Lehrermangel

Neue Wege in der Lehrerausbildung

Eylem Çetinöz und Fin Bandholz (Foto: Olaf Malzahn)
Eylem Çetinöz und Fin Bandholz (Foto: Olaf Malzahn)
©

Fin Bandholz freut sich auf sein Berufsleben: Nach der Masterarbeit wartet das Referendariat auf ihn, dann die Arbeit als Lehrer für Englisch und Spanisch an einer Gemeinschaftsschule oder an einem Gymnasium. Vermutlich irgendwo in Schleswig-Holstein. Dass er gerne als Lehrer arbeiten möchte, stand für den heute 26-Jährigen recht schnell fest. Weshalb der gebürtige Dithmarscher sich nach dem Abitur für ein Lehramtsstudium an der Uni Kiel entschied. Er sagt aber auch: „Ich blicke heute vollkommen anders auf meine künftige Rolle als Lehrer als noch während meines Bachelorstudiums“, und fügt hinzu: „Ich war zu Beginn meines Studiums wesentlich leistungsorientierter hinsichtlich meiner Fachinhalte und wie ich die meinen Schülern am effektivsten vermitteln kann. Mit Themen wie Vielfalt und Toleranz im Unterricht, zum Beispiel, habe ich mich nur am Rande beschäftigt.“ Doch jetzt, kurz vor dem Abschluss, habe er ein neues Verständnis für den Lehrerberuf entwickelt: „Ich bin mir meiner Rolle als Lernbegleiter sehr bewusst. Und ich trete meinen Schülern gegenüber ganz anders auf.“

Mehr Unterrichtserfahrung

Diesen Blick auf seinen künftigen Beruf verdankt Fin Bandholz dem Projekt SprachFoLL, das an der Universität zu Kiel vom Zentrum für Lehrerbildung und dem Germanistischen Seminar durchgeführt wurde. Die Abkürzung steht für „Sprachliche Bildung – Forschendes Lernen. Qualifizierung von Lehramtsstudierenden für die erfolgreiche Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen“ und ist eine Zusatzqualifikation für Lehramts-Masterstudierende jeden Faches. Die Qualifikation verhalf Bandholz zu Unterrichtserfahrungen an einer Projektpartnerschule – mit Schülern, die als Geflüchtete nach Deutschland kamen und nun in Vorbereitungsklassen zunächst einmal Deutsch lernen und sich grundsätzlich im Alltag ihrer neuen Heimat zurechtfinden müssen.

Bandholz unterstützte zwei Semester lang jede Woche drei Schulstunden die Lehrkraft in einer dieser Deutsch-als-Zweitsprache-Klassen. „Normalerweise werden Lehramtsstudierende auf diese Situation praktisch nicht vorbereitet und sind oft überfordert, wenn sie das erste Mal vor einer Gruppe von jungen Nichtmuttersprachlern im Fachunterricht stehen“, beschreibt der künftige Lehrer die Situation. „Es wäre sehr sinnvoll, dass jeder Studierende zusätzlich zu seinen beiden Unterrichtsfächern auch Erfahrungen in Deutsch als Zweitsprache sammeln muss.“ Doch das ist an den meisten Hochschulen nicht vorgesehen.

„Es wäre sehr sinnvoll, dass jeder Studierende zusätzlich zu seinen beiden Unterrichtsfächern auch Erfahrungen in Deutsch als Zweitsprache sammeln muss.“

Fin Bandholz
Lehramtsstudent an der Universität zu Kiel
Eylem Çetinöz vom Zentrum für Lehrerbildung an der Universität zu Kiel und der Student Fin Bandholz.
Eylem Çetinöz und Fin Bandholz (Foto: Olaf Malzahn)
Eylem Çetinöz und Fin Bandholz (Foto: Olaf Malzahn)
©

Hier setzt das vom Stifterverband zwischen 2017 und 2019 geförderte Projekt SprachFoLL an, an dem in zwei Durchläufen 91 Masterstudierende teilgenommen und ein Zertifikat für die Zusatzqualifikation erworben haben. Es fußt auf der sinnvollen Verzahnung von Theorie und Praxis. „Wenn die Kinder und Jugendlichen erst kurze Zeit in Deutschland leben, ist der Schulunterricht eine besondere Herausforderung für sie. Denn oft sind ihre Deutschkenntnisse nicht ausreichend, um dem Unterricht gut folgen zu können. Manche müssen auch erst das lateinische Alphabet lernen“, sagt Eylem Çetinöz, abgeordnete Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache (DaZ) am Zentrum für Lehrerbildung (ZfL) der Uni Kiel.

