmen nicht viel mehr statt; sie sind nur halb so kurz. Eine provozierende Einstiegsthese, dann den Gegenstand verständlich erklären, in anschaulicher Sprache. Zahlen nur verwenden, wenn es nötig ist, Bilder einsetzen, die Hingucker sind. Nach diesem einfachen Schema baut er seine Videos auf.

Eine seiner Thesen: „Wer Wissen vermitteln will, muss sich auf die Lernenden einstellen, auf ihre Lebenswelt, auf das, was sie interessiert, auf die Medien, die sie nutzen.“ Er hat im Blick, welche Themen in den sozialen Netzwerken kursieren. Etwa 70 Prozent seiner Videos beruhen auf den Wünschen seines YouTube-Publikums. Je häufiger ein Thema angefragt wird, desto höher rutscht es auf der Liste. Was vorgeschlagen wird, kann man bei MrWissen2go nachlesen. Nutzer „TryD3x“ etwa wünscht sich ein Video über den Handelsüberschuss von Deutschland. „AnnyBunny“ fände es gut, wenn MrWissen2go den neuen Dokumentarfilm von Oliver Stone, Ukraine im Feuer, bespricht.

Authentisch bleiben

Vielleicht kommen die Videos auch gut an, weil Mirko Drotschmann sich als MrWissen2go nicht verstellt. „Ich sehe mich als großen Bruder, der kurz mal die Welt erklärt“, sagt er. Eine vertraute Rolle. Der 31-Jährige ist der älteste von drei Brüdern. Auch in der Schule hat er oft den Erklärer gegeben, war der, der die Richtung ansagt oder wenigstens mitbestimmt. Er war Chefredakteur der Schülerzeitung und Mittelstufensprecher. In seiner Heimatstadt Ettlingen in Baden-Württemberg, zehn Kilometer südlich von Karlsruhe, hat er sich zwei Jahre lang als Stadtrat im Gemeinderat engagiert.

Vielleicht reißt er sein Publikum auch mit, weil er die Themen, die er ihm präsentiert, selbst so spannend findet. Ja, er hat auch andere Hobbys als MrWissen2go, als Politik und Geschichte, macht in seiner freien Zeit das, was andere auch tun: Er sieht sich Serien an, hört Musik, trifft sich mit Freunden, um Fußball zu gucken. Manchmal legt er in Clubs auf. Aber fast genauso gern verbringt er seine Zeit mit „Sinnvollem“: Er sitzt auf dem Sofa, liest Bücher und Artikel, lässt sich die Welt von Experten erklären. Früher hatte das kein bestimmtes Ziel, heute kommt dabei am Ende häufig ein Video heraus. 

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Der Kanal ist für ihn eine digitale Spielwiese, auf der er sich ausprobieren kann. Und er ist auch eine Art Schaufenster geworden. MrWissen2go hat ihm ein Image verpasst. Mirko Drotschmann gilt heute als Experte für Webvideos und vorbildliche Lehre.

Das hat ihn in vielerlei Hinsicht weitergebracht. Zum einen hat MrWissen2go Mirko Drotschmanns journalistische Karriere angeschoben. Zum anderen hat sein Bildungskanal ihm ein weiteres Geschäftsmodell eröffnet. Er wird heute zu Podiumsdiskussionen eingeladen, als Referent in Schulen und bei Lehrerfortbildungen angefragt. Er hält Vorträge über Populismus oder Fake News. Anfang des Jahres hat er eine Produktionsfirma mit acht freien Mitarbeitern gegründet, die Wissensfilme für Rundfunk und private Bildungsanbieter dreht. 

Kommunikation mit dem Publikum nimmt breiten Raum ein
Mirko Drotschmann
Mirko Drotschmann (Foto: Marion Koch)
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„Wie der schlauste YouTuber seinen Geldbeutel füllt“, hat das FOCUS Magazin im Jahr 2013 einen Artikel über MrWissen2go überschrieben. Aus Mirko Drotschmanns Sicht sieht die Geschichte anders aus. Zum Leben habe der Erlös des Kanals nie gereicht. „Und seit Jahren gehen die YouTube-Einnahmen zurück“, sagt er. Trotz stetig wachsender Klickzahlen.

Er hat nach anderen Wegen gesucht, den Kanal zu finanzieren, in den er etwa zehn bis 15 Stunden pro wöchentliches Video steckt. Die Zeit, die er braucht, um die E-Mails seines Publikums zu beantworten, sei kaum messbar. Bei manchen seiner Filme arbeitet er mit öffentlichen Auftraggebern wie der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) oder mit Stiftungen zusammen. Aber das kennzeichne er unter dem Beitrag und habe auch keinen Einfluss auf das Skript oder die Botschaft. Kommerzielle Anbieter oder Product Placement kämen für ihn nicht infrage. Nur in dem Video, in dem er erklärt, wie er seine Lehrstücke dreht, hat er eine Ausnahme gemacht und Hersteller- und Produktnamen seines technischen Equipments eingeblendet.

Dass MrWissen2go eine Einmannredaktion ist, hat den Vorteil, dass ihm niemand Vorschriften macht. Das heißt aber auch, dass er allein verantwortlich ist für das, was er ins Netz stellt. Jede Information überprüfe er auf zwei übereinstimmende Quellen, wie es im Journalismus üblich sei, sagt er. Bei schwierigen Themen lässt er Kollegen auf das Skript schauen, sichert sich bei Experten ab. Manchmal kontaktiert er einen Medienrechtler, um mit seiner Darstellung, mit Fotos und Zitaten, die er verwendet, auf der sicheren Seite zu sein. Bisher ist er gut gefahren damit. Ein juristisches Nachspiel hatte noch keines seiner Videos. 

„Seit Jahren gehen die YouTube-Einnahmen zurück. Trotz steigender Klickzahlen.“

Mirko Drotschmann
Mirko Drotschmann (Foto: Marion Koch)
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Mirko Drotschmann

Fehler kann er aber dennoch nicht ganz ausschließen. Zuletzt ist ihm bei seinem Video zu dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz etwas schiefgegangen. Ein Zitat war nicht korrekt wiedergegeben. Nutzer haben das kritisiert. Er hat den Film zwar nicht aus dem Netz genommen, aber in einem Kommentar darunter darauf hingewiesen.

Wie es beruflich weitergehen soll? Früher wollte er unbedingt zum Radio; als das geschafft war, zum Fernsehen; dann ein Geschichtsmagazin machen. Auch das hat er erreicht. Seine Mutter würde sich wünschen, dass er Korrespondent in Washington wird, erzählt er. Doch Washington ist so weit weg. Er würde lieber irgendwann für die heute-show arbeiten. „Oder Wer wird Millionär? moderieren, in der Nach-Günther-Jauch-Ära“, sagt er.

Zunächst hat er beruflich aber alle Hände voll zu tun und keine Zeit, sich nach Neuem umzusehen. Außerdem ist er gerade mit seiner Familie umgezogen, von einem Vorort von Mainz in einen anderen. In ein größeres Haus, in dem er sich jetzt ein Studio einrichtet. Das wird die Arbeit für MrWissen2go erleichtern. Wenn es fertig ist, können die Kerzen auf dem Tisch bleiben, wenn er die Welt erklärt.

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