Future Skills

„Wir müssen Quantentechnologie in die Schulen und Universitäten bringen“

Quantencomputer von IBM (Foto: IBM)
Quantencomputer von IBM (Foto: IBM)
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Herr Tutschku: Was versteht man eigentlich unter einem Quantencomputer? Worin unterscheidet er sich von einem „klassischen“ Rechner?
Tutschku: Bei einem herkömmlichen Computer stellt ein Bit die kleinste Rechnereinheit dar. Im Unterschied dazu funktionieren Quantenrechner mit Qubits. Diese Recheneinheiten lassen sich auf verschiedene Arten herstellen. Das von Fraunhofer genutzte IBM-System basiert etwa auf sogenannten supraleitenden Qubits ...

Was ist das?
Tutschku: Beispielsweise fließt in einem supraleitenden Flux-Qubit Strom im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn durch eine Leiterschleife mit bestimmten Bauteilen. Dies hat ein magnetisches Moment des Qubits zufolge, das – ähnlich einer Kompassnadel – in einem externen Magnetfeld parallel oder antiparallel ausgerichtet werden kann. Diese Ausrichtung entspricht den „0“ und „1“, die wir aus dem klassischen Computing kennen. Mithilfe von Mikrowellenpulsen können wir diesen Zustand nun manipulieren und eine Superposition, also Überlagerung, erzeugen sowie Qubits miteinander verschränken. Durch diese Effekte können Qubits in Quantencomputern viele Operationen gleichzeitig ausführen.

Christian Tutschku (Foto: Fraunhofer IOA)
Christian Tutschku (Foto: Fraunhofer IAO)
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Christian Tutschku leitet das Team Quantencomputing beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO

Ich habe einmal den Satz gelesen: „Eine Quantenschaltung schaltet nicht, sie macht eine Evolution durch“. Inwiefern ist bei der Arbeit mit Qubits eine andere Logik der Programmierung, ein anderes Denken notwendig?

Pillen: Es ist ein Paradigmenwechsel – etwa wie wenn man vom zweidimensionalen Drucken zum 3-D-Druck wechselt – womit sich viele neue Möglichkeiten eröffnen. Hier geht man nun weg von „0“ und „1“ und rechnet nun mit Wahrscheinlichkeiten: Weg von diesem deterministischen Denken, bei dem dieselbe Eingabe immer das selbe Ergebnis liefert. Stattdessen bewegen wir uns hin in eine Welt, in der es unendlich viele Zustände gibt und in der man mit Wahrscheinlichkeiten rechnet. Das öffnet die Tür, um Probleme zu lösen, die man bisher nicht auf herkömmliche Art oder gar nicht hat berechnen können. 

Gregor Pillen (Foto: IBM/Fotoatelier Ebinger)
Gregor Pillen (Foto: IBM/Fotoatelier Ebinger)
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Gregor Pillen, Vorsitzender der Geschäftsführung IBM Deutschland GmbH

Was kann ein Quantencomputer besser als herkömmliche Rechentechnik, die ja in Supercomputern auch schon sehr leistungsfähig ist?
Tutschku: Wir erhoffen uns, dass Quantencomputing uns helfen kann, sogenannte NP-harte Probleme - also non-deterministische Probleme – in den Griff zu bekommen. Ein solches komplexes Problem, bei dem klassische Rechentechnik an ihre Grenzen stößt, ist das Traveling Salesman Problem (TSP): Ein Handlungsreisender steht ratlos vor der Aufgabe, die kürzeste Verbindung zwischen zahlreichen Städten zu finden, die er jeweils genau ein Mal besuchen soll. Mit wachsender Anzahl der Städte, die er besucht, steigen die Anforderungen exponentiell - was herkömmliche Algorithmen überfordert. Quantentechnologie soll unter anderem Lösungen für Herausforderungen in der Logistik liefern. TSP kann auch als Modell dienen: Auch andere Probleme, die auf ein gleiches mathematisches Modell zurückgehen, lassen sich mithilfe von Quantenrechnern lösen.

