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„Unser Bildungssystem ist richtig scheiße digitalisiert“

Patrick Neubert (Foto: Damian Gorczany)
Patrick Neubert in der Aachener "Digital Church" (Foto: Damian Gorczany)
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Nach den Sternen zu greifen ist manchmal einfacher als gedacht. Man muss nur die richtige Idee haben und sich trauen – und ein bisschen frech sein. So wie Patrick Neubert, BWL-Bachelorstudent an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH Aachen) und Mitgründer von Polarstern Education, einer Agentur für digitale Bildungsformate. „Unser Bildungssystem ist richtig scheiße digitalisiert.“ Diesen Satz haute der 24-jährige Vertreter der Digital-Native-Generation beim NRW Hub-Battle in Düsseldorf raus. Das ist ein Wettbewerb, bei dem 14 Start-up-Teams um den Titel des nordrhein-westfälischen Start-up-Champions konkurrieren.

Gute digitale Lehre – Blended Learning oder reine Onlinelehrveranstaltungen – steht und fällt hierzulande für gewöhnlich mit enthusiastischen Hochschullehrern. Massive Open Online Courses (MOOCs), also Lehrveranstaltungen in Form von speziell dafür konzipierten Onlinekursen, seien an vielen Hochschulen auch heute noch eher die Ausnahme als die Regel, sagt Patrick Neubert. Die meisten Lehrenden setzten noch immer auf (Frontal-)Lehrveranstaltungen wie in Vor-Internet-Zeiten.

Der Nachholbedarf ist also groß. Das sieht auch die Kultusministerkonferenz (KMK) so und empfahl Mitte März 2019 den Hochschulen unter anderem, die Digitalisierung der Lehre hochschulübergreifend als Strategie fest zu verankern. Neubert und seine Gründungspartner Jonas Kölzer und Sebastian Schmidt landeten beim NRW Hub-Battle zwar nur auf dem zweiten Platz, doch auch ohne Siegertitel ist Polarstern Education seit der Gründung im Frühjahr 2018 auf Erfolgskurs. Der erste Kunde war, das bot sich an, die RWTH Aachen, weitere – überwiegend Unternehmen, die ihre Mitarbeiter intern schulen und fortbilden wollen – kamen bald hinzu.

Patrick Neubert (Foto: Damian Gorczany)
Patrick Neubert (Foto: Damian Gorczany)
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Weiter.Denker

Die Digitalisierung verändert die Art, wie wir arbeiten. Doch sind wir darauf vorbereitet? Welche Kompetenzen müssen wir dafür mitbringen und wie vermitteln wir diese? Wie müssen wir Bildung, Wissenschaft und Innovation weiterdenken, um wirtschaftlich, technologisch und gesellschaftlich nicht den Anschluss zu verlieren. In der Reihe „Weiter.Denker“ stellen wir Personen vor, die bereits vorbildliches leisten, die weiterdenken und versuchen, unsere Zukunft aktiv zu gestalten.
Lesen Sie hier alle Weiter.Denker-Porträts 

„MOOCs zu kreieren heißt nicht, 90-Minuten-Vorlesungen einfach nur abzufilmen, sondern vielmehr eine Dramaturgie zu entwickeln, verschiedene Elemente zu integrieren.“

Patrick Neubert (Foto: Damian Gorczany)
Patrick Neubert (Foto: Damian Gorczany)
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Patrick Neubert, CEO und Co-Founder Polarstern Education

„Wir möchten Lehrende dazu befähigen, den Schritt vom vorgelesenen Manuskript zu neuen, kreativen und interaktiven Lehrformen zu machen“, sagt der junge Gründer, der kurz vor dem Ende seines Studiums steht und sich während seines gesamten Studiums als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Wirtschaftswissenschaften für Ingenieure und Naturwissenschaftler mit MOOCs beschäftigt hat. 

Ein Glücksfall für Neubert, denn so lernte er schon früh: „MOOCs zu kreieren heißt nicht, 90-Minuten-Vorlesungen einfach nur abzufilmen, sondern vielmehr eine Dramaturgie zu entwickeln, verschiedene Elemente zu integrieren. Wenn man etwa eine E-Learning-Einheit zum Thema Wagniskapital konzipiert, ist es sinnvoll, den Lernstoff um kurze Videos oder Animationen zu ergänzen, die den Studierenden gezielt Auflockerung, Anregung und weitere Informationen bieten“, erläutert er.

Professionelle Unterstützung für Lehrende

Patrick Neubert und sein Team in den Büroräumen von Polarstern Education.
Patrick Neubert (Foto: Damian Gorczany)
Patrick Neubert (Foto: Damian Gorczany)
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Das werde aber speziell an Hochschulen nur dann eine runde Sache, wenn den Lehrenden professionelle Teams zur Seite gestellt würden – und das sollten am besten externe Dienstleister wie Polarstern Education sein. Das Team hat Büroräume in einem Coworking-Gebäude im Zentrum von Aachen gemietet – nicht auf dem Campus, aber doch nah genug. „Doktoranden oder Professoren sollte die Neukonzeptionierung digitaler Lehre nicht zusätzlich aufgebürdet werden. Ich halte es für den falschen Weg, den Lehrenden dies auch noch auf den Schreibtisch zu legen“, sagt Neubert. Und: „Was passiert mit E-Learning-Formaten, wenn der Nachwuchswissenschaftler oder der Professor die Hochschule verlassen? Die Expertise und damit die entwickelten Lehrformate verschwinden mit ihnen – denn ein nachhaltiges Wissensmanagement findet meistens nicht statt.“

