Wissenschaftskommunikation

Die Beamten der Lüfte

Tauben
Foto: iStock/mkirarslan
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Sie haben mal gesagt: „Ich versuche zu verstehen, wie das Denken im Hirn entsteht“. Wenn ein Laie Sie das fragen würde, was würden Sie ihm antworten?
Denken muss man auf zwei Ebenen studieren. Da ist zunächst die abstrakte Ebene, die wir in der klassischen Psychologie untersucht haben. Es gibt eine Grammatik des Denkens, Mechanismen des Denkens, Regelhaftigkeiten. Und dann wird das Denken im Gehirn generiert. Und das ist die biologische, die nasse Ebene des Denkens. Diese beiden Ebenen sind miteinander verknüpft. Die nasse Ebene schafft die abstrakte Ebene. Aber wie die Abbildung zwischen diesen zwei Ebenen eigentlich geschaffen ist, das verstehen wir bei weitem noch nicht. Und das ist genau mein Fachgebiet, die biologische Psychologie. Ich versuche zu verstehen, wie diese Regelhaftigkeiten im Gehirn abgebildet sind und wie auch die Sprache wieder auf das Gehirn zurückwirkt.

 

Sie arbeiten sehr viel mit Vögeln, insbesondere mit Tauben. Was ist das Besondere an Tauben?
Die meisten Menschen wissen nicht, ist, dass die Taube eines der Standardversuchstiere in der Psychologie ist. Menschen gehen zum Psychologen und fragen zum Beispiel nach einer Verhaltenstherapie. Sie wären wahrscheinlich geschockt, wenn sie wüssten, dass die Grundlagen der Verhaltenstherapie zum größten Teil aus Experimenten an Ratten und Tauben resultieren.
Die ganzen Lerngesetze, Gedächtnisgesetze stammen zum größten Teil aus Untersuchungen an diesen zwei verschiedenen Tieren. Im Gegensatz zu Ratten sind Tauben aber sehr visuell orientiert und sie lernen ununterbrochen mit einer enormen Frustrationsresistenz. Sie sind sehr beamtenhaft. Man gibt ihnen eine Aufgabe und sie sind stundenlang mit dieser Aufgabe beschäftigt und geben niemals auf. Sie brauchen nur ab und zu ein paar Futterkörner, dann sind sie immer dabei. Und das ist natürlich für einen Experimentator großartig. 

„Die Steuerzahler haben es verdient, dass ich ihnen auch sage, was ich mache und was dabei herausgekommen ist.“

Onur Güntürkün
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Onur Güntürkün

Das Gehirn übt eine große Faszination auf Menschen aus. Also auch solche, die keine Forscher sind. Woher rührt diese Faszination?
Das startet schon mit der Frage 'Wer bin ich?'. Jeder, der über diese Frage nachdenkt, fragt sich, wo sind diese ganzen Erinnerungen, die in mir stecken? Warum erinnere ich mich an manches nicht mehr? Oder, ab einem gewissen Alter, warum erinnere ich mich nicht mehr so gut, wie ich es früher mal konnte? Warum bin ich ein anderer Mensch als mein Nachbar? Warum bin ich mit dieser anderen Person in der gleichen Familie großgeworden und sehe die Welt doch so ganz anders als die andere Person? Diese Faszination hat immer etwas mit Psychologie und natürlich auch immer etwas mit dem Gehirn zu tun. Da kann sich eigentlich keiner entziehen. Und je mehr man sich in diese Materie hineinversetzt, desto mehr stellen sich natürlich tiefere Fragen. Man schaut sich seinen Hund an und denkt 'Wie sieht der wohl die Welt? Hat der auch ein Bewusstsein? Was denkt der über mich? Die Forscher erzählen mir, dass sein Gehirn ganz ähnlich funktioniert wie meines, wie ähnlich ist das? Folgt daraus auch eine Ähnlichkeit des Denkens? Wie unähnlich ist mir Oktopus? Wie unähnlich ist mir eine Fledermaus? Können Regenwürmer auch denken? Ist das wirklich denkbar?' Je mehr man sich mit diesen Fragen beschäftigt, desto faszinierter ist man.

