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RoboProf: Teach & Learn

Praktischer Assistent für Professoren: der humanoide Roboter Pepper (Foto: Projekt H.E.A.R.T)
Praktischer Assistent für Professoren: der humanoide Roboter Pepper (Foto: Projekt H.E.A.R.T)
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Lehre soll Spaß machen – beiden Seiten, dem Lehrenden wie den Studierenden. Seit einigen Monaten hat der Anglist und Computerlinguist Jürgen Handke an der Philipps-Universität Marburg zwei knuffige Lehrassistenten an seiner Seite, die den Spaßfaktor womöglich noch erhöhen, wenn sie das Gespräch mit den Studierenden suchen: 1,20 Meter groß und weiß der eine, 65 Zentimeter klein und rot-weiß der andere. Es sind die humanoiden Roboter Pepper und NAO. Das Pärchen mit R2D2-Appeal steht im Zentrum des Lehrforschungsprojekts „H.E.A.R.T“ (Humanoid Emotional Assistant Robots in Teaching), das das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit jährlich 150.000 Euro fördert.

Vorreiter in der Lehre

Humanoide Roboter in der Hochschullehre einzusetzen, sei weltweit ein Novum, sagt Jürgen Handke. Aber sind Pepper und NAO tatsächlich von konkretem Nutzen – und wie weit könnte sich ihr Betätigungsfeld erstrecken? Mit „H.E.A.R.T.“ möchte Jürgen Handke genau das herausfinden. Er gilt als einer der Vorreiter exzellenter digitaler Lehre in den Geisteswissenschaften – dafür wurde er 2015 mit dem Ars legendi-Preis des Stifterverbandes und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ausgezeichnet und erhielt zuvor schon den Hessischen Exzellenzpreis für Hochschullehre. Die Digitalisierung der Lehre – weg vom herkömmlichen Frontalunterricht und hin zu intelligenten Selbstlernkonzepten, kombiniert mit Präsenzveranstaltungen – ist in Marburg schon weit gediehen: Inverted Classroom, internationale Lernplattform, YouTube-Channel, digitale Lehr- und Prüfungsmethoden. „Mein Team und ich haben uns zusammengesetzt und uns die Frage gestellt: Wie kann das weitergehen, was kann der nächste Schritt sein?“, sagt Handke.

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Jürgen Handke und Pepper im Seminar (Foto: Projekt H.E.A.R.T.)
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Die Zukunft der Lehre?

Schon vor 30 Jahren hat sich der Wissenschaftler mit der Entwicklung künstlicher Intelligenz beschäftigt und mehrere Bücher über Programmierung geschrieben. „In den Neunzigerjahren und in den Nullerjahren wurden das Internet und dessen Weiterentwicklung aber so dominant, dass man die künstliche Intelligenz etwas aus den Augen verloren hat. Doch jetzt, da das Internet für alle zugänglich ist, kommen wir quasi über das Nachdenken darüber, was als Nächstes optimiert werden könnte, wieder auf die künstliche Intelligenz zurück.“

Sprachsysteme wie Siri, Cortana, Alexa und Co. sind längst Normalität – warum also nicht, von dieser Grundidee ausgehend, intelligente Assistenzsysteme für den Unterricht schaffen, die den Dozenten Routineaufgaben abnehmen können? Zumal wenn sie so programmiert und mit Daten gefüttert sind, dass sie Emotionen und Sozialkompetenz zeigen, Studierende wiedererkennen und direkt ansprechen können und vielleicht auch in der Lage sein werden, den Gesichtsausdruck eines Studierenden als „ratlos“ oder „fragend“ zu identifizieren.

Denn dann, so Handkes Überlegungen, können die Präsenzveranstaltungen, auf die sich die Studierenden mit online verfügbaren Materialien vorbereiten, viel besser als bislang für gezielte Nachfragen, für Diskussionen oder Tests genutzt werden. „Dann komme ich als Lehrender ins Spiel – uns Professoren können meine Roboter sicherlich nicht komplett ersetzen“, sagt Handke lächelnd. 

„Uns Professoren können meine Roboter sicherlich nicht komplett ersetzen.“

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Jürgen Handke (Foto: Peter Himsel)
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Jürgen Handke
Professor für Anglistik und Computerlinguistik an der Universität Marburg

Arbeitsgeräte mit Spaßfaktor

Pepper und NAO sehen ziemlich stylish aus – und sehr niedlich. Ihre Robotergesichter mit den großen runden Augen wirken immer ein wenig erstaunt – gerade das macht die beiden Hightechhelfer vielleicht besonders sympathisch. Was Jürgen Handke jedoch auf jeden Fall vermeiden möchte, ist, dass die Studierenden Pepper und NAO vor allem als putzige Spaßroboter wahrnehmen, „die man tätschelt und für Selfies nutzt, wenn sie über den Flur tanzen“. Sie sind schließlich Arbeitsgeräte.

