Future Skills

Der Heldenmacher

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Philipp Humbsch (Foto: Bettina Ausserhofer)
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Philipp Humbsch kann das inzwischen im Schlaf. Die Übungspuppe auf den Rücken legen, sich daneben knien, die Handballen auf die Mitte des Brustkorbes platzieren und zum Rhythmus von „Highway to Hell“ von ACDC mit gestreckten Armen fünf bis sechs Zentimeter nach unten drücken. 30 Mal. Dann zweimal beatmen und wieder 30 Mal drücken.

Wie oft er inzwischen bei Projekttagen an Brandenburger Grundschulen in Sporthallen auf einer Matte gehockt und Schülern die Übung vorgemacht hat - er hat es nicht gezählt. 30, 2, 30, 2. „Bei der Mund-zu-Mund-Beatmung wird dann meistens erst einmal gekichert“, erzählt er in einem Café in Frankfurt an der Oder, der Stadt in der er lebt und aufgewachsen ist.

Philipp Humbsch ist 27, breite Schultern, bunte Turnschuhe und Dreitagebart. Eine Zugstunde entfernt studiert er Medizin an der Berliner Charité und hat vor drei Jahren begonnen, die ehrenamtliche Erste-Hilfe-Initiative „Jeder kann ein Held sein“ aufzubauen. Inzwischen ist daraus ein Netzwerk von 50 Mitstreitern geworden, die als Organisatoren oder Dozenten dazu beigetragen, dass Kinder von der Prignitz bis zur Lausitz lernen, was eine Herz-Lungen-Wiederbelebung ist, wie man Bewusstlose in die stabile Seitenlage bringt, Verletzte verbindet – und dass sie in Notsituationen zu allererst die Nummer des Rettungsdienstes, 112, ins Handy tippen. Mehr als 3.000 Brandenburger Grundschüler haben das bis heute gelernt. 

Zivilcourage im weitesten Sinne will er mit der Initiative fördern, sagt der Medizinstudent. Dazu gehört für ihn, dass Menschen nicht vorbeilaufen und wegsehen, wenn jemand in Not ist, wie das so häufig bei Unfällen passiere. Da ihm sehr wohl bewusst ist, dass das viel Mut erfordert, hat er sein Vorhaben „Jeder kann ein Held sein“ genannt. Seine Mitstreiter und sich selbst sieht er in der Rolle der „Heldenmacher“.  

Doch die Idee war kein Selbstläufer. Als er mit seinem Angebot an Schulen herantrat, bekam er eine Absage nach der anderen. „Kennen wir nicht, brauchen wir nicht“ bekam er zu hören. Erst als eine Direktorin dafür bei ihren Kollegen warb, änderte sich die Lage – und die Schulen riefen plötzlich ihn an. 

Humbsch gründete einen Verein, um die Initiative voranzubringen und Spenden zu sammeln. Er gewann Medizinstudenten, Rettungssanitäter und Feuerwehrleute dafür, aus Kindern Erste-Hilfe-Helden zu machen – und den Ministerpräsidenten von Brandenburg, Dietmar Woidke, Schirmherr zu werden. Das Land Brandenburg steuerte einen Helden-Kleintransporter bei, die Brandenburger Unfallkasse Übungspuppen, Unternehmen und Organisationen Geld und Verbandsmaterial. Nun will Humbsch eine Stiftung gründen, um „Jeder kann ein Held sein“ langfristig finanziell abzusichern. Das Preisgeld, das er jetzt erhält, soll die Startinvestition sein. 

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Philipp Humbsch (Foto: Bettina Ausserhofer)
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Die Auszeichnung

Am 3. April 2018, bei der „Gala der deutschen Wissenschaft“, wird Philipp Humbsch für sein Engagement vom Studentenwerk und dem Hochschulverband als „Student des Jahres 2017“ ausgezeichnet. Das Preisgeld von 5.000 Euro steuert der Stifterverband bei. Unter 52 Bewerbungen hat die Jury Humbsch und seine Brandenburger Initiative ausgewählt, nachdem im vergangenen Jahr eine ehrenamtliche Flüchtlingsinitiative geehrt worden war und im Jahr davor ein Entwicklungshilfeprojekt.

