Wissenschaftskommunikation

Wir hören Stimmen

Kopfhörer
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Es war ein kleiner Paukenschlag: Der Satiriker Jan Böhmermann, soeben durch sein umstrittenes Erdogan-Gedicht zu größerer Bekanntheit gelangt, verkündete im Frühjahr seinen Abgang beim rbb-Programm „radioeins“. Seitdem fabriziert Böhmermann mit seinem Kollegen Olli Schulz einen exklusiven Podcast für den digitalen Musikdienst Spotify. Es war vielleicht das erste Mal, dass hierzulande eine breitere Öffentlichkeit Kenntnis von einem Medium nahm, das in den USA bereits ein Millionenpublikum erreicht: Hörer luden dort die erste Staffel des Podcasts „Serial“, der 2014 einen umstrittenen Mordfall neu aufrollte, mehr als 40 Millionen Mal herunter. Im gleichen Jahr gründete sich in den USA das erste professionelle Podcastlabel Gimlet.

Dass in den aus dem Internet herunterladbaren Audios auch hierzulande viel Musik steckt, erkannten die Berliner Podcastunternehmer von Viertausendhertz: Ende Januar 2016 ging das erste professionelle Podcastlabel Deutschlands an den Start. Die vier Viertausendhertz-Macher wollen beweisen, dass „Hörstücke zum Mitnehmen“ – auch jenseits vom Krimistoff – das Potenzial haben, ein breiteres Publikum zu erschließen. Einer von ihnen ist Nicolas Semak. 

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Nicolas Semak über "Viertausendhertz"
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Dabei können auch komplexe Themen beim Hörer ankommen – wie einer der meistgehörten US-Podcasts beweist: „Radiolab“ verwebt wissenschaftliche Inhalte mit atmosphärischen Klängen und Musik zu einem fesselnden Audiogeflecht. Auch in der deutschen Podcast-Hitparade von iTunes rangieren Sendungen zu Wissenschaftsthemen auf den Top-Plätzen: Spitzenreiter ist „Eine Stunde History“ von DRadio Wissen, vorn dabei ist auch das „radioWissen“ des Bayerischen Rundfunks mit mehreren Millionen Abrufen im Monat. Laut der jüngsten Onlinestudie von ARD und ZDF hat sich die Quote der deutschen Podcasthörer von 2014 auf 2015 fast verdoppelt. Und laut Bitkom Research sagen 14 Prozent aller Deutschen, dass sie hin und wieder Podcasts hören. 

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Podcast-Cover "Lage der Nation"
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„Wir beobachten den Politikbetrieb. Wir denken, dass es viele Themen gibt, über die man länger als zehn oder zwanzig Sekunden nachdenken kann.“ (Philip Banse und Ulf Buermeyer)

Ein Blick auf die aktuellen iTunes-Charts verrät: Es ist nicht eine Nische, die sich da erweitert, es sind viele Nischen, die sich zu einem „Mainstream der Minderheiten“ – je nach speziellen Interessen des Hörens – auswachsen könnten. Unter den beliebtesten Podcasts finden sich Gesprächsformate wie die „Lage der Nation“, in dem Philip Banse und Ulf Buermeyer das politische Wochengeschehen analysieren, genauso wie ein Podcast zu Games namens „PietCast“.

„Die Einstiegshürden für das Hören wie auch für das Machen sind in den letzten Jahren deutlich gesunken“, sagt Tine Nowak, die als Patin Podcasteinsteiger unterstützt. Podcastverzeichnisse wie iTunes oder Podcasts.de lassen sich thematisch nach Interessengebieten durchstöbern. „Mit Podcatcher-Apps wie etwa AntennaPod kann ich meine Lieblingspodcasts kostenlos abonnieren – und habe sie immer im Smartphone mit dabei“, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin mit Schwerpunkt Medienpädagogik an der TU Darmstadt, die selber für ihren Podcast „Kulturkapital“ vor dem Mikrofon sitzt.

Tipps für Podcast-Einsteiger:

Meet-ups und persönliches Coaching

Tipps von Tine Nowak, Podcastpatin des Sendezentrums

Wenn man mit dem Podcasting anfängt, erscheint einem alles erst einmal unheimlich kompliziert. Diese Unsicherheit kann man schneller abbauen, wenn man gleich jemanden an seiner Seite hat.