Und das ist schlecht. Nur 1 bis 2 Prozent der deutschen Hochschulen, schätzt Neubert, seien schon so fortgeschritten in der Digitalisierung der Lehre, dass sie ihre Studierenden damit fit für die Arbeitswelt 4.0 machen können. „Wer sich privat bestens mit seinem Smartphone auskennt, ist damit noch lange nicht gut gerüstet für eine digitalisierte und vernetzte Arbeitswelt.“ Das nötige Rüstzeug mitzugeben, das ist für Patrick Neubert aber definitiv eine Aufgabe der Hochschulen. Doch nur wenige, wie etwa die RWTH Aachen, die TU München oder das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), haben eigene fakultätsübergreifende Abteilungen für die digitale Lehre. „Ansonsten fühlt sich dort niemand so richtig verantwortlich.“

Also ein riesiger Markt. Dennoch sind derzeit nur zwei Hochschulen unter den Polarstern-Kunden. Hauptsächlich deshalb, weil sich dort Ausschreibungsprozesse für derlei Dienstleistungen sehr in die Länge ziehen. Und das, sagt Neubert, passe nicht zur kreativen Ungeduld und zum Tempo seines Teams. Dessen Dienstleistungen sind für eine schnelle Umsetzung und stetige, dynamische Weiterentwicklung konzipiert. „Wir wollen uns nicht anpassen und langsamer werden.“

„Wer sich privat bestens mit seinem Smartphone auskennt, ist damit noch lange nicht gut gerüstet für eine digitalisierte und vernetzte Arbeitswelt.“

Patrick Neubert (Foto: Damian Gorczany)
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Patrick Neubert, CEO und Co-Founder Polarstern Education
Patrick Neubert und sein Team entwickeln für Ihre Kunden MOOCs und Blended-Learning-Konzepte.
Patrick Neubert (Foto: Damian Gorczany)
Patrick Neubert (Foto: Damian Gorczany)
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Für die von Polarstern Education entwickelten MOOCs und Blended-Learning-Konzepte gilt: „Die gewünschten Inhalte liefern uns die Lehrenden – wir setzen sie nach dem One-Stop-Shop-Prinzip um“, sagt Neubert. Sprich: Softwareentwicklungen und Medienproduktionen zu den Lehrinhalten, Implementierung in die Lehre und fortlaufende Betreuung der Kunden – alles aus einer Hand und innerhalb von 90 Tagen, verspricht das Unternehmen.  

Neubert und seine Kollegen arbeiten mit Open-Source-Software und stellen die digitalen Kurse für ihre Kunden über die von der Harvard University und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelte Webplattform Open edX bereit. „Wir implementieren damit eine sogenannte White-Label-Lösung: Die Infrastruktur, die wir für die Kurse anbieten, ist immer dieselbe – sie wird nur für die Bildungseinrichtung jeweils optisch angepasst. Sie trägt also im Frontend das Gesicht des Kunden“, erläutert Neubert. So könnten sie ihre Dienstleistung deutlich günstiger anbieten, als wenn sie für jeden Kunden etwas komplett Neues kreierten. Das bedeutet für die Gründer auch, zunächst die eigenen Kosten niedrig halten zu können und auf Fremdkapital zu verzichten.

Mutige Gründer

Dass Neubert das Thema Digitalisierung auf den Nägeln brennt, beweist sein bisheriger Werdegang: Kaum hatte er in Paderborn sein Abitur in der Tasche, saß er – „direkt nach dem Abi-Ball“ – auch schon im Flugzeug, Ziel: Kalifornien, Silicon Valley. Auf dem Campus der Stanford University, am Lehrstuhl für Education des MOOC-Gurus Professor Paul Kim, absolvierte er ein Praktikum. Seine Aufgabe: ein Marktforschungsprojekt für Onlinekurse, in dem er das Nutzerverhalten und die Bedürfnisse von Usern unter die Lupe nahm. „Ich war sofort total fasziniert von dieser Gründermentalität auf dem Campus – und von den Möglichkeiten, die ich als Praktikant in Deutschland so nicht gehabt hätte: Im Silicon Valley können sich junge Menschen in kleinen Teams von Anfang an Aufgaben mit Verantwortung stellen.“

Dennoch kehrte er zum Studium nach Deutschland zurück – unter anderem, weil gute US-Unis sehr teuer sind. Am Lehrstuhl von Professor Malte Brettel, der digitaler Lehre gegenüber sehr aufgeschlossenen ist, fand er dann an der RWTH Aachen ideale Voraussetzungen, um sich früh auf dem Feld der Onlinekurse auszuprobieren. Ideen, wie Hochschulen über kurz oder lang digitale Lehre fest verankern könnten, finde man zum Beispiel an ausländischen Unis – und dafür müsse man nicht unbedingt bis nach Stanford schauen, ein Blick in die Niederlande genüge, sagt der Jungunternehmer: „Die Uni Delft beispielsweise verpflichtet viele neu berufene Professoren dazu, digitale Lehre zu machen.“ Wohl wissend, dass die alte Generation noch zu fest im Sattel alter Lehrgewohnheiten sitzt.

Neubert und seine Kollegen wollen weiter wachsen, gern auch mit passenden Partnern – der Name „Polarstern“ mit seiner Assoziation von der grenzenlosen Weite des Alls komme natürlich nicht von ungefähr, sagt Neubert. Auch dass das Team einen (halb-)deutschen Namen wählte, ist beabsichtigt: „Wir möchten uns von den fast ausschließlich englischsprachigen Namen anderer Start-ups abheben.“

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