Wissenschaftskommunikation

Die Wüste lebt

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Stefan Kröpelin (Foto: Christian Bohnenkamp)
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Sein Jagdfieber erwacht auf der Auffahrt zur Autobahn. Stefan Kröpelin sitzt auf dem Fahrerplatz, ein paar Meter vor ihm fährt der weiße Unimog, mit dem er vor fast vier Jahrzehnten seine ersten Expeditionen in die Sahara unternommen hatte. Eine Sonderanfertigung ist es mit Bagger auf der Ladefläche und einem Getriebe, das den schweren Wagen auch durch das unwegsamste Gelände bugsiert. Die Sonne taucht den Unimog in ein unwirkliches Licht und Stefan Kröpelin braucht zwei Sekunden, um seine kleine Kamera schussbereit zu haben. „Die habe ich immer in der Tasche“, sagt er und macht einige Fotos, während er ungerührt weiterredet – eine Gewohnheit, die der Wüstenforscher von seinen Expeditionen mitgebracht hat.

Stefan Kröpelin, der Jäger und Sammler: „Ich kann nicht stillsitzen. Wenn wir in Afrika sind, will ich jede Minute ausnutzen“, sagt er. Mit seiner Kamera schießt er Fotos von Beobachtungen am Wegesrand, er macht Notizen, nimmt Gesteinsproben, sammelt Fossilien und Tierknochen. Eigentlich ist er Geowissenschaftler, spezialisiert auf die Ablagerungen auf und unter dem Wüstenboden. „Wir müssen gar nicht tief runter: Wenn wir ein Loch von zweieinhalb Metern graben, reicht das meist für die Schichten der zurückliegenden 10.000 Jahre.“ Im Wüstenboden liegen die Sedimente fein aufeinander. Darin Keramik-, Pflanzen- und Tierreste – die Beweise vom Leben, das sich hier in der weiten Vergangenheit abgespielt hat. Aber die Geologie reicht ihm nicht: Er kümmert sich auch um archäologische Funde, um Höhlenmalereien, um all jene Schätze, die er in der Sahara finden kann.

Stefan Kröpelin, der Fahrer: „Dieser Unimog da vorne“, sagt er und deutet auf das Auto vor ihm, „war auf unseren frühen Expeditionen dabei, 1980 zum ersten Mal und dann bis 1993.“ Jetzt, wo er außer Dienst gestellt ist, gehört er einem befreundeten Traktorensammler und Stefan Kröpelin freut sich diebisch auf die heutige Spritzfahrt mit dem stählernen Veteranen durch eine Kiesgrube in der Nähe von Köln. „Das da auf dem Dach“, sagt er und zeigt auf Metallplanken, die über den Türen festgeschraubt sind, „das sind Sandbleche.“ Wenn sich das Fahrzeug festgefahren hat im Dünensand, legt man die Bleche vor die Räder, bis sie wieder Griff finden. 

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Illustration: Lisa Syniawa
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Diese Forscher sind Stars. Denn sie arbeiten nicht nur in Labors, sitzen nicht nur in Bibliotheken. Stattdessen stehen sie als Medienprofis sehr oft auf den großen Bühnen des Landes. Sie können meisterhaft über Forschung reden, sie begeistern für das, was vielen Bürgern sonst nicht zugänglich wäre. Sie sind die besten Anwälte für die Sache der Wissenschaft.

Solche begnadeten Wissenschaftskommunikatoren als Vorbilder zu adeln und ihr außergewöhnliches Engagement zu belohnen, war im Jahr 2000 die Idee des Stifterverbandes und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Seitdem vergeben sie gemeinsam jährlich den „Communicator-Preis – Wissenschaftspreis des Stifterverbandes“. Der Stifterverband steuert das Preisgeld bei (50.000 Euro), die DFG sucht die Preisträger aus. Stefan Kröpelin erhielt den Communicator-Preis im Jahr 2017. 