Dafür bieten die „PodcastpatInnen“ sogenannte Meet-ups in verschiedenen deutschsprachigen Städten an. Aber auch auf Konferenzen wie der Subscribe, dem Chaos Communication Congress oder der re:publica sind die "PodcastpatInnen" vor Ort und helfen beim Ausprobieren von Methoden und Technik. Sie bieten auch individuelle Beratung. Auf ihrer Webseite gibt es ein Formular, über das sich „PatInnen“ und „Patenkinder“ finden können. 

Erste Schritte: Podcasts per Smartphone aufnehmen

Mit der Audio-App von Auphonic kann man Podcasts direkt mit dem Smartphone aufnehmen und sofort veröffentlichen. Wenn man den Podcast fertig hat, kann man ihn mit der App auch gleich hochladen. Bei dieser Software sorgen Algorithmen für eine automatische Klangverbesserung. Ein wenig erfahrenere Nutzer können mit einer neuen Betaversion der App sogar die Tonaufnahme bearbeiten: Teile, die nicht so gelungen sind, lassen sich schneiden oder man kann ein zu Beginn vorproduziertes Intro der Aufnahme voranstellen. Um die Audios hochzuladen, benötigt man Webspace. Dafür muss man einen Account anlegen. Auphonic bietet hierfür ein sogenanntes Freemium-Modell an: Pro Monat lässt sich damit eine Stunde lang Audiomaterial kostenlos hochladen. Wer mehr publizieren will, kann – zu moderaten Preisen – Zeit dazukaufen. Schließlich bietet Auphonic unterschiedlichste Möglichkeiten zur Veröffentlichung: sowohl auf dem Soundcloud-Account des Nutzers als auch auf dem Player des WordPress-Blogs. 

Zeitsouverän hören können, wann und wie man will: Das begeistert auch Ulrike Kretzmer am Format. Dank der einfachen Handhabbarkeit des Mediums ist die Studentin vom Fan zur Macherin (Museumspodcast „Exponiert“) geworden. „Wenn man ein bisschen ein kreativer Mensch ist, kommt irgendwann der Wunsch, selber zu podcasten. Eine Kommilitonin hat das bereits gemacht. Da habe ich gesehen: Ganz normale Menschen können das auch.“ Audiophil, sagt die 29-Jährige, sei sie schon als Kind gewesen. „Heute höre ich Podcasts von früh bis spät.“ 

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Ulrike Kretzmer über Podcast-Hören
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Es ist vor allem die Faszination der Stimmen, die Ulrike Kretzmer nicht mehr loslässt. Dadurch, dass man diese mit dem Kopfhörer direkt ins Ohr lässt, entstehe Nähe, durch regelmäßiges Hören eine fast persönliche Beziehung. Podcastformate hält Kretzmer – gerade weil sie den Gesprächen Raum geben – zuweilen für vertrauenswürdiger als Hörfunksendungen. 

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Kretzmer: Podcast besser als Radio?
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Slowfood für die Ohren

„Ich muss nicht verdichten. Ich kann erklären, wiederholen, Pausen machen. Ich gebe den Leuten Zeit, mitzudenken“, sagt Tim Pritlove.  Pritlove, der mit Podcasts zu netzpolitischen Themen begonnen hat, gilt als der deutsche Podcastpionier. Mittlerweile produziert er fast ein Dutzend Gesprächsformate, darunter den „Forschergeist“ mit dem Stifterverband. Zwei oder auch mal drei Stunden dauern Pritloves Podcasts. Manchmal auch zu vermeintlich sperrigen Themen wie „Moore, Paludikultur und das Klima“. Als eine Art Slowfood für die Ohren, als Gegenbewegung zum „schnellen Virtuellen“ bewerten Medienjournalisten – bei denen auch lange Texte (Longreads) hoch im Kurs stehen – den Trend hin zu Podcasts. „Leicht konsumierbare und einfach zu durchsuchende Inhalte gibt es überall, jetzt wollen die Leute etwas anderes“, schrieb etwa David Carr in der New York Times. Podcasts funktionierten gerade als zeitintensives Medium der Vertiefung, betont Pritlove: „Podcast hören heißt, wenn ich so nach einer halben Stunde anfange, die Braue zu lupfen und zu sagen: Ach echt? Wirklich? Ist ja geil!“

