Es traf Sebastian Kuhn unvorbereitet, als er das erste Mal angefunkt wurde, um per Ferndiagnose seinen Rat zu einem medizinischen Notfall zu geben. Auf dem Bildschirm des Unfallchirurgen und Dozenten am Universitätsklinikum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz poppten die radiologischen Aufnahmen eines Patienten auf, der 100 Kilometer entfernt in einer Klinik lag und auf eine Entscheidung wartete. Operation oder nicht? „Ich war verunsichert“, erinnert sich Kuhn. Hatte er alle Informationen, die er brauchte? Was würde es rechtlich für ihn bedeuten, wenn seine Empfehlung übernommen werden würde? Damit die Medizinstudierenden in Mainz nicht ebenso unvorbereitet in solche Situationen hineingeraten wie er, hat Kuhn für sie das E-Health-Lehrkonzept „Medizin im digitalen Zeitalter“ erarbeitet.
In Aachen sitzt derweil Torsten-Oliver Salge in seinem Büro und beamt sich in Gedanken ins Wintersemester 2017. Der Prof an der RWTH Aachen wird dann seinen neuartigen Masterstudiengang für Wirtschaftsingenieure an den Start bringen. Die dafür eingeschriebenen Young Professionals werden irgendwo auf der Welt vor ihrem Rechner sitzen, wenn sie sich die neuesten Erkenntnisse der Robotik aneignen oder in Diskussionsgruppen über ethisches Handeln im Technologiemanagement debattieren. „Mehr als 80 Prozent der Lerninhalte werden digital vermittelt“, sagt Salge.
Das Konzept für das reformierte Medizinstudium und der neue Masterstudiengang der RWTH – sie gehören zu den zwölf zukunftsorientierten Hochschulprojekten, die der Stifterverband und die Carl-Zeiss-Stiftung im Rahmen des Programms „Curriculum 4.0“ ausgezeichnet haben und mit bis zu je 60.000 Euro fördern. Auch eine „Smart Learning Platform“ für Studenten ist darunter, ein Studiengang, der Mittelständlern Werkzeuge für Industrie-4.0-Geschäftsmodelle vermittelt, oder ein Projekt, das Designer auf ihre neue Rolle in der technisierten Welt vorbereitet. Die Preisträger wurden aus fast 150 Bewerbungen ausgewählt.
„Die Lebens- und Arbeitswelt hat sich durch die Digitalisierung gravierend verändert und dem muss sich auch die akademische Ausbildung anpassen“, sagt Sebastian Horndasch, Programmmanager beim Stifterverband. Was müssen Hochschulabsolventen in Zukunft können? Wie lassen sich veraltete Lehrpläne auf die Herausforderungen der technisierten Gesellschaft ausrichten? „Diesen Fragen müssen sich Hochschulen stellen“, sagt er. Das Förderprogramm ist ein erster Schritt, sie dabei zu unterstützen.