Und das ist nicht die einzige Schwierigkeit, die in der Wüste lauert: Die gewaltigen Sicheldünen verzeihen keine Fahrfehler. „Sie haben auf der Leeseite einen Schüttungswinkel von 34 Grad“, sagt Kröpelin, „darüber rutscht der Sand herunter.“ Aber diese 34 Grad gilt es richtig zu nehmen, nämlich frontal – schneidet ein Fahrer sie schräg an, kippt der Geländewagen auf die Seite und überschlägt sich. Die Konvois, mit denen Stefan Kröpelin in der Sahara unterwegs war, umfassten etliche Autos: erst ein paar Geländewagen, dann den Baggerunimog, schließlich einen Lastwagen („ein Dreiachser mit Doppelbereifung“). Alles, was man auf der Expedition braucht, selbst wenn sie mehrere Monate lang dauert, müssen die Fahrzeuge laden: 7.000 Liter Diesel, 3.000 Liter Wasser, die Nahrungsvorräte, dazu das ganze Expeditionsgerät. Viele Tagesreisen entfernt von der nächsten menschlichen Siedlung schlagen Kröpelin und seine Kollegen dann ihr Lager auf – in Regionen der Sahara, die zu den lebensfeindlichsten Gebieten der Erde zählen. So trocken ist es dort, dass keine Ameisen, keine Skorpione, nicht einmal Bakterien es aushalten. „Die Rallye Dakar, von der immer alle so schwärmen“, sagt Stefan Kröpelin und schüttelt den Kopf, „das ist kein Kunststück. Richtig schwierig wird so eine Wüstendurchquerung erst ohne Begleitpulk, mit extrem überladenen Fahrzeugen, die noch dazu hoffnungslos untermotorisiert sind.“

„Manchmal bin ich im Stockdunkeln die ganze Nacht umhergeirrt, es war eiskalt und ich hatte schon fast mit dem Leben abgeschlossen. “

Stefan Kröpelin (Foto: Universität zu Köln/Adam Polczyk)
Stefan Kröpelin (Foto: Universität zu Köln/Adam Polczyk)
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Stefan Kröpelin
Wüstenforscher

Stefan Kröpelin, der Navigator: „Ich fahre normalerweise im ersten Fahrzeug des Konvois“, sagt er. Mehr als 60 Wüstenexpeditionen hat er hinter sich; ein Erfahrungsschatz, der sich durch nichts ersetzen lässt. „Am Anfang hatten wir noch Sextanten zur Positionsbestimmung dabei“, erinnert er sich, „aber seit 1993 arbeiten wir natürlich mit GPS.“ Bloß: Auch die präzisesten Koordinaten und hochaufgelöste Satellitenbilder sagen einem nicht, ob die Geländewagen den Weg über ein Dünenfeld schaffen oder ob irgendwo Landminen vergraben sind. Die hohe Position in einem vorausfahrenden Unimog ist die beste Voraussetzung dafür, dass der Konvoi gut vorankommt. „Da, wo wir unterwegs sind, ist es fast wie auf dem Mond oder dem Mars: Es gibt keine Straßen, keine Pisten, keine Anhaltspunkte für den Fahrer.“ Die einzige Währung, die zählt, ist die Erfahrung.

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Foto: Christian Bohnenkamp
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Die Wüste kennt keine Geheimnisse

Stefan Kröpelin, der Ethnologe: „Die Wüste“, sagt er, „kennt keine Geheimnisse.“ Wenn er wochenlang mit Kamelen und Einheimischen unterwegs ist, wird ein eingeschworenes Team aus der Truppe, aus den europäischen Forschern und den einheimischen Nomaden, die oft keinerlei Schulbildung haben. Kröpelin taucht in ihren Alltag ein, in ihre Gewohnheiten, er lernt ihre Anschauungen kennen – nicht wie es bei Studienobjekten der Fall wäre, sondern einfach als Mitreisender. „Manche wären bereit, für mich ihr Leben zu riskieren, und umgekehrt ist es genauso.“ Im Tschad ist er so bekannt wie ein bunter Hund: Die Einheimischen erkennen ihn, er tritt regelmäßig im Fernsehen auf, er hat Termine mit dem Präsidenten. Und er hat mit dazu beigetragen, dass die Ounianga-Seen und das Ennedi-Massiv in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen wurden – je mehr er über seine Forschungen erzählt hat, so seine Erkenntnis, desto mehr konnte er bewegen.

