Wissenschaftskommunikation

Der Wüstenforscher

Nicht nur Felszeichnungen interessieren den Forscher – die Dokumentation mit der Kamera gehört zur Feldarbeit wie hier am Ennedi-Plateau im Tschad. Der Sandsteinkomplex in der Sahara wurde 2016 in die Welterbeliste der Unesco aufgenommen
Nicht nur Felszeichnungen interessieren den Forscher – die Dokumentation mit der Kamera gehört zur Feldarbeit wie hier am Ennedi-Plateau im Tschad. Der Sandsteinkomplex in der Sahara wurde 2016 in die Welterbeliste der Unesco aufgenommen. (Foto: Adam Polczyk/ Uni Köln)
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Die internationale Fachzeitschrift Nature titelt schlicht „Mann der Wüste“. Der Deutschlandfunk nennt ihn den „deutschen Indiana Jones“ und ein saudisches Hochglanzmagazin den „Veteran“ der Sahara-Forschung. Stefan Kröpelin würde es gerne bei „Wüstenforscher“ belassen, ein Geowissenschaftler, der sich mit der Klimageschichte Nordafrikas befasst, zudem mit Archäologie und Naturschutz. „Wir sind in Gegenden unterwegs, die vor uns noch nie ein Wissenschaftler betreten hat und nach uns wohl auch für lange Zeit nicht betreten wird. Da muss man für alles offen sein, was einem begegnet.“ 

Das können Höhlen mit Felsbildern sein oder Muschelreste im Wüstensand. Aber auch Skorpione im Schlafsack, Wegelagerer oder verdurstende Flüchtlinge. Was braucht ein Wüstenforscher neben der wissenschaftlichen Expertise? Ein Gespür für Menschen und Landschaften, Geduld, Zielstrebigkeit und eine gute Portion Glück.

All das hat Stefan Kröpelin in den vergangenen vier Jahrzehnten gehabt. Wenn er erzählt – und Kröpelin erzählt mit Verve –, in welch riskanten, oft ausweglos erscheinenden Situationen er und sein Team bestehen mussten, all die Episoden würden leicht einen Abenteuerroman toppen. Wen wundert’s, dass da selbst Google-Gründer Larry Page oder Tschads Präsident Idriss Déby Itno fasziniert zuhören.

Der „deutsche Indiana Jones“ also? Stefan Kröpelin lächelt. Die Medien lieben lockende Bilder, das Aroma von Abenteuer und Gefahr, von Geheimnis und Schatzsuche. Mit Magische Welten: Aufbruch ins Ungewisse nahm Kröpelin 2006 im ZDF ein Millionenpublikum mit in Regionen, von denen es kaum Satellitenbilder gibt. Gleich zu Beginn der Expedition bricht ein Achsdifferenzial. Dann klettert Kröpelin in ein ausgetrocknetes Brunnenloch, wo ihm die Skorpione ins Hemd krabbeln. Kröpelins Filme zeigen das Abenteuer Forschung, aber „ich bin kein Abenteurer“, sagt er. „Unsere Arbeit ist riskant, und ja, wir suchen auch nach Geheimnissen: Wie sah die Sahara im Laufe ihrer Geschichte aus? Wann konnte der Mensch sie durchqueren?“ Und einen Schatz hat Kröpelin auch gehoben – aus der Tiefe des Yoa-Sees im Norden des Tschad.

 

 

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Stefan Kröpelin (Foto: Adam Polczyk/ Uni Köln)
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Film-Porträt des Communicator-Preisträgers 2017

Nach zermürbender Fahrt über 1.200 Kilometer Wüstenpiste erreichte Kröpelins Kölner Expeditionsteam im März 2010 die Oase Ounianga: 19 tiefblaue Seen, umrandet von Palmen und gelbgrünen Feldern inmitten eines Meeres aus Sand. Eine ökologische Sensation: Salz- und Süßwasserseen, 1.000 Kilometer entfernt vom Nil, gespeist vom Grundwasser. 

