Future Skills

Mit Trump und Trollen für mehr Datenkompetenzen

Junge Frau arbeitet auf dem Tablet
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Wie unterscheiden sich die Tweets von Donald Trump von denen russischer Trolle? Eine interessante Frage, wenn man die entsprechenden Twitterdaten zur Hand hat. Verwendet Trump tatsächlich „unfassbar viele einzigartige Worte“, wie er im Wahlkampf behauptet hat? Mitnichten, die russischen Trolle sind eindeutig wortgewandter.

Was sich zunächst wie Spielerei anhört, ist anspruchsvoll: Wer aus Big Data Erkenntnisse gewinnen will, der muss wissen, wie man Daten auswählt, säubert, analysiert, interpretiert, infrage stellt und in einen Kontext einordnet – eine lange Liste von Datenkompetenzen. In jüngster Zeit fasst man sie unter „Data-Literacy“ zusammen. 

Der Begriff meint weit mehr als ein breites und tiefes Detailwissen über entsprechende Methoden und Technologien. Data-Literacy bezieht die Dimension der Datenethik mit ein, dass man versteht, auf welchen Motivationen und Werten genau diese Daten, deren Analyse und die daraus gezogenen Schlüsse beruhen. Nur so kann man als Bürger, Wissenschaftler, Politiker, Journalist oder Entscheider in einer Institution oder in einem Unternehmen planvoll mit Daten umgehen, sie im jeweiligen Kontext bewusst einsetzen und kritisch hinterfragen. Data-Literacy ist, ohne Frage, im 21. Jahrhundert eine Schlüsselkompetenz.

Einen Vorgeschmack darauf gibt derzeit die Corona-Pandemie, bei der in sehr wichtige Entscheidungen massiv Daten einfließen. Kaum einer blickte zunächst durch. Viele der Datenstatistiken verwirrten eher, als dass sie aufklärten, auch heute noch. Die Unsicherheit wächst, die Kritik an Entscheidern, Institutionen und Medien ebenso. Verschwörungstheoretiker bekommen Zulauf – nicht nur, aber auch, weil der Bevölkerung und den Medienmachern Datenkompetenzen fehlen. So hat der MedWatch-Autor Hinnerk Feldwisch-Drentrup beispielsweise die Verständnisfehler von Journalisten und Redaktionen, die querbeet in seriösen Medien vorkamen, beschrieben: zu simple Meldezahlenvergleiche, eine zu große Fixierung auf absolute Zahlen, Überinterpretationen von Fluktuationen oder ignorierte statistische Unsicherheiten – alles Stolpersteine aus dem Data-Literacy-Themenfeld. 

Die Datenberge wachsen

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Daten sind heute ubiquitär, denn die Digitalisierung führt zwangsläufig zu einer Datafizierung. In nahezu allen Disziplinen werden heute Daten in großen Mengen erhoben oder sie entstehen als Nebenprodukt. Man überwacht, plant, steuert oder bewertet mit ihnen Prozesse. Beispiele sind etwa Sensordaten in der Produktion, digitale Versichertendaten, Daten von Fitnesstrackern, Verkehrsflussdaten oder Kundendaten in Customer-Relationship-Management(CRM)-Systemen. Die Liste wird immer länger. 

Umso erstaunlicher ist es, dass Bildungsangebote zu Data-Literacy in Deutschland noch eher die Ausnahme sind. Wenn überhaupt, so gibt es hier und da einzelne Kurse, in denen sich technikaffine Studierende oder Programmierfans tummeln. Gerade Hochschulen sind in der Pflicht, viel mehr Raum zu bieten, damit Data-Literacy flächendeckend ausgebildet und geübt werden kann. „Der Bedarf an entsprechenden Bildungsangeboten ist immens“, sagt Johanna Ebeling, Programm-Managerin beim Stifterverband, denn im Idealfall sollte jeder Studierende umfassende Datenkompetenzen erlernen – ob nun in den Sozialwissenschaften, der Medizin oder den Kulturwissenschaften. Viele Hochschulen hätten dies auch längst erkannt.

Entsprechende Angebote in die Curricula der Studiengänge zu verankern, das steht aber auf einem anderen Blatt. Es gibt noch hohe Hürden, weshalb der Stifterverband die Akteure, die genau das vorhaben, seit 2018 mit dem Förderprogramm „Data Literacy Education“ im Rahmen der Initiative „Future Skills“ stützt und begleitet. Partner sind die Heinz Nixdorf Stiftung, das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen (MKW) und die DATEV-Stiftung Zukunft. Johanna Ebeling leitet das Programm.