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O-Ton: Stefan Kröpelin über die Relevanz der Wissenschaftskommunikation
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Stefan Kröpelin, der Automechaniker: „Natürlich sollte bei jeder längeren Expedition ein Mechaniker dabei sein“, sagt er. Aber viele Probleme kann er selbst beheben, zum Beispiel platte Reifen („manchmal mussten auf einer einzigen Expedition 30 Schläuche geflickt werden“). Gelernt hat er es schon auf seiner ersten Reise 1970 mit einem schrottreifen VW-Bus von München nach Kathmandu: in Teheran einen verklemmten Kolben reparieren, wozu der ganze Motor zerlegt werden musste; in Indien das ständig auslaufende Getriebeöl abdichten; auf der Rückfahrt in Afghanistan einen gebrochenen Drehfederstab ersetzen; nur dank eines provisorisch eingebauten Axtstiels schaffte er es überhaupt erst bis zum Basar in Herat; in der Osttürkei noch eine kaputte Kupplungsscheibe austauschen und einige Pannen mehr. „Einheimische Mechaniker sind mir am liebsten: Die können mit Akazienholz, einer Blechdose und ein bisschen Draht schon viel wieder hinkriegen!“

Stefan Kröpelin, der Dokumentarfilmer: An etlichen Dokumentationen über zuvor nie gezeigte Wüstengebiete hat er mitgewirkt, einige Male begleiteten Filmteams seine Expeditionen. Beeindruckende Filme sind dabei entstanden, die zur besten Sendezeit und in vielen Ländern liefen.

Stefan Kröpelin, der Überlebenskünstler: „Wenn wir unser Lager aufschlagen, suche ich mir meinen Schlafplatz möglichst hundert Meter windaufwärts von den Kollegen. Da höre ich es nicht, wenn irgendwo ein Blech am Auto klappert oder jemand schnarcht. Ich lege meine Thermomatte auf den Boden und hülle mich in einen oder zwei Schlafsäcke. Ein Zelt bringt nichts, das flattert nur die ganze Zeit. Wir schlafen unter freiem Himmel. Wir arbeiten jeden Tag zwölf Stunden, die anderen zwölf Stunden essen und schlafen wir, weil es um 18 Uhr dunkel wird. Duschen gibt es natürlich nicht, aber man kann sich mit wenig Wasser oder sogar Sand waschen, so wie wir auch das Geschirr mit Sand spülen. Geruch entsteht trotzdem nicht, weil der Schweiß sofort verdunstet. Öfters habe ich abends noch einen kleinen Gutenachtspaziergang unternommen, nur mal eben auf die andere Seite der Düne oder den nächsten Hügel schauen. Und dann fand ich nicht mehr zu meinem Schlafplatz zurück, weil der Mond unterging, die Kollegen das letzte Licht im Lager ausknipsten oder meine Spuren im Sand verweht waren. Wenn dann noch die Taschenlampe ausgeht, wird es kritisch. Manchmal bin ich im Stockdunkeln die ganze Nacht umhergeirrt, es war eiskalt und ich hatte schon fast mit dem Leben abgeschlossen. Aber irgendwie habe ich, wenn auch erst nach Sonnenaufgang, doch immer wieder zurückgefunden. Solche Erfahrungen stärken das Selbstvertrauen, in schwierigen Situationen Ruhe zu bewahren.“

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Foto: Christian Bohnenkamp
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Das Communicator-Preis-Hologramm zeigt ein Muster aus Sedimentschichten, der Vordergrund besteht aus einem Ensemble von Menschen bei der Jagd und von Tieren, die sich an den prähistorischen Zeichnungen orientieren.

Stefan Kröpelin, der Spirituelle: „Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass drei der Weltreligionen in Wüsten entstanden sind?“, fragt er. Warum? Für ihn ist die Sache klar: Die absolute Reizarmut, wo kein Geräusch, keine Ablenkung auf den Menschen eindringt und wo der endlose Sternenhimmel nachts so hell und klar leuchtet wie von einem Raumschiff aus – das sei die beste Umgebung für Kontemplation. Und dafür, um zu erfahren, wie klein, wie nichtig man als Mensch sei in dieser Welt und doch so einmalig.

„Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass drei der Weltreligionen in Wüsten entstanden sind?“

Stefan Kröpelin (Foto: Universität zu Köln/Adam Polczyk)
Stefan Kröpelin (Foto: Universität zu Köln/Adam Polczyk)
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Stefan Kröpelin
Geowissenschaftler

Stefan Kröpelin, der Wissenschaftler: „Bei öffentlichen Vorträgen interessieren sich viele vor allem für die Expeditionen und Abenteuer“, sagt er, „und erst am Schluss kommen fachliche Fragen zu unserer Forschung.“ Er sagt es achselzuckend, hat sich längst daran gewöhnt, dass die Umstände der Geländeforschungen oft spektakulärer wirken als die Ergebnisse selbst. Dabei haben die es in sich: Sie erzählen die abwechslungsreiche Geschichte des Klima- und Landschaftswandels und der prähistorischen Besiedlung in der Sahara, die so groß ist wie die USA und ein Drittel des afrikanischen Kontinents ausmacht. 

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O-Ton: Stefan Kröpelin über die Rolle des Forschers
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„Erste Hinweise auf Wüstenverhältnisse reichen etwa 2,5 Millionen Jahre zurück“, sagt Stefan Kröpelin. Seitdem verlief der Klimawandel in der Sahara anscheinend in relativ gleichförmigen Zyklen von rund 100.000 Jahren: Nach jeweils etwa 90.000 Jahren extremer Trockenheit – während der Kaltzeiten – wurde es während der interglazialen Warmzeiten für etwa 10.000 Jahre feuchter. Nur in solchen „grünen“ Phasen kann der Mensch den Weg vom subsaharischen Afrika nach Europa geschafft haben – in den dominierenden Trockenzeiten bildete die Sahara eine unüberwindbare Barriere. „Unser Weg nach Europa“ heißt der Sonderforschungsbereich an der Universität Köln, wo Stefan Kröpelin genau dieser Frage nach den prähistorischen Korridoren durch die Sahara nachgeht; er untersucht dafür vor allem die letzten beiden Feuchtzeiten bis 130.000 Jahre zurück in die mittlere Steinzeit. Derzeit steht die Sahara eigentlich am Anfang einer langen Trockenperiode, die noch zehntausende Jahre weiter anhalten müsste, wenn es beim bisherigen Verlaufsschema bleibt. Ändern könnte sich das ausgerechnet dank des rezenten Klimawandels: Erhitzt sich die Erde tatsächlich immer stärker und erwärmen sich die Ozeane, sollten die Monsunwinde zunehmen und Regenwolken wieder weit in die Sahara tragen, vermutet Stefan Kröpelin. So könnte wie nach der letzten Eiszeit der altweltliche Wüstengürtel wieder ergrünen vom Atlantik bis nach Zentralasien – und so eine gigantische Kohlenstoffsenke bilden, die bislang niemand im Blick hat.

Stefan Kröpelin, der Träumer: In München ist er aufgewachsen, den süddeutschen Einschlag hört man seiner Sprache auch heute noch an. Als Jugendlicher verschlang er die Bücher von Lawrence von Arabien, die Reiseberichte der großen Entdecker. Mit 18 Jahren war er zum ersten Mal in der Wüste, seither fast jedes Jahr mindestens einmal. „Man hasst die Wüste oder man liebt sie“, sagt er.

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Foto: Stifterverband
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Stefan Kröpelin in der Reihe "Forschergestalten"

Geht er eigentlich in die Wüste, weil er dort seine geologische Forschung am besten voranbringen kann? Oder ist er Geologe geworden, um möglichst oft in die Sahara zu kommen?

Stefan Kröpelin antwortet nicht. Er vergräbt die Hände in den Taschen seiner Expeditionshose, auf der ein Fleck von Motorenöl zu sehen ist und ein kleines Loch, das er sich irgendwo an einem Felsen gerissen haben muss, und lächelt einfach nur.

Über diese Serie

20 Jahre Communicator-Preis - Grund genug für MERTON, die bisherigen 20 Preisträger in einer besonderen Bild- und Artikelserie zu würdigen. Nicht nur der Fotograf Christian Bohnenkamp setzt die Protagonisten in stimmungsvolles Licht, auch der Autor Kilian Kirchgeßner bringt sie in seinen Texten zum Leuchten. Wer die ausdrucksstarke Bilder einmal aus der Nähe sehen will: Das Wissenschaftszentrum Bonn präsentiert die Werke voraussichtich im Sommer 2021 in einer kleinen Retrospektive. 

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