MINT-Fachkräfte

Allein unter Frauen

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Illustrator: Till Laßmann
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Wenn es in Vorlesungen an deutschen Hochschulen um Softwaretechnik, Mensch-Computer-Systeme oder Sinusstromkreise geht, sitzen meist wenige Frauen im Hörsaal. In Wirtschaftsingenieurwesen und Informatik etwa waren im vergangenen Wintersemester laut Statistischem Bundesamt vier von fünf Studierenden Männer. Damit sich endlich mehr Frauen für technische Fächer einschreiben, gibt es inzwischen spezielle Studiengänge.

In Wilhelmshaven wurde bereits 1997 damit begonnen. Die Jade Hochschule war die erste Hochschule in Deutschland, die ein technisches Studium nur für Frauen eingeführt hat: Wirtschaftsingenieurwesen unter Ausschluss männlicher Kommilitonen. Inzwischen haben andere Hochschulen nachgezogen: An der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena gibt es den Studiengang Elektrotechnik/Informationstechnik speziell für Frauen, an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) das Fach Informatik und Wirtschaft, Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule Stralsund und an der Hochschule Bremen den Internationalen Frauenstudiengang Informatik, der auch dual studiert werden kann.     

Die Studiengänge sind ähnlich aufgebaut wie geschlechtergemischte Angebote. Die Dozenten sind oft dieselben, die Inhalte und die Klausuren gleich. Anders ist: Die Lernformen sind in der Regel kommunikativer, gearbeitet wird in kleineren Gruppen und möglichst anwendungsbezogen. In einigen Studiengängen, wie in Wilhelmshaven, werden die Studentinnen drei Semester lang monoedukativ unterrichtet und wechseln zum vierten in die gemischten Studiengänge. An der HTW Berlin findet das gesamte Studium unter Frauen statt. Manche Hochschulen bieten ein Mentoring an, andere Auslandssemester.

Drei Frauen – drei Erfahrungen

Das Konzept scheint aufzugehen. Nach einer 2016 erschienenen Studie von Bitkom, dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, haben inzwischen rund 1.000 Frauen in den Frauenstudiengängen ihr Studium mit dem Bachelor abgeschlossen. Ohne diese Studiengänge wären viele von ihnen in diesen Fächern wohl verloren gegangen. Und die Nachfrage ist groß, meist größer als das Angebot der Hochschulen. Hier erzählen drei Frauen von ihren Erfahrungen:

„Ich stehe dann nur so als nette Deko daneben.“

Laura Selke
Laura Selke muss in Männerwelten immer wieder beweisen , dass sie Technik kann.
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Laura Selke (Foto: privat)
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Vielleicht hätte Laura Selke sich nach ihrem Bachelor im Internationalen Frauenstudiengang Informatik an der Hochschule Bremen einen Job gesucht und endlich Geld verdient, wie die meisten Kommilitoninnen ihres Semesters, statt sich in den Masterstudiengang einzuschreiben und sich noch tiefer in Softwareentwicklung, Cloud-Computing und IT-Sicherheit einzuarbeiten. Ihre Abschlussnote war „sehr gut“, die beste Voraussetzung, um eine attraktive Stelle zu finden.

Doch der Ehrgeiz hatte die heute 24-Jährige gepackt und es drängte sie, den männlichen Kommilitonen an der Hochschule zu beweisen, dass auch Absolventinnen eines Frauenstudiengangs Softwareentwicklung für Fortgeschrittene können.

Gegen Vorurteile wehren

Als einzige Frau unter knapp 20 Studierenden des Jahrgangs musste sie sich in den ersten Wochen des Masterstudiums gegen viele Vorurteile wehren, sich sogar anhören, dass „die kleine Blonde aus dem Frauenstudiengang nichts kann“. Dann kamen die ersten Klausuren, sie schnitt gut ab – und es gab keine blöden Sprüche mehr. Plötzlich stand sie nicht mehr außen vor, sondern wurde gefragt, ob sie in Arbeitsgruppen mitarbeiten möchte.

Laura Selke hat damals darüber gelacht. Weil sie wusste, dass sie gut ist in Technik. Doch das war nicht immer so, erst im Laufe ihres Bachelorstudiums wurde ihr das klar. Obwohl sie sich seit ihrer Kindheit mit Technik beschäftigt. Ihr Vater ist Physiker, hat mit ihr an Geräten herumgeschraubt und Experimente durchgeführt.

Als sie in der Oberstufe Physik und Mathematik als Leistungsfächer wählte, fing es an mit den Vorurteilen, damit, dass sie als eines von wenigen Mädchen beweisen musste, dass sie genauso gut ist wie die Jungs in der Klasse. Damals sei sie schüchtern gewesen, habe im Unterricht kaum mitgemacht, nur zugesehen, wie sich die Jungs in den Vordergrund drängten, so Selke. Heute sei das anders. Wenn sich zum Beispiel in dem Automobilkonzern, in dem sie mit einem Kommilitonen ihre Masterarbeit schreibe, die Kollegen nur an ihn wendeten und sie wie eine nette Deko danebenstehe, dann frustriere sie das nicht, es motiviere sie, sagt Laura Selke. Sie mische sich in das Gespräch ein, zeige, was sie fachlich draufhabe – und werde von den Kollegen inzwischen fachlich ernster genommen.