 

Wissenschaftler sollten auch gute Kommunikatoren sein. Warum ist das so wichtig?
Ich bin ein Mann des 21. Jahrhunderts und ich forsche mit den Mitteln, die mir die Steuerzahler zur Verfügung stellen. Ich bin dankbar dafür, nicht nur für das Geld, sondern auch für die Struktur, in der ich arbeiten darf. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen:. Ich habe einen Beruf, in dem ich weitestgehend frei bin, meine Inhalte selber zu wählen. Ich bin umgeben mit intelligenten, gut ausgebildeten jungen Menschen, ich kommuniziere mit interessanten Menschen auf der ganzen Welt. Niemand schreibt mir etwas vor. Das sind traumhafte Bedingungen.
Der Steuerzahler schenkt mir praktisch blanko sein Vertrauen und das Geld, das ich brauche und sagt „Damit forschst du“. Ich finde, dass diese Steuerzahler es verdient haben, dass ich ihnen auch sage, was ich mache und was herausgekommen ist.

Onur Güntürkün zu Gast bei "Forschergeist"

Subline
In Episode 5 unseres Audio-Podcasts "Forschergeist" sprach Onur Günrtürkün mit Moderator Tim Pritlove über seinen wissenschaftlichen Werdegang und die Bedeutung guter Wissenschaftskommunikation.
Source ID
paragraphs_item::136
Headline Type
H4
Audio Url
http://forschergeist.de/podlove/file/77/s/download/c/select-show/fg005-wissenschaftskommunikation.mp3

Dazu braucht man unter anderem die Medien. Warum haben viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen noch so eine große Medienscheu?
Sie haben mit Medien schlechte Erfahrungen gemacht. Die Arbeit mit Medien ist so eine Art Tanz auf der Rasierklinge. Man muss schon sehr genau wissen, wie man mit Journalisten redet und niemand ist davor gefeit, dass man nicht morgen sein eigenes Gesicht neben einem Nackedei auf Seite zwei findet oder die eigene Forschung, teilweise dem Spott ausgeliefert, präsentiert bekommt.
Als Forscher stehe ich in der Verantwortung, zu kommunizieren. Aber ich muss es in einer verständlichen Art und Weise tun und ich muss einfach lernen, mit den Medien vernünftig umzugehen. Ich muss wissen, dass es bestimmte Medien gibt, bei denen man sehr vorsichtig sein muss und es gibt Medien, denen man sich eigentlich blind anvertrauen kann. Aber wenn man das gelernt hat, und das lernt jeder intelligente Mensch halbwegs schnell, dann funktioniert das eigentlich ganz gut.

 

Es ist also nichts Schlimmes daran, von Forschung zu erzählen…
…man darf sie nur nicht falsch erzählen, das ist ganz wichtig. Ich darf die Dinge nicht so vereinfachen, dass sie de facto falsch sind. Ich darf mich nicht davontragen lassen, dass ich vor immer mehr Menschen, immer großartigere Dinge versprechend, großartige Vorträge halte, die hohl sind. Und diese Gefahr existiert. Das sehen wir in vielen Wissenschaften, zum Beispiel in der Neurowissenschaft, wo es Fachvertreter gibt, die den Menschen Dinge versprechen, die nicht haltbar sind.
Ich muss realistisch bleiben. Ich darf nicht so scharf auf den Applaus und auf die großen Massen sein, dass ich womöglich bereit bin, etwas zu erzählen, was diese großen Massen vielleicht von mir hören wollen. 

Onur Güntürkün
Uli Schepp/ DFG
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Onur Güntürkün

Communicator-Preisträger Onur Güntürkün

Onur Güntürkün ist Professor für Biopsychologie an der Ruhr-Universität Bochum. Er gilt als einer der Wegbereiter und wichtigsten Vertreter einer biologisch fundierten Psychologie. 2014 erhielt er den mit 50.000 Euro dotierten „Communicator-Preis“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Stifterverbandes. Mit dem Preis werden Wissenschaftler ausgezeichnet, die sich um die Vermittlung ihrer Forschung bzw. wissenschaftlicher Sachverhalte allgemein in der Öffentlichkeit verdient gemacht haben

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