Welche sind das?
Tutschku: Zum Beispiel: Wie kann ich eine Produktionskette von verschiedenen Bauteilen, die auf verschiedenen Maschinen im Herstellungsprozess verteilt werden müssen, letztendlich optimieren? Überall bei diesen ganzen Problemen hat man die Frage der Echtzeit-Anpassung - bei der Logistik genau so wie etwa beim Laserschneiden. Eines der Probleme, das wir uns beispielsweise mit einer der weltführenden Firmen aus dem Bereich der Werkzeugmaschinen hier im Raum Stuttgart anschauen ist: Wie schneidet man bestimmte Bauteile mit einem Laserschneidekopf aus einem Blechstück aus, um möglichst wenig Verschnitt und damit am Ende Müll zu produzieren? 

Der IBM Quantencomputer steht am Standort Ehningen in Baden-Württemberg
Quantencomputer (Foto: IBM)
Quantencomputer (Foto: IBM)
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Die Quantentechnologie kann also dann ihre Trümpfe ausspielen, wenn es darum geht, hochkomplexe Aufgaben schnell zu lösen?
Tutschku: Moment! „Wann möchte ich etwas schneller machen?“ ist auch nicht die richtige Frage. Denn „Wann muss es genauer sein?“ ist ebenfalls wichtig. Dank eines Quantencomputers kann ich die Suchräume für einen Algorithmus viel, viel größer machen – und ihn so auf immer größere Genauigkeit trainieren. Basierend darauf versprechen (bereits heute) Methoden des Quantum Machine Learnings eine deutlich gesteigerte Performance und Genauigkeit gegenüber deren klassischem Counterpart.

Pillen: Die Innovation, die hier stattfindet kann aber nur skalieren, wenn wir das Ganze in einer Art offenen Innovation fahren. Das heißt, dass wir eben durch Netzwerke wie Fraunhofer ganz viele Kunden, ganz viele Interessenten reinholen. Wir haben uns bemüht, die entsprechende Software als offenes System zu entwickeln. Daran sind mittlerweile über 400.000 Entwickler weltweit beteiligt, und es wächst ständig weiter. So können die entsprechenden Quantenalgorithmen und -modelle erforscht und entwickelt werden, damit man den entsprechenden Entwicklerkreis und die entsprechenden use cases so vorbereitet, so dass - wenn in der Zukunft Rechner mit 10.000 Qubits zur Verfügung stehen - diese Technologie für den Kunden nutzbar ist. Die rein technische Entwicklung des Rechners ist also nur eine Seite: Ebenso wichtig ist es, Skills aufzubauen, die Entwickler, die Algorithmen, und die Möglichkeit, um das Ganze industriell zu nutzen.

„Quantentechnologie muss in die Schulen und Universitäten kommen, damit der gesellschaftliche Nutzen und ihre Auswirkung verstanden und im positiven Sinne transportiert wird. Dazu müssen wir Faszination wecken: Quantentechnologie muss zum Anfassen, quasi zu spüren sein! “

Gregor Pillen (Foto: IBM/Fotoatelier Ebinger)
Gregor Pillen (Foto: IBM/Fotoatelier Ebinger)
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Gregor Pillen
Vorsitzender der Geschäftsführung IBM Deutschland GmbH

Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer hat den IBM-Quantencomputer einmal als eine Art „Hightech-Fahrschule" bezeichnet. Wenn ich das richtig verstanden habe, haben Unternehmen die Phase des bloßen Herantastens an die Quantentechnologie aber bereits verlassen?
Tutschku: Ich brauche diese High-Tech-Fahrschule, weil ich – um im Bild zu bleiben – sehr schnell einen Sportwagen alleine werde fahren müssen. Wir müssen lernen, wie man mit Fehlern umgeht – die ein Quantencomputer immer haben wird. Anfangs mag man noch mit Simulationen und Fehlermodellen arbeiten können – und kann diese Simulationen noch mit klassischem Computing überprüfen. Algorithmen, die allerdings mehr als 70 Qubits haben, können wir selbst mit leistungsfähigsten High-Perfomance-Computern nicht mehr simulieren.  Zum Vergleich, der IBM Q System One in Ehningen liegt heute schon bei 27 Qubits, das leistungsfähigste IBM-System schon bei 127. Wir versuchen, Probleme in unserer „Fahrschule“ so herunterzubrechen, dass Kunden später Werkzeuge haben, um in komplexen, konkreten Anwendungsfällen selbstständig damit umgehen zu können. Wir machen die Unternehmen durch unterschiedliche Schulungsprogramme quantum ready ...

