Gäbe es hierzu vielleicht ein anschauliches Bild, Herr Schwarzer?
Schwarzer: In meinen Vorträgen erläutere ich gerne die unterschiedlichen Blickwinkel im Sinne von „Inside-out“ und „Outside-in“. Da sitzt also die Beobachterin oder der Beobachter am Schreibtisch, schaut aus dem Fenster, sieht den Berliner Dom und denkt sich: Ich sehe meinen Markt, meine Kunden und meine Branche klar vor mir – weil ich die Entfernung von meinem Fenster bis zum Dom auf den Millimeter genau kenne, genauso wie die exakte Zusammensetzung der Dombausteine, die Namen der Baumeister und sogar das Verfallsdatum der Feuerlöschanlage im Inneren. Ich kenne meinen Markt bestens – da macht mir niemand etwas vor.
Das ist die Inside-out-Perspektive, die wir Deutschen so gut beherrschen?
Schwarzer: Ja. Sie ist aber trügerisch: Denn die Kunden sitzen in Wirklichkeit im Helikopter über dem Geschehen. Und von dort aus überblicken sie ganz Berlin, verlieren den Dom also schnell aus den Augen. Stattdessen schweifen die Blicke über die riesige Stadt, die vernetzt ist, Infrastruktur hat, die in Bewegung ist, hier und da neue Gebäude bekommt und an deren vernetzter Struktur unglaublich viele mobile Wesen teilhaben. Das ist „Outside-in“ – die Perspektive, die Unternehmen bei der digitalen Transformation unbedingt einnehmen sollten.
Meyer-Guckel: Ein eindrückliches Beispiel für das, was Sie gerade beschreiben, Herr Schwarzer, ist mir heute Morgen auf dem Weg zur S-Bahn begegnet: ein Werbeplakat mit dem Slogan „Warum soll ich mich als kranker Mensch zum Arzt aufmachen, um dort zu erfahren, dass ich mich wieder ins Bett begeben soll?“. Absender ist eine Onlineapotheke, die sich jetzt offenbar als Plattform erweitern will, eine Art digitales Ärzteforum, wo Patienten ärztliche Beratung per Video bekommen und das E-Rezept gleich mit dazu. Es könnte sein, dass hier zukünftig nicht nur das deutsche mittelständische Apothekertum bedroht ist, sondern Teile unseres Ärzte- und Krankenkassensystems gleich mit abgeräumt werden sollen. Das sind immerhin Player und Institutionen, die bislang noch jeder Reform trotzen konnten. Jetzt kommt ein neuer Akteur des Weges und denkt zusammen, was Patienten schon lange stört: volle Wartezimmer, Rezept abholen, in der Apotheke anstehen ...