Entsprechend groß war die Ernüchterung auch bei den Wissenschaftlern, als die Bundesregierung am 20. September 2019 ein Klimapaket mit einem CO2-Einstiegspreis von 10 Euro pro Tonne und nur sehr moderaten Steigerungsraten in den Folgejahren präsentierte, aber dennoch auf die vermeintliche Steuerungswirkung eines solchen Preises pochte. Dieser gespaltene Umgang mit Wissenschaft ist eine große Gefahr. Er zeugt von einem zweigeteilten Wissenschaftsverständnis. Darin steckt eine große Gefahr für moderne Wissensdemokratien.
Wissenschaft ist weit mehr als das Finden naturwissenschaftlicher Fakten. Wissenschaft ist eine methodengestützte Haltung, der Wirklichkeit zu begegnen: Wissenschaft bedeutet, mit der Kraft unseres Verstandes der Struktur der Welt näherzukommen. Wissenschaft ist dabei immer wieder von Demut und Zweifeln geprägt. Sie ist sich ihrer Wahrheit nie sicher. Sie bleibt kritisch. Sie zweifelt Gewissheiten an und hinterfragt sie, um sie besser zu verstehen. Und das ist besonders wichtig: Sie tut es in einer Weise, in der ihre Argumente transparent von anderen nachvollzogen werden können. Sie ermöglicht es uns, gemeinsam eine Welt auf der Grundlage von gut begründeten Argumenten zu gestalten.
Damit ist wissenschaftliches Handeln ein Demokratieverstärker. Denn auch in Demokratien geht es um ein Ringen um die besseren Argumente bei der Suche nach Lösungen für Sach-, Interessen- und Überzeugungskonflikte. Nicht die Macht des Stärkeren soll in Demokratien über das Handeln entscheiden, sondern die Kraft des besseren Arguments, dem die Mehrheit von Menschen in einer Demokratie folgen kann. In modernen und komplexen Wissensdemokratien ist dabei der politische Prozess unabdingbar auch auf Wissenschaft im Ringen um die besseren Argumente angewiesen. Wissenschaft zu ignorieren ist daher immer auch ein Stück Unterwanderung von Demokratie. Wer wissenschaftliche Erkenntnisse einem kurzfristigen Wahlkalkül unterwirft, wer wissenschaftliche Erkenntnisse populistisch diskreditiert, der schwächt immer auch die Demokratie.