Scheu vor Statistik

Im Förderprogramm loten die Pionierhochschulen derzeit aus, was in Sachen Data-Literacy-Lehre funktioniert und was nicht. Eine Erkenntnis: Die Masse der Studierenden findet keinen Zugang zu den Angeboten, weil eine weitverbreitete Scheu vor Statistik und Programmiersprachen im Weg steht. „Da kann man noch so oft betonen, dass es absolut keine Vorkenntnisse für die Data-Literacy-Vorlesung braucht“, sagt Physikerin Jana Lasser, aber gerade Studierende aus technikfernen Fakultäten machten weiterhin einen großen Bogen um dieses Wahlfach, weil es zu schwer wirke. Viele wüssten zwar, wie wichtig diese Kenntnisse in Zukunft sein werden. Wegen des Zeitdrucks falle Data-Literacy dann aber doch hinten runter. 

Datenphobien sind unter Studierenden weit verbreitet, weiß die Physikerin Jana Lasser.
Jana Lasser (Foto: Damian Gorczany)
Jana Lasser (Foto: Damian Gorczany)
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Diese Art von Datenphobie ist eine harte Nuss. Trump und die Trolle sollen sie knacken – als Lockvögel im Rahmen des 2019 gestarteten interdisziplinären Projektes „Daten Lesen Lernen“ an der Georg-August-Universität in Göttingen. Es ist Teil des besagten Förderprogramms. Jana Lasser hat das Trump-Trolle-Beispiel konzipiert: „Diese teils lustige und ebenso ernste Fallstudie kommt extrem gut an und interessiert Studierende aus allen möglichen Fakultäten.“ Es ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung – denn begeisterte Teilnehmer erzählen anderen Studierenden davon. Nicht nur in Göttingen setzt man deshalb auf die Überzeugungskraft der Absolventen als Botschafter, die in ihren Fakultäten für Data-Literacy werben sollen. 

Interdisziplinäre Lehrformate für Data-Literacy sollten an die Lebenswelt der Studierenden andocken und Themen aufgreifen, die den jungen Menschen aus allen Fachrichtungen am Herzen liegen: Nachhaltigkeit, Klimawandelfolgen, moderne Stadtgesellschaften, urbaner Raum. In Göttingen geht man mit Daten Lesen Lernen folgenden Weg: Die Studierenden lernen mit Tutoren in den ersten vier Wochen zunächst die Programmiersprache Phython. Anschließend prozessieren sie anhand von Fallstudien mit Echtdaten, wie in dem Trump-Trolle-Beispiel, eine Datenanalyse von Grund auf durch. Die so eingeübten Kompetenzen vertiefen die Studierenden anschließend mit einer Projektarbeit aus dem echten Leben. Partner sind dabei die regionale Wirtschaft, NGOs und die Forschung, die allesamt Daten bereitstellen. So ließ beispielsweise der lokale Bauernhof Lotta Karotta, der Gemüsekisten ausliefert, analysieren, ob die hofeigene Solaranlage den tatsächlichen Bedarf des Betriebs deckt oder nicht. 

„Die Studierenden schätzen sehr, dass sie schon früh im Studium, auf spielerische Art und Weise, mit sehr reichhaltigen Datensätzen arbeiten dürfen.“

Matthias Bandtel
Matthias Bandtel (Foto: privat)
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Matthias Bandtel
Hochschule Mannheim

Echtdaten sind wichtig, damit Data-Literacy-Lehr-Lern-Formate gelingen. Die sperrige Statistik rückt in den Hintergrund, der Fokus liegt stattdessen auf Erfahrungen, wie man authentische Probleme in Stadt und Region mithilfe von Daten besser verstehen und im Team lösen kann. „Die Studierenden schätzen wirklich sehr, dass sie schon früh im Studium, auf spielerische Art und Weise, mit sehr reichhaltigen Datensätzen arbeiten dürfen“, sagt Matthias Bandtel. Er beobachtete mehrfach an der Hochschule Mannheim, wie dabei der Funke übersprang: „Wer einmal den Mehrwert datengeleiteter Projektentwicklung für sich entdeckt hat, der bleibt dann gerne auch dabei.“ 

Bandtel baut mit seinem Team das ebenfalls im Programm des Stifterverbandes geförderte Mannheimer „Modell Data Literacy Education“ (MoDaL) auf. Er ist Träger des Albert-und-Anneliese-Konanz-Lehrpreises und an der Hochschule Mannheim Gründungsmitglied des „Kompetenzzentrums Lehre & Lernen“ (KLL). 