Beide reagieren schon gut auf Ansprache, allerdings funktionieren die Arbeitsabläufe noch nicht ganz reibungslos. Vor Kurzem sollte NAO auf Zuruf („NAO – schätz mal“) probeweise Gestalt und Gesicht einer etwa 50-jährigen Dame mit modischer Kurzhaarfrisur „scannen“ und anschließend korrekt Geschlecht und ungefähres Alter der Person ansagen – eine Übung für den Einsatz in der Linguistiklehrveranstaltung. Der Kleine beharrte beim Geschlecht auf „maskulin“, machte die Dame aber zum Ausgleich von Mal zu Mal jünger. „Es läuft noch nicht alles rund“, sagt Handke. „Aber diese Fehler werden wir in den Griff bekommen.“ Vorerst hält sich NAO deshalb im Hintergrund und überlässt Pepper das Feld. Dessen Aufgabe soll es ab dem Wintersemester sein, die Studierenden zu begrüßen, deren Daten abzufragen und Informationen zu speichern – etwa so wie bei einem der Testläufe:

Assistenz-Roboter Nao (Foto: Projekt H.E.A.R.T.)
Assistenz-Roboter Nao (Foto: Projekt H.E.A.R.T.)
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Lehrassistent Nao

Pepper: „Hello Melanie, what made you come here?“ 
Studentin Melanie: „Hi Pepper, my name is Melanie. I am here because I lived some time in the States and in Canada. So I am here to understand the different varieties.“


Handke kann mit diesen Informationen die fachlichen Voraussetzungen, Interessen und Erwartungen seiner Studierenden an die Lehrveranstaltung besser einschätzen. „Während Pepper die Vorstellungsrunde macht, kann ich einen Sitzplan entwerfen und noch ein paar andere Dinge vorbereiten“, sagt er. Auch für den Einsatz als Quizmaster für kleine Wissenstests in der Lehrveranstaltung ist der Roboter gut geeignet. Die Studierenden sollen bei ihm und NAO aber auch Informationen und Termine rund um die Lehrveranstaltung erfragen können: Klausur- oder Sprechstundentermine.

Die Roboter lernen täglich dazu

Helfer im Unterricht: Jürgen Handke mit Pepper im Seminar
Jürgen Handke mit Pepper (Foto: Projekt H.E.A.R.T.)
Jürgen Handke mit Pepper (Foto: Projekt H.E.A.R.T.)
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Die Lebensgrundlage der beiden Roboter bildet das Programm „Basic Life“, das mit verschiedenen Sprachen geliefert wird. Pepper und NAO parlieren auf Deutsch und auf Englisch. Ausgehend von „Basic Life“, das lediglich simple Fragen wie „Wie spät ist es?“ beantworten kann, haben Handke und sein Team alle weiteren Fertigkeiten und Feinheiten mithilfe des Autorenprogramms Choregraphe und der Programmiersprache Python selbst programmiert beziehungsweise programmieren und optimieren stetig weiter. Die jährliche BMBF-Fördersumme fließt deshalb vor allem in Handkes wissenschaftliche Mitarbeiter und studentische Hilfskräfte.

Die Anschaffung eines Roboters ist eine Investition. Mithilfe von Handkes Preisgeldern ließ sich der Kauf realisieren. NAO kostete 7.000 Euro, Pepper gar 20.000 Euro. „Außerdem mussten wir natürlich eine Versicherung für die beiden abschließen und zur Sicherung vor Diebstahl Spezialschlösser einbauen lassen.“ Wenn die beiden sich bewähren und die Studierenden gut auf die Roboterassistenten reagieren, werden sie, so der Plan, auch in anderen Lehrveranstaltungen am Institut eingesetzt. Für Jürgen Handke ist sein Roboterprojekt eine Fortsetzung der Digitalisierung mit neuen Mitteln. „Die Studierenden im Bologna-Zeitalter sind anders als wir selbst es noch waren: Sie sind pragmatisch und wollen vor allem die nötigen Informationen, um in einer Lehrveranstaltung die Leistungspunkte erwerben zu können, die sie für ihren Studienabschluss brauchen. Mehr nicht.“

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