„Wir hatten Glück bei unserem Vorhaben, weil es relativ windstill war“, erzählt Kröpelin. „Denn manchmal gibt es dort Tage, da bläst es einen einfach weg, da kann man nur auf allen Vieren über den Sand kriechen.“ Mit einem Schlauchboot fährt das Team auf den bewegten See hinaus und senkt, Meter für Meter, eine Plexiglasröhre auf den 25 Meter tiefen Grund hinab. Dann beginnt die Schweißarbeit: Mit einem Gewicht treiben sie unter sengender Hitze die Bohrzylinder in den weichen Seeboden, tagelang, Schlag für Schlag, 16 Meter tief. Immer wieder ziehen sie die Rohre vorsichtig heraus. Darin: 16 Meter Schlamm. Bei genauerem Blick: mehr als 20 000 feine Sedimentschichten, in allen Facetten zwischen ockerfarben und dunkelgrau, ein lückenloses Klimaarchiv, Ablagerungen der vergangenen 10.500 Jahre, weltweit einzigartig. 

„Es gibt Tage, da bläst es einen einfach weg, da kann man nur auf allen Vieren über den Sand kriechen.“

Stefan Kröpelin (Foto: Universität zu Köln/Adam Polczyk)
Stefan Kröpelin (Foto: Universität zu Köln/Adam Polczyk)
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Stefan Kröpelin

Kröpelin und seine Kollegen können darin lesen wie in einem offenen Buch: das Ergrünen und die kontinuierliche Austrocknung der Sahara, aber auch kurzfristige Ereignisse wie Starkregen, Trockenperioden, Sandstürme, Savannenbrände, Vulkanausbrüche, Erdbeben und Atombombentests oder wann Nutzpflanzen wie zum Beispiel die Dattelpalme eingeführt wurden. „Diese Seen sind ein Glück. Die Sahara ist zwar so groß wie die USA, aber niemand hätte so ein ungestörtes, kontinuierliches Geo-Dokument mitten in der trockensten Wüste der Erde erwartet.“ Für Kröpelin der Höhepunkt seiner Forschungen.

Gerüstbauer, Detektiv und Weihnachtsmann

Gepackt hat ihn die Wüste schon als Pennäler. Der Vater ist leitender Politik-Redakteur beim Bayerischen Rundfunk, die Mutter Münchner Anwältin. Sie fördern die Lektüre des Sohnes, der lesend mit Heinrich Barth, Gustav Nachtigal oder „Götter, Gräber und Gelehrte“ von C. W. Ceram die Welt bereist. Die Eltern sind liberal und unabhängig im schwarzen Bayern, der Sohn ist es auch. 1968 fliegt er wegen politischer Aufwiegelei, wie es heißt, von der Schule. Kein Wunder: Stefan spielt in dieser Zeit neben Rainer Werner Fassbinder auf der Bühne des Action-Theaters. 

Das Abi macht er dann in Berlin, jobbt als Gerüstbauer, Detektiv und Weihnachtsmann. Bei den Filmfestspielen manövriert er als „Guest Officer“ Jack Nicholson, Robert de Niro oder David Bowie durchs Berliner Nachtleben. „Wilde Jahre“, erzählt Kröpelin schmunzelnd. Damit finanziert er seine Reisen, die er 1970 mit einem alten Bulli für 100 Deutsche Mark nach Afghanistan und zum Dalai Lama im Himalaya begonnen hatte. An der TU studiert er das damals neue Fach Informatik, wechselt nach dem Vordiplom 1977 aber in die Geografie und Geologie. „Wer damit kein Lehrer werden wollte, hatte kaum Berufsaussichten. Das schreckte mich nicht ab.“

Das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Besiedlungsgeschichte der östlichen Sahara (B.O.S.)“ bringt Kröpelin 1982 ins Gilf Kebir – ein einsames, immer noch weithin unerforschtes Gebirgsplateau im Südwesten Ägyptens. „Es hat mich nie gereizt, in Gebiete zu fahren, über die es schon hundert Untersuchungen gibt, um dann die 101. Publikation hinzuzufügen. Da fand ich die letzten verbleibenden ‚weißen Flecken‘ auf der Landkarte immer spannender.“ Eine Woche lang untersucht er geologische Ablagerungen und prähistorische Fundplätze, allein – und droht zu verdursten, weil ihn der Kollege nicht pünktlich abholt. Schon überlegt er, den 200 Kilometer langen Fußmarsch zur nächsten Wasserstelle zu wagen, als das Fahrzeug endlich auftaucht. 

