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Digital Lehren (nicht nur) in Corona-Zeiten

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Screenshot: Stifterverband
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Viele Jahre lang wurde geredet, es wurden Workshops abgehalten, es wurden Strategiedebatten geführt – all das hat uns kaum geholfen, denn die Lehre an den deutschen Hochschulen befindet sich in großen Teilen immer noch tief im 20. Jahrhundert. Wenn überhaupt – dann wurden Hörsaaltechnologien eingesetzt und in den Vertiefungsphasen in hohem Maße „PDF-isiert“! Die Worte der Mahner, die Lehre doch endlich ins 21. Jahrhundert zu überführen, sind fast überall verhallt.

Und jetzt haben wir den Salat! Das Corona-Virus zwingt uns in eine Lehre ohne Präsenzphasen – Sie merken, ich vermeide ganz bewusst den Begriff „Online-Lehre“. Doch wie soll diese Lehre aussehen? Und noch gravierender – wie sollen wir diese Lehre realisieren? 

Ich will an dieser Stelle keine Publikumsbeschimpfung vornehmen und die jahrelange Zurückhaltung tadeln. Nein, ich möchte zeigen, wie es geht und Mut machen. Schauen wir uns dazu zunächst das Gerüst der Lehre an. Wir kennen im Wesentlichen zwei Phasen:

  • eine Phase der Inhaltsvermittlung und -erschließung
  • eine anschließende Phase der Inhaltsvertiefung.

Bisher war es so: Phase 1 in Präsenz im Hörsaal, Phase 2: per Selbststudium oder in zusätzlichen Tutorien. Das geht nun so nicht mehr, die Präsenzphasen sind gestrichen. Und ich sage es ohne Umschweife und aus langjähriger Erfahrung: Lehren ohne Präsenz wird niemals so gut gelingen wie mit!

„Nehmen Sie die Corona-Krise zum Anlass, sich mit ihren Fachkollegen zusammen zu tun. Erzeugen Sie auch hochschulübergreifend Lehrveranstaltungen gemeinsam. Und nutzen Sie die digitalen Ergebnisse auch in kommenden Semestern. “

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Jürgen Handke 2017 (Foto: privat)
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Jürgen Handke

Für Phase 2 ist das aber lösbar. Wir stellen unsere bisher ja vielfach schon vorhandenen Übungsmaterialien einfach digital zur Bearbeitung für unsere Studenten bereit. Das machen die meisten sowieso. Da nun eine persönliche Beratung, zum Beispiel in Form von Tutorien nicht mehr möglich ist, empfehle ich die Einrichtung von „Live-Sprechstunden“ per Web-Conference oder – und das mache ich gerade – sie stellen zusätzlich einfache – wirklich einfache - Erklärvideos zu den Übungsfragen und Rechercheaufträgen bereit. Diese Videos können Sie ohne Aufwand mit ihrem Laptop erstellen.

Doch wie vermitteln wir die Inhalte? Was machen wir mit Phase 1?

Was man so hört, planen viele Hochschulen mit einer „virtuellen Präsenzlehre“: Per Live-Stream sollen wir uns aus menschenleeren Hörsälen oder von unserem Schreibtisch aus mit 90-minütigen live ins Internet übertragenen Vorlesungen an unsere Studenten wenden.

Ehrlich gesagt, als ich das hörte, konnte ich es kaum glauben. Diese Art der synchronen virtuellen Präsenzlehre hatten wir schon um 2005 herum verworfen. Sie repliziert doch nur die Probleme der klassischen Lehre (zum Beispiel die fehlende Individualisierung) und fügt noch das neue Problem der fehlenden sozialen Kontakte hinzu. Und was ist mit Nachhaltigkeit? Was, wenn auch in den kommenden Semestern die Präsenzlehre ausfällt? Machen wir das Gleiche dann nochmal? Ich finde, wir sollten in anderen Kategorien denken. Wir sollten die Corona-Krise als Chance verstehen, unsere Lehre nun endlich vernünftig zu digitalisieren.

Live-Streams aus menschenleeren Hörsälen sind keine gute Idee, meint Jürgen Handke.
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Online-Vorlesung (Foto: Tumisu via Pixabay)
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Für die Inhaltsvermittlungsphase benötigen wir digitale Elemente, damit es ohne Präsenz funktioniert: Lehrvideos, Texte, Bilder, Animationen, Simulationen und falls Sie zusätzliche E-Assessments einbauen wollen, Testfragen. Damit stellen wir einzelne Lerneinheiten zusammen und verknüpfen diese zu Kursen.

