Was müssen Hochschulen Ihrer Meinung nach besser machen, um gesellschaftliche Kompetenzen unter den Studierenden zu stärken?
Nathalie von Siemens: Hochschulen können im Rahmen der sogenannten Third Mission, also der Interaktion mit außerhochschulischen Akteuren, einen großen Beitrag leisten und viele tun dies auch bereits. Ich sehe in diesem Zusammenhang vor allem drei Dinge: erstens die Weiterbildung. Wie können wir Menschen unterstützen, die ein paar Jahre aus der Hochschule raus sind, deren Wissen langsam veraltet und deren Arbeitsumfeld sich wahnsinnig schnell wandelt? Das Thema Digitalisierung spielt hier eine besondere Rolle. Zweitens sollte das Thema Gründung eine viel größere Rolle in Lehre und Forschung spielen. Implizit werden an Hochschulen Menschen für abhängige Beschäftigungen ausgebildet, nicht für selbstständige oder unternehmerische. Das liegt daran, dass Gründung häufig nicht in der Lehre verankert und noch zu selten integraler, mitgedachter Teil von Forschungsprozessen ist. Drittens: Start-ups funktionieren dort, wo sich viele Gleichgesinnte aus ganz unterschiedlichen Bereichen treffen – Professoren, Nachwuchswissenschaftler, Studierende mit Gründern und letztlich auch Kapitalgeber und Unternehmen – und voneinander lernen können. In Deutschland gibt es das noch zu selten. Cluster, in denen aber eben diese Ökosysteme entstehen, sind wichtig, weil es dann einen Transmissionsriemen gibt und Forschung schneller in Start-ups verwertet werden kann. Ich bin Sprecherin des Nationalen MINT Forums, in dem sich mehr als 30 Institutionen aus der Überzeugung zusammengetan haben, dass die Förderung einer ganzheitlichen, nachhaltigen und innovativen MINT-Bildung in Deutschland notwendig ist. Die angesprochenen Fragen rund um Transfer und Kooperationen werden insbesondere von unseren wissenschaftsnahen Mitgliedern diskutiert wie beispielsweise der Hochschulrektorenkonferenz, der Hochschulallianz für den Mittelstand und dem Stifterverband.
Janina Kugel: Wenn ich mir etwas von Hochschulen wünschen könnte, wäre es ein Ausbau digitaler Weiterbildungsangebote für Menschen jeden Alters, nicht nur für Studierende. Denn Lernen und Bildung muss heute ein ganzes Leben lang erfolgen. Diese Einstellung muss nicht nur frühzeitig verankert werden bei Menschen, sie muss auch bis ins hohe Alter aufrecht erhalten bleiben. Damit (Weiter-)Bildung allen Menschen zur Verfügung steht, muss sie aber nicht nur zielgruppengerecht aufbereitet sein. Sie muss vor allem zugänglich und bezahlbar sein. In diesem Zusammenhang sehe ich natürlich auch Unternehmen in der Pflicht, ihren Mitarbeitern entsprechende Weiterbildungsangebote bereitzustellen. Wobei klar sein muss: Eine zweitägige Schulung pro Jahr reicht nicht. Menschen sollten heute idealerweise jeden Tag etwas Neues dazulernen, auch on-the-job. Großunternehmen haben da oft gute Möglichkeiten, vielfältige und zeitgemäße Angebote anzubieten, aber kleinere Unternehmen haben diese Kapazitäten nicht immer. Hochschulen sind deshalb nach wie vor wahnsinnig wichtig.
Nathalie von Siemens: Wir benötigen in Deutschland offene, frei zur Verfügung stehende Bildungsangebote. Auf dem Medienportal der Siemens Stiftung beispielsweise stellen wir Lehrkräften und jedem Internetnutzer sogenannte digitale Open Educational Resources (OER) zur Verfügung, die von Lehrkräften als Unterrichtsmaterialien eingesetzt werden, sich aber auch für das selbstbestimmte Lernen eignen. Lebenslanges Lernen beginnt früh und muss über die gesamte Bildungskette gelebt werden, damit es wirklich funktionieren kann.