Glück ist auch der DFG-Sonderforschungsbereich 389, der Kröpelin 1995 aus Berlin an die Universität zu Köln lockt. An der „Forschungsstelle Afrika“ erforschten seit 1986 Archäologen, Botaniker, Zoologen, Ethnologen, Anthropologen, Sprachwissenschaftler die Ur- und Frühgeschichte der östlichen Sahara. „Als wir anfingen, lag in der Forschung dieser Teil der Sahara praktisch brach. Natürlich gab es die frühen Erkundungen von Rohlfs, Frobenius oder Rhotert, auch von Pionieren wie dem sogenannten ‚englischen Patienten’ Ladislaus Almásy. Aber die interdisziplinäre Grundlagenforschung war neu.“ 

Die mehrteilige WDR-Dokumentation Wenn Weiden zu Wüsten werden zeigte 2003 anschaulich die Klimageschichte der Sahara. „Wir forschen ja nicht für uns selbst“, sagt Kröpelin. „Es ist unsere Aufgabe, unser Wissen an die weiterzugeben, die unsere Arbeit finanzieren – an die Gesellschaft.“ Und die erreicht Kröpelin auch über das Schulfernsehen, über Wissenschaftsmagazine wie W wie Wissen und unzählige Hörfunkinterviews. Dabei scheut er weder das Populäre – wenn die Servicezeit Essen nach dem Menüplan der Expedition fragt – noch die Konfrontation – wenn Talkshows seine Sicht des Darfur-Konflikts interessiert. 

Gemeinsam mit dem Archäologen Rudolph Kuper vom Kölner Institut für Ur- und Frühgeschichte und vielen Kollegen bildete Kröpelin bei ACACIA (Arid Climate, Adaption and Cultural Innovation in Africa), so das Akronym des Sonderforschungsbereichs 389, Expeditionsteams, die seit 2009 in einem dritten DFG-Sonderforschungsbereich 806 „Unseren Weg nach Europa“ nachzuvollziehen versuchen. 

Logo Communicator-Preis
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Der Kölner Geologe Dr. Stefan Kröpelin ist der 17. Preisträger des Communicator-Preises – Wissenschaftspreis des Stifterverbandes. Der Communicator-Preis wird von der DFG seit dem Jahr 1999 jährlich ausgeschrieben. Er ehrt Wissenschaftler aus allen Fachgebieten, die in herausragender, wirkungsvoller Weise die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit in die Medien und in die nicht wissenschaftliche, allgemeine Öffentlichkeit vermitteln. Auswahlkriterien für die Zuerkennung sind die Breite und Vielfalt sowie die Originalität und Nachhaltigkeit der Vermittlungs- und Dialogleistung. Über die Vergabe des Preises entscheidet eine Jury aus Kommunikationswissenschaftlern, Journalisten und PR-Fachleuten  unter Vorsitz eines DFG-Vizepräsidenten. 

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Erster Meilenstein war die Erkundung des Wadi Howar im Nordsudan, ein ehemaliges Flusssystem, einst der wichtigste Zubringer des Nils aus der Sahara. An dessen versandeten Ufern können die Forscher frühe Siedlungsspuren sichern. Am Abu Ballas, ein Zeugenberg in Ägyptens Western Desert, untersuchen sie dickbauchige Wasserkrüge – eine Tankstelle für pharaonische Militär- und Handelszüge. Es folgen Expeditionen in das Gilf-Kebir-Plateau, in die Große Sandsee mit ihren über 100 Meter hohen und Hunderte Kilometer langen Dünen, in den Sudan, nach Libyen, schließlich in den Tschad. 

