Wissenschaftskommunikation

„Unite behind the science“ – aber bitte hinter der gesamten Wissenschaft!

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Foto: Markus Spiske via Unsplash
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„Unite behind the science“ – mit dieser Formel hat Greta Thunberg auf den Punkt gebracht, was weite Teile der Fridays4Future-Bewegung trägt. Es ist die Aufforderung der Schüler, die Erkenntnisse der Wissenschaft zum Klimawandel zur Grundlage von Politik zu machen. Die Forderung ist ein starkes Signal für eine Politik, die sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinandersetzt und diese nicht einfach ignoriert oder sogar infrage stellt. Das erklärt auch den engen Schulterschluss der Fridays4Future-Bewegung mit den von vielen Tausenden Wissenschaftlern unterstützten „Scientists4Future“.

Wir sehen hier Millionen von jungen Menschen, die zu Wissenschaftskommunikatoren werden und für die Bedeutung von Wissenschaft in modernen Gesellschaften werben. Aus Sicht der Wissenschaft ist das eine faszinierende Situation. Auch Angela Merkel zeigte sich deswegen „als Naturwissenschaftlerin“ beeindruckt  von der Fridays4Future-Forderung nach dem „Unite behind the science“.

Doch diese Forderung scheint nur unstrittig mit Blick auf die Erkenntnisse der Naturwissenschaften, das heißt den Teil der Klimawissenschaften, der Aussagen zu den Folgen von erhöhten CO2-Emissionen auf die globalen Ökosysteme und deren Veränderungen macht. Ganz anders sieht es aus, wenn es um die Erkenntnisse der „Transformationswissenschaften“ geht. Das sind die Disziplinen, die Aussagen zur Gestaltung von politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungsprozessen treffen: die Psychologie, die Wirtschafts-, Sozial- und Kulturwissenschaften. Bei der Gestaltung einer Welt innerhalb planetarischer Grenzen geht es letztlich ja im Kern um einen großen gesellschaftlichen Transformationsprozess. Was Wege und Instrumente sind, diesen effektiv mitzugestalten – auch dazu gibt es umfassende wissenschaftliche Erkenntnisse.

Hier scheint die Bereitschaft eines „Unite behind the science“ sehr viel geringer ausgeprägt zu sein. Das wurde bei der Verabschiedung des deutschen Klimapaketes am 20. September 2019 deutlich. Konsolidierte Erkenntnisse der Transformationswissenschaften galten der Politik hier als Aussagen, die keine eigenständige (wissenschaftliche) Qualität haben. Sie wurden zum Teil des normalen Kalküls der politischen Interessenabwägung. 

Dabei war im Jahr 2019 Eindrucksvolles passiert: Führende Wirtschaftswissenschaftler, die sich in einer Reihe von Fragen durchaus uneins sind, hatten mit Blick auf einen effektiven CO2-Preis ein hohes gemeinsames Verständnis. Seinen Niederschlag fand das in den gemeinsamen Einschätzungen des Rates der Wirtschaftsweisen und der führenden Umweltökonomen um Ottmar Edenhofer am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Es bestand Einigkeit über die Bedeutung eines CO2-Preises als eines wichtigen Steuerungselements und über die Höhe von rund 50 Euro pro Tonne. Bis in die letzten Tage vor der Verabschiedung des Klimapaketes hinein erfolgten intensive Konsultationsprozesse der Regierungsparteien durch diese Ökonominnen und Ökonomen.

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Uwe Schneidewind (Illustration: Irene Sackmann)
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Transformative Wissenschaft

Uwe Schneidewind treibt die Vision einer sozial- und ökologisch gerechten Welt im 21. Jahrhundert um. Und er ist der festen Überzeugung, dass die Art und Weise, wie wir Wissenschaft betreiben, einen zentralen Einfluss auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse hat. Deswegen streitet er für eine „transformative Wissenschaft“ und erregt damit viele Gemüter im Wissenschaftssystem. Folgerichtig heißt diese Kolumne Transformative Wissenschaft.
Als Präsident des Wuppertal Institutes für Klima, Umwelt, Energie leitete er von 2010 bis 2020 einen der führenden Thinktanks für Nachhaltigkeitsforschung in Deutschland. Das Wissenschaftssystem und die Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft kennt er aus unterschiedlichen Perspektiven: als ehemaliger Präsident der Universität Oldenburg oder als Berater der Bundesregierung im Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU). Seit dem 1. November 2020 ist Uwe Schneidewind Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal und damit in neuer Rolle in einem auch durch Wissenschaft entscheidend geprägten urbanen Transformationsraum.​