Der Aufwand dafür ist in der Tat enorm. Doch man kann es schaffen. Aber nur, wenn wir unser Mindset ändern und zulassen, dass wir auch Fremdmaterial in unserer Lehre nutzen. Das haben wir doch bei Büchern auch gemacht, oder haben Sie Ihre Lehrbücher alle selbst geschrieben?! Es geht also.

Aber nur durch Kollaboration, Kooperation und den Willen, es auch nachhaltig tun zu wollen. Das war bisher nicht vorhanden. Wir Deutschen haben ein paar Probleme:

  • keine Scheiternkultur (und ich sage Ihnen voraus, Sie werden Scheitern)
  • keine Kooperation in der Lehre (Jeder macht irgendwie sein eigenes Ding)
  • keine Anerkennungskultur. 

Was wir hingegen gut können, ist Warnungen auszusprechen und Risiken zu benennen. Und wenn das nicht hilft – Datenschutz. Das muss jetzt aufhören, und ich bin sicher, es wird aufhören, weil die Lehre sonst den Bach herunter geht. Nehmen Sie die Corona-Krise zum Anlass, sich mit ihren Fachkollegen zusammen zu tun. Erzeugen Sie auch hochschulübergreifend Lehrveranstaltungen gemeinsam. Und nutzen Sie die digitalen Ergebnisse auch in kommenden Semestern. Und zum Thema Video: Haben Sie schon einmal nachgeschaut, was YouTube für Ihr Fach anbietet? Nutzen Sie diese Videos, es gibt genug davon. Es kann doch nicht sein, dass ein tausendfach nachgefragtes Video, das weltweit genutzt wird und top-bewertetet ist, ignoriert wird, nur weil ein deutscher Fachkollege darin zu sehen ist?

 

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(Foto: Pixabay)
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Daher hier mein ganz konkretes Rezept:

  1. Nehmen Sie ihre Kurse für das Sommersemester 2020 und arrangieren Sie sich mit Ihren Fachkollegen. Für jede Lehrveranstaltung erzeugen Sie bis zum Semesterbeginn die ersten drei Lerneinheiten. 
  2. Ab der zweiten Semesterwoche erzeugen Sie im Wochenrhythmus immer eine weitere Lerneinheit. Sie sind Ihren Studenten also immer um zwei Wochen voraus. Das reicht, um ausgiebig zu testen, auftretende Fehler zu beheben und zwei Wochen vor Semesterende fertig zu sein. Übrigens: beziehen Sie doch Ihre Studenten mit ein. Auch die können vorhandene Videos empfehlen, kleine Videos produzieren und Texte schreiben. Nutzen Sie deren Potenzial.

Und noch etwas: Wenn Sie jetzt schnell anfangen und die Last auf vielen Schultern verteilen und digitale Materialien nutzen, die es bereits gibt, dann müssen Sie auch nicht von einem Nicht-Semester reden. Betrachten Sie die Corona-Krise als Chance und das kommende Semester als Kreativ-Semester – und zeigen Sie, dass wir nicht nur im allgemeinen Zusammenleben solidarisch sein können, sondern erstmals auch in der Hochschullehre.

Zur Person

Jürgen Handke, Anglist an der Universität Marburg, hat mehrere Bücher im Bereich Sprachwissenschaft, Sprachtechnologie sowie E-Education verfasst und bemüht sich seit Jahren um die Nutzung digitaler Lehr-, Lern- und Prüfungsszenarien in der Hochschullehre. Die Hochschulrektorenkonferenz und der Stifterverband verliehen ihm 2015 den „Ars legendi-Preis für exzellente Hochschullehre“. Handke ist Betreiber des Virtual Linguistics Campus, der weltweit größten Lernplattform für Inhalte der englischen und allgemeinen Sprachwissenschaft. Sein YouTube-Kanal Virtual Linguistics Campus enthält mehrere hundert frei zugängliche selbst-produzierte Lehrvideos und ist der größte seiner Art. Seit 2006 hat er seine Lehre sukzessive vollständig digitalisiert und die entsprechenden Formate curricular verankert. 

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