„Mich fasziniert der totale Gegensatz zur westlichen Welt. Jede Nacht ein anderes Nachtlager im Windschatten einer Düne, unter unvorstellbar klarem Sternenhimmel. Es ist manchmal so still, dass man das Sirren von Sternschnuppen hören kann.“

Stefan Kröpelin (Foto: Universität zu Köln/Adam Polczyk)
Stefan Kröpelin (Foto: Universität zu Köln/Adam Polczyk)
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Stefan Kröpelin

Mehr als 60 Expeditionen sind es für Kröpelin inzwischen. „Seit meinem 18. Lebensjahr war ich nur wenige Jahre nicht in der Wüste. Entweder man liebt sie oder man hasst sie“, sagt er. „Neben meiner wissenschaftlichen Neugier fasziniert mich der totale Gegensatz zur westlichen Welt. Jede Nacht ein anderes Nachtlager im Windschatten einer Düne, unter unvorstellbar klarem Sternenhimmel. Es ist manchmal so still, dass man das Sirren von Sternschnuppen hören kann. Man lebt sehr enthaltsam, von wenigen Litern Wasser pro Tag, isst und schläft sehr einfach. Das gibt ein Gefühl von Naturverbundenheit und Freiheit.“ 

Vielleicht teilt er das Gefühl mit jenen, deren Spuren er folgt: anatomisch modernen Menschen, die sich einst von Äthiopien kommend nach Europa aufmachten – und dort auf ältere Vorgänger trafen. Out of Africa II begann vermutlich vor mehr als 100.000 Jahren, als die Sahara schon einmal eine Grünphase erlebte, die eine Durchquerung ermöglichte. Out of Africa III war dann während der letzten Feuchtphase, die vor 11.000 Jahren begann. Die Sahara erlebte viele Klima­wechsel. Mal war sie Barriere, mal grüner Korridor zwischen Süd und Nord. Der Bohrkern des Yoa-Sees hilft nun, die Epoche seit der letzten Kaltzeit, dem Holozän, mit dem Übergang vom Jäger, Fischer und Sammler zum neolithischen Hirten und Bauern mit höchster zeitlicher Präzision zu rekonstruieren. 

Medienarbeit ist unerlässlich

Filmdreh des Senders ARTE im Wadi Sura am Fuß des Gilf-Kebir-Gebirges in Ägypten vor der sogenannten Schwimmerhöhle.
Filmdreh des Senders ARTE im Wadi Sura am Fuß des Gilf-Kebir-Gebirges in Ägypten vor der sogenannten Schwimmerhöhle.
Foto: Adam Polczyk/ Uni Köln
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Ohne die Unterstützung der einheimischen Bevölkerung, sagt Kröpelin, wäre diese Arbeit nicht möglich. Dazu gehört auch, in den Medien der Gastländer die Forschungsergebnisse zu präsentieren und für die Hilfe, die er erfahre, zu danken. Auf TeleChad ist Kröpelin so oft zu sehen, dass ihn selbst Menschen in entfernten Regionen des Landes wiedererkennen. Dass der Tschad heute über zwei Welterbestätten verfügt – die Seen von Ounianga und das Ennedi-Plateau –, ist auch seiner medialen Präsenz zu verdanken. Lobby-Arbeit bei der UNESCO braucht die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Deshalb wird er nicht müde, für die Landschaften und ihren Schutz in den Medien zu werben. 

Wenn Stefan Kröpelin erzählt, möchte man nicht glauben, dass dieses Energiebündel 65 Jahre alt ist und am 31. Juli 2017 in Rente geht. Bleibt er dann zu Hause bei seiner Frau und dem neunjährigen Sohn? „Ich werde sicher mehr Zeit am Schreibtisch verbringen und an Büchern arbeiten“, sagt er, aber im November gehe es wieder ins Vulkangebirge Tibesti im Tschad: Grundlagenforschung für die Unterschutzstellung als UNESCO-Welterbe. Das „Hawaii in der Wüste“, schwärmt er, sei noch in vielen Gebieten ein weißer Fleck, wo noch nie ein Wissenschaftler war – für Stefan Kröpelin genau der richtige Platz.

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Der Beitrag erschien zuerst in: forschung - Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

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