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„Der gespaltene Umgang mit Wissenschaft ist eine große Gefahr. Er zeugt von einem zweigeteilten Wissenschaftsverständnis. Darin steckt eine große Gefahr für moderne Wissensdemokratien. “

Uwe Schneidewind
Uwe Schneidewind (Foto: Bussenius & Reinicke)
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Uwe Schneidewind
Präsident des Wuppertal Instituts

Gespaltener Umgang mit Wissenschaft

Entsprechend groß war die Ernüchterung auch bei den Wissenschaftlern, als die Bundesregierung am 20. September 2019 ein Klimapaket mit einem CO2-Einstiegspreis von 10 Euro pro Tonne und nur sehr moderaten Steigerungsraten in den Folgejahren präsentierte, aber dennoch auf die vermeintliche Steuerungswirkung eines solchen Preises pochte. Dieser gespaltene Umgang mit Wissenschaft ist eine große Gefahr. Er zeugt von einem zweigeteilten Wissenschaftsverständnis. Darin steckt eine große Gefahr für moderne Wissensdemokratien.

Wissenschaft ist weit mehr als das Finden naturwissenschaftlicher Fakten. Wissenschaft ist eine methodengestützte Haltung, der Wirklichkeit zu begegnen: Wissenschaft bedeutet, mit der Kraft unseres Verstandes der Struktur der Welt näherzukommen. Wissenschaft ist dabei immer wieder von Demut und Zweifeln geprägt. Sie ist sich ihrer Wahrheit nie sicher. Sie bleibt kritisch. Sie zweifelt Gewissheiten an und hinterfragt sie, um sie besser zu verstehen. Und das ist besonders wichtig: Sie tut es in einer Weise, in der ihre Argumente transparent von anderen nachvollzogen werden können. Sie ermöglicht es uns, gemeinsam eine Welt auf der Grundlage von gut begründeten Argumenten zu gestalten.

Damit ist wissenschaftliches Handeln ein Demokratieverstärker. Denn auch in Demokratien geht es um ein Ringen um die besseren Argumente bei der Suche nach Lösungen für Sach-, Interessen- und Überzeugungskonflikte. Nicht die Macht des Stärkeren soll in Demokratien über das Handeln entscheiden, sondern die Kraft des besseren Arguments, dem die Mehrheit von Menschen in einer Demokratie folgen kann. In modernen und komplexen Wissensdemokratien ist dabei der politische Prozess unabdingbar auch auf Wissenschaft im Ringen um die besseren Argumente angewiesen. Wissenschaft zu ignorieren ist daher immer auch ein Stück Unterwanderung von Demokratie. Wer wissenschaftliche Erkenntnisse einem kurzfristigen Wahlkalkül unterwirft, wer wissenschaftliche Erkenntnisse populistisch diskreditiert, der schwächt immer auch die Demokratie.

 

„Wissenschaft zu ignorieren ist immer auch ein Stück Unterwanderung von Demokratie.“

Uwe Schneidewind
Uwe Schneidewind (Foto: Bussenius & Reinicke)
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Uwe Schneidewind
Präsident des Wuppertal Instituts

Denn über kurz oder lang wird deutlich, dass nicht das bessere Argument, sondern seine Verschleierung zugunsten von anderen (Interessen-)Kalkülen politisch handlungsleitend war. Jede Zweck- oder Scheinrationalisierung fliegt irgendwann auf. Nicht nur Politiker, denen man das Verständnis wissenschaftlicher Erkenntnisse intellektuell in hohem Maße zutraut, kostet das ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit, sondern die Demokratie selbst.

Bei alldem gibt es Wissenschaft nicht nur zur Hälfte: Wer naturwissenschaftliche Klimafakten anerkennt, doch wissenschaftliche Erkenntnisse zur effektiven Ausgestaltung von Transformationsprozessen ignoriert, der stellt letztlich die Idee von Wissenschaft insgesamt infrage. Darum gilt für eine demokratische Politik, die nach der Kraft des besseren Arguments strebt, „Unite behind the science“ auch dann, wenn es um die Gestaltung von Transformationsprozessen geht.

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