Kooperationen mit Sozialunternehmen oder NGOs stehen also im Mittelpunkt Ihrer Arbeit. Wie finden Sie Ihre Partner und welche Vorteile hat bei diesem Innovationsprozess der soziale Faktor?
Wir arbeiten hier mit einer internationalen NGO zusammen, die für uns weltweit gesundheitsspezifische Sozialunternehmer nach nachhaltigen Gesichtspunkten auswählt. Diese Unternehmen sollten im Idealfall Produkte entwickeln, die gesellschaftlichen Mehrwert schaffen. Ziel dabei ist es, nachhaltiges Unternehmertum zu fördern, in ungewohnten Partnerschaften gemeinsam zu lernen und Netzwerke zu knüpfen. Profit steht nicht im Vordergrund – auch wenn Projekte möglichst nachhaltige Finanzierungskonzepte beinhalten sollen, um „unabhängig“ existieren und sich weiterentwickeln zu können. Wir sind überzeugt, dass wir durch diese ungewohnten Erfahrungen, durch das Lernen in ungewohnten Umgebungen und mit ungewohnten Partnern soziale Innovation erfahrbar machen, die sich dann auch ins Alltagsgeschäft integrieren lässt – und so für Boehringer Ingelheim als Unternehmen in zukünftigen Märkten und für unsere Mitarbeiter enorme Vorteile schafft.
Ein Beispiel für einen Sozialunternehmer, mit dem wir zusammenarbeiten, ist Miguel Neiva. Der Portugiese beschäftigt sich mit dem Thema Farbenblindheit. Rund 12 Prozent aller Männer haben eine sogenannte Rot-Grün-Sehschwäche. Das heißt, sie können Signale im Straßenverkehr nur schlecht erkennen, haben Schwierigkeiten, die Linien auf U-Bahn-Fahrplänen auseinanderzuhalten oder nehmen die Farbe ihrer Kleidung nicht richtig wahr. Neiva hat einen Code für die Grundfarben Rot, Gelb und Blau entwickelt. Ein Dreieck mit einer Spitze, die nach oben links zeigt, symbolisiert beispielsweise die Farbe Rot. Gelb ist ein Schrägstrich und Blau ist ein Dreieck mit der Spitze nach rechts unten. Diese Symbole lassen sich beliebig zu „Mischfarben“ kombinieren. Der Farbcode lässt sich vielfältig einsetzen. Neiva verkauft ihn beispielsweise an Unternehmen aus der Textilindustrie. Häufig werden Farbmarkierungen aber auch auf Verpackungen von Medikamenten genutzt.
Als Ideen- und Impulsgeber bei Leadership-Trainings (Sozialunternehmer stellen andere Fragen als Manager, die nach einem erfolgreichen Wirtschaftsstudium ihre Arbeit aufnehmen) ist Neiva für uns ein interessanter Partner. Und auch er selbst profitiert: Er konnte sein Netzwerk erweitern und hat vor Ort das Bewusstsein für das Thema Farbenblindheit schärfen können.
Ob klassische Forschung und Entwicklung oder soziale Innovationen – welche Hemmnisse gibt es Ihrer Meinung nach bei der Entwicklung von Neuem?
Innovationen voranzutreiben, insbesondere Innovationen, die Prozesse und das gelernte Businessdenken verändern und neue Partnerschaften verlangen, bedeutet auch immer, Gewohntes zu verlassen und Risiken einzugehen, gegen Widerstände ankämpfen und überzeugen zu müssen. Menschen sind gegenüber Neuem zunächst häufig skeptisch und unsicher. Typische Ideenkiller, die man immer wieder hört, sind: „Wir haben kein Geld/Personal/keine Zeit“ oder „Die Datenlage ist mangelhaft“. Oder: „Es gibt bei uns keinen Experten auf diesem Gebiet.“ Solche Einstellungen können, wenn sie überhandnehmen, den Anfangselan und die Passion für Innovationen vernichten. Wer aber seine gewohnten Pfade verlässt und beispielsweise an unseren Projekten teilgenommen hat, ist aufgeschlossener für neue Ideen, bekommt Mut, Innovationen zu denken und mit anderen solche Ideen zu teilen und umzusetzen – auch gegen den Strom. Voraussetzung ist, dass das Unternehmen auch Freiraum für diese Ideen bietet. Es müssen Fragen gestellt werden dürfen, die man sonst nicht stellt. Fördern Unternehmen solch eine Kultur, wird Veränderung gelingen.