„Podcast hören heißt, wenn ich so nach einer halben Stunde anfange, die Braue zu lupfen und zu sagen: Ach echt? Wirklich? Ist ja geil!“

Tim Pritlove, Podcaster
Tim Pritlove (Foto:[Joi Ito](http://flickr.com/photos/35034362831@N01), [Tim Pritlove](https://commons.wikimedia.org/wiki/File:TimPritloveJI1.jpg), [CC_BY_2.0_DE]( https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/legalcode)
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Tim Pritlove

Doch über diese traditionelle Vorstellung von Podcasts ist eine Art Richtungsstreit in der Community ausgebrochen: „Die deutschen Podcast-Charts“, schrieb Nicolas Semak 2015 im Magazin Wired, „sind eine Aneinanderreihung von völlig vernerdeten Special-Interest-Themen, die vor allem viel Leerlauf zum Inhalt haben.“ Statt solcher „Laberformate“ forderte er mehr „neue formal und inhaltlich innovative Ideen für das klingende Netz“ – die er seit Januar 2016 selber mit Viertausendhertz umsetzt. Deren „Mixer“ schafft eine atmosphärische Verknüpfung von Gespräch und Reportage, etwa bei einem Streifzug mit einem Streetart-Aktivisten durch New York.

Aufwand, warnt dagegen Podcastpionier Pritlove, sei nicht unbedingt gleich Qualität. Bei Features oder „überproduzierten Beiträgen“ könne er oft nicht erkennen, „was für mich dadurch bei der Wahrnehmung des Inhalts leichter geworden ist“.

Die Unruhe, verursacht durch Akteure, die Podcasts professionalisieren (Viertausendhertz) und monetarisieren wollen (Audible, Spotify), hat indes Bewegung in die Formate gebracht. Stücke wie „Mehr als ein Mord“ über einen in Dresden ermordeten Asylbewerber wagen sowohl „Serial“-ähnliche Serienformate als auch die multimediale Einbindung von Bildern und Texten.

Podcast-Hören per App
Foto: Michael Sonnabend, [CC BY 2.0.DE](https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/legalcode)
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Podcasting als Resterampe?

Lesen Sie auch die anderen Beiträge in unserem Podcast-Special: 

Podcasting als Resterampe? Das öffentlich-rechtliche Radio muss sich angesichts der Netzkonkurrenz neu erfinden. Auch kommerzielle Dienste versuchen verstärkt, das Podcasting zu vereinnahmen. Nicht immer zur Freude der freien Szene. 
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Der Ton macht die Wissenschaft. Kaum ein Format in der Wissenschaftskommunikation gibt Forschern so viel Raum, um über Wissenschaft zu reden, wie Podcasts. Magische Hörmomente inbegriffen. Ein Streifzug durch eine reiche Medien-Landschaft.
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Auch das mediale Modewort Storytelling hat längst die Szene der Podcaster erreicht; aber vielleicht lassen sich im Geschichtenerzählen sogar die scheinbar gegensätzlichen Positionen zum Podcasting zusammenführen. „Radiolab“ etwa verbindet ein abstraktes Thema mit einer authentischen persönlichen Präsentation und der Lebenswelt der Hörer. Wie in der Folge „Schuld“, in der die Geschichte eines Mannes erzählt wird, der nach einer Hirnoperation eine Vorliebe für Kinderpornografie entwickelt. Die schwierige Materie gehen die „Radiolab“-Macher Jad Abumrad und Robert Krulwich zunächst in einer verdichteten Reportage an. Die Frage nach dem freien Willen entfalten sie dann in einem Gespräch zwischen Krulwich und einem Neurowissenschaftler erörtert, in dem auf faszinierende Weise all die Zweifel, die Haltung und die Persönlichkeit der Protagonisten hörbar werden. Seine Philosophie brachte Abumrad in einem Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) auf den Punkt: „Geschichtenerzähler sind wie Schamanen. Wir erzeugen einen traumartigen Zustand zwischen den Leuten, wie vor tausend Jahren am Lagerfeuer.“

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