Mehr zum Preis

„Grundschulkinder sind noch neugierig, sie lernen gern und haben weniger Hemmungen als ältere Schüler Dinge auszuprobieren.“

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Philipp Humbsch (Foto: Bettina Ausserhofer)
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Philipp Humbsch

Erste Hilfe als Grundfertigkeit

Humbsch weiß, dass Menschen sich leicht überfordert fühlen, wenn sie in brenzlige Situationen geraten und mit Verletzungen oder Krankheiten konfrontiert werden. Immer wieder hat er das im Rettungsdienst erlebt, zunächst als Praktikant, seit Jahren arbeitet er neben dem Studium als Rettungssanitäter.

Dass es oft Unwissenheit und Angst sind, die Menschen dazu führen, sich auf Hilfe von außen zu verlassen - und nicht selbst die Initiative zu übernehmen, begann er zu verstehen, als er mit seinen Kollegen zu einem bewusstlosen Mann gerufen wurde. „Die erwachsene Tochter fächelte ihm nur Luft zu, anstatt ihn zu reanimieren, wie sie das im Erste-Hilfe-Kurs für den Führerschein gelernt haben müsste“, erinnert er sich. „So hätte sie sein Leben retten können.“ Dieses Erlebnis war die Initialzündung für sein Vorhaben.    

Warum aber nun schon Sechs- bis Zwölfjährigen beibringen, wie man Menschen reanimiert? Das sei ja schon für Erwachsene eine große Herausforderung, kritisieren Skeptiker die Initiative. „Grundschulkinder sind noch neugierig, sie lernen gern und haben weniger Hemmungen als ältere Schüler auszuprobieren, wie etwas funktioniert, zum Beispiel die Mund-zu-Mund-Beatmung“, entgegnet ihnen dann der Medizinstudent. Ziel der Schulungen sei es auch nicht, dass Kinder im Notfall bei einem Erwachsenen eine Herzdruckmassage durchführen. „Sie sollen aber nicht in Schockstarre fallen – und wissen, was zu tun ist“, sagt er.    

Ginge es nach ihm, sollte Kindern Erste Hilfe als Grundfertigkeit vermittelt werden, die sie ihr Leben lang nicht vergessen, so wie Schreiben, Lesen und Rechnen. „Erste Hilfe sollte im Rahmenplan der Grundschule verankert und die Kinder regelmäßig darin geschult werden“, findet Humbsch. Bisher sähen die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz erst ab der siebten Klasse Unterweisungen darin vor.

Überzeugungsarbeit bei den Kultusministern

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Philipp Humbsch (Foto: Bettina Ausserhofer)
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Um zu zeigen, wie viel die Kinder in den Kursen dazu lernen und wie sich dadurch ihr Alltag verändert, lässt Humbsch die Initiative vom Sozialmedizinischen Institut der Charité wissenschaftlich evaluieren. „Die Ergebnisse werden die Kultusminister überzeugen“, hofft er.

Seit der Oberstufenzeit weiß Humbsch, dass er Mediziner werden will. Mit 16 wurde er Rettungsschwimmer bei der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft DLRG und war bei Einsätzen an Seen und Flüssen dabei. Bei Musikfestivals meldete er sich als Freiwilliger, um Pflaster auf Wunden von Teilnehmern zu kleben und den Rettungssanitätern bei ihrer Arbeit über die Schulter zu sehen. 

Drei Anläufe brauchte er, bis er mit seiner Abiturnote von 1,6 einen der begehrten Studienplätze an der Charité bekam. In der Wartezeit arbeitete er als Sanitäter im Bundeswehrkrankenhaus in Berlin. „Im Rettungsdienst habe ich oft über Leben und Tod nachgedacht“, sagt er. Das habe ihm bewusster gemacht, was ihm wichtig ist.

Wenn er all seine theoretischen und praktischen Prüfungen endlich geschafft hat, will Humbsch Anästhesist werden – und dann als Notarzt arbeiten.   

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