Die Quantentechnologie entwickelt sich derzeit nicht isoliert, sondern in Netzwerken. Experten sprechen von einem „Ökosystem“ an Fachkräften, das für eine funktionierende Infrastruktur in diesem Bereich nötig ist.
Tutschku: Es ist wichtig, Anstrengungen in der Aus- und Weiterbildung für diese Technologie zu bündeln, damit wir uns nicht im föderalistischen Klein-Klein verlieren. Nur gemeinsam und offen können wir die Gewinnung von Nachwuchs für die Quantentechnologie schnell vorantreiben. Wir haben die Verpflichtung, unser erarbeitetes Wissen zu teilen, um einen möglichst effizienten Know-how-Transfer in die Unternehmen beziehungsweise in die Schulen zu gewährleisten. Ein Quantencomputing-Fellowship, mit dem schon Lehrerinnen und Lehrer zu Multiplikatoren für diese Technologie weitergebildet werden, ist beispielsweise ein Anfang. Solche Programme, wie sie der Stifterverband zusammen mit IBM gerade entwickelt , sind wichtig, um den Wissenstransfer zu fördern. Auch die Fraunhofer-Gesellschaft bietet mehrere Aus- und Weiterbildungsprogramme an. 

Pillen: Wir haben beispielsweise ein Programm initiiert, um Quantentechnlogie in die Schulen zu treiben. Wir überlegen gerade gemeinsam mit dem Stifterverband: Wie kann man eine QuantenAkademie aufbauen, die Oberstufenschülern die Grundlagen der Quantentechnologie vermittelt? Darüber hinaus arbeiten wir an sogenannten Curriculumlabs, mit denen angehenden Physik-, Informatik- und Mathematiklehrer qualifiziert werden können. Auf dem KI-Campus bieten wir allen Interessierten bereits einführende Online-Kurse zum Thema Quantum Machine Learning an. Es ist wichtig, jemanden wie den Stifterverband zu haben, der die Aufgabe erfüllt, Brücken zu bauen zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung und Lehre. 

„Es ist hier wichtig, Anstrengungen in der Aus- und Weiterbildung für diese Technologie zu bündeln, damit wir uns nicht im föderalistischen Klein-Klein verlieren. Nur gemeinsam und offen können wir die Gewinnung von Nachwuchs für die Quantentechnologie schnell vorantreiben. “

Christian Tutschku (Foto: Fraunhofer IAO)
Christian Tutschku (Foto: Fraunhofer IAO)
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Christian Tutschku
Leiter Team Quantencomputing beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO

Warum ist das Thema so wichtig, dass wir hier gemeinsam und schnell handeln müssen?
Pillen: Quantentechnologie muss in die Schulen und Universitäten kommen, damit ihr gesellschaftlicher Nutzen und ihre Auswirkung verstanden und im positiven Sinne transportiert wird. Dazu müssen wir Faszination wecken: Quantentechnologie muss zum Anfassen, quasi zu spüren sein! Die Frage wird sein: Wie viel Begeisterung haben wir entfacht, wie viel Begeisterung konnten wir dafür erzeugen, den Nutzen dieser Technologie auch umzusetzen? Das hat eine enorme Bedeutung, daran wird sich letztlich die Zukunft entscheiden.

Kompetenzentwicklung Quantencomputing

In seinem Programmschwerpunkt Wissen für die Transformationsgesellschaft setzt sich der Stifterverband dafür ein, dass Quantencomputing in der schulischen Bildung, den akademischen Curricula und in der Lehrerausbildung besser berücksichtigt wird. Auf diese Weise sollen Neugier und Begeisterung bei Schülerinnen und Schülern geweckt, Studierende und (angehende) Lehrkräfte qualifiziert und Schulministerien für die Integration des Themas in die Lehrpläne motiviert werden. Dazu entwickelt der Stifterverband zurzeit - unter anderem mit dem Mitgliedsunternehmen IBM - folgende Aktivitäten: 

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