Kaarel Rundu selbst, der Schulleiter, ist ein perfekter Botschafter für seine moderne Schule. Er ist ein junger Mann in den Dreißigern, selbst Absolvent des Gymnasiums, dem er heute vorsteht, und trägt zum blauen Anzug eine Krawatte und ein weißes gestärktes Hemd. Auf dem Besprechungstisch in seinem Direktorenzimmer steht eine riesige Schüssel voller Schokobonbons, aus der er sich selbst gern bedient. Hinter seinem Schreibtisch hängt ein Wolfskopf an der Wand. „Der ist gedruckt“, ruft Kaarel Rundu und lächelt, „von unseren Schülern, nachdem das Bildungsministerium vor ein paar Jahren alle Schulen mit 3-D-Druckern ausgestattet hat.“ Heute gibt es an seinem Gymnasium einen eigenen Raum, in dem etliche 3-D-Drucker in allen Größen stehen. Manchmal drucken Biologielehrer mit ihren Schülern Modelle menschlicher Organe aus, um so deren Funktionen besser zu erläutern. Manchmal geht es auch um die Feinheiten des Programmierens, damit der Drucker genau das macht, was die Schüler wollen.
Es ist diese Selbstverständlichkeit im Umgang mit den digitalen Instrumenten, diese Unbefangenheit, die hinter dem Erfolg des estnischen Unterrichts steht. Natürlich haben die Schulen dort nicht das Rad neu erfunden: Die Lernroboter, mit denen sich den Schülern die Logik des Programmierens erschließt, stammen von einem weltweit aktiven Hersteller, die meisten Lernprogramme auf den Schultablets sind ebenfalls Lösungen von der Stange. Aber die Intensität des Einsatzes quer durch alle Fächer macht die estnische Besonderheit aus – und die Experimentierfreude. Wenn ein neues Programm, ein neues Gerät auf den Markt kommt, probieren es in Tallinn ein oder zwei Schulen aus. Bewährt es sich nicht, wird der Versuch nach einem Halbjahr einfach wieder abgeblasen. Und wenn es etwas bringt, erzählen die Lehrer ihren Kollegen von dem erfolgreichen Pilotprojekt, sodass auch andere Schulen die Innovation einführen können. „Es gibt in der Bildungspolitik keine Angst, auch mal Fehler zu machen“, sagt Kaarel Rundu, „vieles läuft über das Prinzip Versuch und Irrtum.“
Die Schulen des Landes sind miteinander vernetzt, alle wissen über alle Neuigkeiten Bescheid – und setzen sie dann gegebenenfalls selber in die Praxis um. So verbreiten sich erfolgreiche Ansätze in Windeseile, ohne dass Gremien und Kommissionen lange darüber beraten und entscheiden müssten. In einem Land mit weniger als 1,5 Millionen Einwohnern fällt eine solche Flexibilität selbstverständlich leichter als in einem 80-Millionen-Land wie Deutschland, aber es ist eben gerade auch die große Eigenständigkeit der Schulen, die sich als überaus hilfreich erweist.