Lehrermangel

„Alle müssen in einer digitalen Gesellschaft Neues dazulernen"

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Illustration: Maren Amini
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Herr Spang, laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung haben fast alle Kinder zu Hause Zugang zu PCs, Tablets oder Smartphones und bedienen sie intuitiv. Wozu brauchen wir da an der Schule noch Medienbildung?
Die Kinder nutzen diese Technik zwar intuitiv, aber sehr oberflächlich auf der basalen Bedienebene. Jemand muss ihnen beibringen, wie sie diese Geräte produktiv und kreativ nutzen können. Meine Schüler sollten zum Beispiel im Musikunterricht eine Internetseite zu Tonleitern für das Schul-Wiki erstellen. Eine sechste Klasse hat im Religionsunterricht Lernfilme und Apps für Flüchtlingskinder entwickelt und ins Internet gestellt. Das sind Kompetenzen, die sie von zu Hause nicht mitbringen. Schule kann da fördern.

Wenn diese Kompetenzen so wichtig sind, warum geht die Entwicklung in Deutschland dann so langsam voran?
Man muss dem System Zeit geben. Wir Deutschen machen immer alles ganz genau, was ja grundsätzlich gut ist. Aber gerade bei Techniken die sich sehr schnell wandeln, stehen wir uns da selbst im Weg. In den USA ist die Entwicklung schon viel weiter: Hier gilt eher das Motto „Machen und dann reagieren.“ Hierzulande ist die digitale Bildung immer noch sehr stark von der Kultur der Schule abhängig, von Leuten, die sich kümmern. Aber auch in Deutschland geht es voran. Nach dem Beschluss der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“ vom Dezember vergangenen Jahres kann eigentlich niemand mehr fragen: Wozu brauchen wir das? Die Dinge sind auf dem Weg, die Strukturen werden folgen.

„Man kann Schule heute nicht mehr so organisieren wie früher, mit dem Lehrer als der zentralen Figur der Wissensvermittlung. Es gibt heute schon Schüler die sagen: Ich schaue mir lieber ein Lernvideo im Internet an, da verstehe ich den Stoff besser.“

André Spang

Gibt es denn wirklich keine Zweifler mehr?
Bei Veränderungen gibt es immer Widerstände. Es gibt Eltern, die sagen: Unsere Kinder lernen gar nicht mehr schreiben und rechnen, sondern hängen nur noch vor dem Bildschirm. Und es gibt natürlich auch Schüler, die wollen gerne noch auf dem Papier arbeiten. Vielfalt ist wichtig. Im Hinblick auf Digitalisierung ist sie aber nicht immer gegeben. Ein weiteres sensibles Thema ist der Datenschutz. Bei einem Aufsatz im Schulheft habe ich kein Datenschutzproblem. Bei einem namentlich gekennzeichneten Schülerbeitrag im Internet schon.

Sind denn die Lehrer bereit für den digitalen Wandel?
Natürlich gibt es bei manchen Kollegen berechtigte Ängste: Muss ich das jetzt auch noch lernen? Diese Ängste muss man ernst nehmen. Aber nicht nur Lehrer, sondern alle müssen nun gerade in einer digitalen Gesellschaft Neues dazulernen, das bringt der Beruf heute mit sich. Man kann Schule heute nicht mehr so organisieren wie früher, mit dem Lehrer als der zentralen Figur der Wissensvermittlung. Es gibt heute schon Schüler die sagen: Ich schaue mir lieber ein Lernvideo im Internet an, da verstehe ich den Stoff besser. In so einer Situation habe ich meine Rolle als Lehrer neu ausgerichtet: Ich habe die Schüler die besten Lernvideos sammeln lassen. Und habe dann als Experte die Filme mit Bezug zu meinem Unterricht bewertet.

Wie können sich Lehrer, die keine Digital Natives sind, schlaumachen?
Es gibt immer noch die ganz klassischen Fortbildungen und Trainings. Aber auch viele neue Formate. Zum Beispiel EduCamp, eine Mitmachkonferenz, bei der die Teilnehmer selbst vor Ort die Inhalte bestimmen. Oder Webinare, in denen Experten per Video zu bestimmten Themen berichten. Eine weitere sehr offene Form ist der Lehrer-Chat #EDchatDE.

Wie genau funktioniert dieser Twitter-Chat?
Einmal in der Woche, dienstags von 20 bis 21 Uhr, können sich Lehrer eine Stunde lang zu Fachthemen austauschen. Als Moderatoren setzen mein Frankfurter Kollege Torsten Larbig und ich für jeden Abend ein Thema an, wie Notengebung oder Classroom-Management. Dazu formulieren wir sieben Fragen, auf die über die Stunde verteilt alle, die dem Chat folgen, antworten können. Meistens sind es zwischen 30 und 100 aktive Teilnehmer, die natürlich auch aufeinander reagieren und nachhaken können. Außerdem stellen wir die Chats in unser Wiki ein, wo sie jeder nachlesen kann.

Aber muss man sich nicht schon gut im Web 2.0 auskennen, um so arbeiten zu können?
Ich gebe zu, Twitter ist eine Plattform, an die man sich gewöhnen muss. Aber wir geben Einstiegshilfen in unserem Blog. Und wer sich darauf einlässt, ist meistens begeistert. Wir haben die Plattform im September beim Deutschen Lehrerforum vorgestellt. Danach haben uns viele Lehrer zurückgemeldet, dass sie selten so gute Informationen gefunden haben wie bei Twitter.

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Illustration: Maren Amini
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Wie digital muss Schule sein?

Aktuelle Studien zeigen: In deutschen Schulen ist der digitale Wandel noch nicht angekommen. Es mangelt an Equipment, an Konzepten, an Lehrern, die sich auf die neuen Medien einlassen wollen. Dass es auch anders geht, zeigen zwei Schulen aus Bayern und dem Saarland.

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André Spang (Foto: Martin Magunia)
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Zur Person

André Spang referiert auf dem Deutschen Lehrer-Forum 2017 über die Digitale Bildungsrevolution.

André Spang war 16 Jahre lang Gymnasiallehrer für Religion und Musik. Er bezeichnet sich selbst als #DigitalLeadLearner, hält Workshops und Webinare zum digitalen Lernen und gründete im September 2013 zusammen mit seinem Kollegen Torsten Larbig den #EDchatDE, den ersten deutschen Twitter-Chat für Lehrer, den die beiden seitdem wöchentlich moderieren. 2017 gehört er zur Steuerungsgruppe des Deutschen Lehrerforums

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