Çetinöz, die Lehrerin für Englisch und Deutsch ist und als Studierende an der Universität Flensburg selbst in der glücklichen Lage war, DaZ als Fach studieren zu können, schrieb gemeinsam mit der Juniorprofessorin Inger Petersen, die am Germanistischen Seminar lehrt und forscht, den Projektantrag. Auch die Koordinatorin für Extracurriculare Angebote, Melanie Korn, wirkte am Antrag mit. Eylem Çetinöz begleitete die Studierenden während des Projekts und koordinierte die Zusammenarbeit mit den 15 Kooperationsschulen. Die künftigen Lehrkräfte nehmen an verschiedenen Workshops teil, etwa im Bereich Traumapädagogik, DaZ-Didaktik, Grammatikvermittlung, Alphabetisierung und sprachbewusster Fachunterricht. Zudem bot Eylem Çetinöz während der zwei SprachFoLL-Durchgänge ein Begleitseminar an, in dem es unter anderem um kulturelle Vielfalt ging. 

Eylem Çetinöz (Foto: Olaf Malzahn)
Eylem Çetinöz (Foto: Olaf Malzahn)
©
Eylem Çetinöz leitet das Projekt SprachFoLL an der Universität zu Kiel.

Neue Perspektiven

All das soll den Studierenden helfen, Hemmungen abzubauen und die eigene Arbeit als Lehrkraft zu reflektieren. Die Theorie wird mit der praktischen Unterrichtserfahrung verknüpft, außerdem – ganz im Sinne des forschenden Lernens – unterstützt und begleitet jeder Studierende ein nichtmuttersprachliches Kind intensiv sowohl im vorbereitenden DaZ- als auch im regulären Fachunterricht und schätzt am Ende dessen Sprachstand ein. „Das Spannende ist: Durch die Erfahrung in Vorbereitungsklassen hat sich nicht nur mein Blick auf den Lehrerberuf geändert, sondern auch allgemein die Art, wie ich Menschen gegenübertrete“, sagt Student Fin Bandholz. Die anderen SprachFoLL-Teilnehmer hätten ähnlich gute Erfahrungen gemacht. Und: Alle absolvierten das Programm freiwillig, ohne Leistungspunkte zu erhalten, neben ihrem normalen Studienpensum.

Dies soll sich in Zukunft jedoch ändern. „Wir sind dankbar, dass wir mithilfe des Stifterverbandes das SprachFoLL-Projekt durchführen und Studierende für dieses wichtige Thema sensibilisieren konnten. Aber nun freuen wir uns auch, dass das Thema an der Universität fest verankert und nicht mehr abhängig von eingeworbenen Geldern ist“, sagt Inger Petersen. Ab dem kommenden Wintersemester können die Studierenden der Universität zu Kiel Deutsch als Zweitsprache nämlich ganz regulär als Ergänzungsfach studieren. Außerdem soll am ZfL künftig ein Zertifikat für Lehramtsstudierende aller Fächer angeboten werden, die Erfahrungen und Kompetenzen im Bereich kulturelle Vielfalt sammeln möchten.

Fin Bandholz (Foto: Olaf Malzahn)
Fin Bandholz (Foto: Olaf Malzahn)
©
Fin Bandholz: „Das Projekt hat nicht nur meinen Blick auf den Lehrerberuf geändert, sondern auch allgemein die Art, wie ich Menschen gegenübertrete.“

Stark durch Diversität

2018 haben Stifterverband und die Schöpflin Stiftung, gefördert durch die Stiftung Mercator, das Netzwerk „Stark durch Diversität – Förderung interkultureller Kompetenzen in der Lehramtsausbildung“ ins Leben gerufen. Darin kommen regelmäßig zehn Hochschulen zusammen, die zuvor im Wettbewerb „Spracherwerb stärken“ des Sonderprogramms „Integration durch Bildung“ ausgezeichnet wurden. Das Ziel: Sich gemeinsam mit weiteren Projekten und Institutionen über Best-Practise-Projekte und den Stellenwert von interkulturellen Kompetenzen in der Lehrerbildung auszutauschen.

2019 erschein zum Abschluss des Netzwerks die Handreichung „Lehrkräftebildung für die Schule der Vielfalt“. Die Publikation kann hier heruntergeladen werden.

Das Netzwerk Stark durch Diversität
Tauchen Sie tiefer in unsere Insights-Themen ein.
Zu den Insights