Das hochschulübergreifende MoDaL-Projekt besteht aus mehreren Modulen, die an unterschiedlichen Phasen im Studium ansetzen: unimodal1 in der Studieneingangsphase, bimodal2 im Grundstudium, trimodal3 im Hauptstudium. Alles baut aufeinander auf. Die Komplexität der Kompetenzen, die trainiert werden, nimmt stetig zu. Das Modul „multimodaln“ ist ein Angebot für Lehrende, damit sie parallel die Organisation der Data-Literacy-Lehre weiterentwickeln können, auch mit Kooperationspartnern außerhalb der Hochschule. „Wir verfolgen in multimodaln beispielsweise die Frage, wie man die für Data-Literacy engagierten Lehrenden und Fakultätsmitarbeiter enger zusammenschweißen kann, damit das Netzwerk noch besser gehört wird – innerhalb der Hochschule wie außerhalb“, sagt Matthias Bandtel. Ziel von MoDal sind Angebote für 5.200 Studierende, die an neun Fakultäten 23 unterschiedliche Bachelorstudiengänge studieren.

Mehr Studierende erreichen – dies sehen die Göttinger als größte Herausforderung. Ihre studentischen Botschafter können diese Mammutaufgabe alleine gewiss nicht stemmen. Die Lehreinheiten von Daten Lesen Lernen müssen vielmehr hochschulübergreifend zur Pflichtaufgabe werden – indem man sie in die Studienpläne der Fakultäten integriert. Genau daran arbeiten Jana Lasser und ihr Team bereits intensiv. Matthias Bandtel hat in Mannheim Vergleichbares vor und weiß, dass gerade hierfür die Latte hoch hängt: „Hochschulen sind stark dezentral organisiert, mit einer großen Autonomie der Fakultäten.“ Ohne das Einvernehmen aller Fakultätsleitungen und der Entscheidungsträger im Rektorat gehe es nicht. 

Eine nicht unerhebliche Hürde, da Data-Literacy gerade für geisteswissenschaftliche oder gestalterische Disziplinen eher ein „nice to have“-Lehrinhalt ist. Die Studienpläne sind voll und man möchte nur sehr ungern anderes streichen, damit Platz da wäre für Datenkompetenzen. So stehen die Pioniere im Programm Data Literacy Education aktuell vor allem vor einer Herausforderung: Sie müssen jede Menge Überzeugungsarbeit leisten, in alle Richtungen, was viel Zeit und Kraft kostet.  

Hier soll das „Data Literacy Education Netzwerk“ helfen. Es wurde 2019 gegründet und ist beim Stifterverband angesiedelt. Mittlerweile sind 23 Hochschulen angedockt, die untereinander Erfahrungen austauschen und gemeinsam neue Lösungsansätze erarbeiten, damit Data-Literacy irgendwann in allen Fächern selbstverständlich dazugehört. 

Jede Hochschule bringt neue Ideen in das Netzwerk ein – das ist der große Mehrwert. Die Universität Duisburg-Essen möchte beispielsweise Data-Literacy-Angebote über die eigene Bibliothek nachhaltig verankern.

Logo des Programms "Data Literacy"
Logo: Stifterverband
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Das berichtet Patrick Hintze, stellvertretender Geschäftsführer des dortigen Zentrums für Hochschulqualitätsentwicklung (ZHQE): „Bibliotheken bieten viele datenrelevante Services an, was manchmal unterschätzt wird.“ Sie seien Orte, an denen Studierende intensiv und niedrigschwellig an das Recherchieren, Akquirieren, Strukturieren und Visualisieren von Daten herangeführt werden könnten. Aus Hintzes Sicht sind Lehrende und die Referenten der Bibliothek, die bereits das Management vieler Forschungsdaten unterstützen, in puncto Data-Literacy-Education ein Dreamteam: „Wir sehen zwischen ihnen heute schon viele Brückenschläge, die wir unbedingt intensivieren wollen.“

Auch in Ostwestfalen-Lippe (OWL) stehen Offenheit und Gemeinschaft ganz oben auf der Ideenliste. So wollen die drei am Verbundprojekt DataLiteracySkills@OWL beteiligten Hochschulen ein gemeinsames OWL-Datenzertifikat etablieren. „Unsere Region ist mittelständisch geprägt und wir haben viele datenaffine Unternehmen, die immer wieder dringend Absolventen mit Data-Literacy-Kompetenzen suchen“, so Juliane Theiß von der Universität Bielefeld. Sie ist überzeugt, dass ein solches Zertifikat auch für andere Regionen nützlich sein könnte. „Wir entwickeln es nicht explizit nur für uns, andere können diese Idee gerne aufgreifen.“ 

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