Auch männliche Kommilitonen kochen nur mit Wasser

Ob sie sich heute noch einmal für den Frauenstudiengang entscheiden würde? „Eigentlich ja“, sagt sie. Sie hätte wohl nicht Informatik studiert, wenn es nicht dieses Angebot gegeben hätte, das damit wirbt, ohne Vorkenntnisse starten zu können. In einem Regelstudiengang hätte sie befürchtet, zwischen lauter Nerds zu landen und unterzugehen. Auch das Lernen unter Frauen sei angenehmer gewesen als das im gemischten Unterricht in der Schule. Wenn sie etwas nicht verstanden habe, habe sie keine Hemmungen gehabt, einfach nachzufragen. Das habe ihr Selbstbewusstsein gegeben. Als ab dem dritten Semester in ihren Wahlpflichtfächern auch männliche Kommilitonen saßen, sei ihr klar geworden, dass auch sie nur mit Wasser kochen würden.

Andererseits fragt sich Laura Selke heute manchmal, ob es nicht doch besser gewesen wäre, wenn sie einen ganz normalen Informatikstudiengang gewählt hätte. Dann hätte sie das mit dem Wasser vielleicht früher festgestellt und es nicht immer wieder anderen beweisen müssen, dass man in einem Frauenstudiengang genauso viel lernt wie in einem gemischten.

Und was möchte sie beruflich erreichen? Sie würde nach dem Master gern in der Automobilbranche bleiben, sagt Laura Selke, Projektplanerin oder Projektleiterin werden, später einmal eine Führungsposition übernehmen. Sie weiß: Auch weil in Konzernen die Frauenquote gilt, stehen ihre Chancen dafür nicht schlecht.




 

„Wir wollen Frauen dazu qualifizieren, gleichberechtigt daran mitzuwirken, die technische Zukunft unserer Gesellschaft zu gestalten.“

Juliane Siegeris
Juliane Siegeris ist Informatikprofessorin und Sprecherin des Frauenstudiengangs an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.
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Juliane Siegeris (Foto: privat)
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Informatik studieren? „In vielen anderen Ländern ist es selbstverständlich, dass Frauen in technischen Bereichen ausgebildet werden. In Deutschland kommen viele Abiturientinnen gar nicht auf die Idee, sich für solche Fächer einzuschreiben“, sagt Juliane Siegeris.

Auch für sie selbst war Informatik zunächst eine Notlösung. Eigentlich wollte sie Psychologie studieren. Und hätte sie Anfang der Neunzigerjahre an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU Berlin) einen Studienplatz bekommen, wäre sie wohl auch Psychologin geworden. Weil die Uni aber nur noch Restplätze in Informatik zu vergeben hatte, änderte sie ihre Pläne. Sie interessierte sich für Technik, war in der Schule in Mathematik sehr gut gewesen. „Ich wollte kein Semester vertrödeln und dachte, dass ich das vielleicht auch ganz gut kann“, sagt sie. Heute ist sie Informatikprofessorin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) und Sprecherin des Frauenstudiengangs Informatik und Wirtschaft. 

Was hält technikinteressierte Frauen davon ab, sich für Informatik einzuschreiben? „Das Studium hat den Ruf, dass man dafür viel Vorwissen braucht. Viele Frauen meinen, davon weniger mitzubringen als männliche Bewerber, von denen sie annehmen, dass sie schon als Jungs nichts anderes gemacht haben als programmieren“, sagt Juliane Siegeris. Doch das entspreche nicht der Realität. Genauso wenig wie das sich beharrlich haltende Berufsbild vom Informatiker, der den ganzen Tag vor dem Rechner hocke und still vor sich hin arbeite. Das schrecke Frauen ab. Dabei könne eine Informatikerin vieles werden: IT-Beraterin zum Beispiel, Projektleiterin, Systemadministratorin oder Webentwicklerin – und das in nahezu allen Branchen. „Und wie heutzutage alle anderen Mitarbeiter in Unternehmen arbeiten auch Informatikerinnen nicht alleine vor sich hin, sondern in Teams“, sagt die Professorin. 

Frauen Selbstbewusssein geben

Seit 2009 bietet die HTW Berlin den Frauenstudiengang an. Zu jedem Wintersemester werden 40 Studienplätze vergeben, die Nachfrage liegt weit darüber. Zum Wintersemester 2016/17 gab es 225 Bewerberinnen. „Es geht uns darum, Frauen zu unterstützen, einen selbstbewussten Zugang zur Technik zu finden, sie für gut bezahlte Jobs zu qualifizieren und nicht zuletzt dafür, gleichberechtigt daran mitzuwirken, die technische Zukunft unserer Gesellschaft zu gestalten“, erklärt Juliane Siegeris.

Das Lernen unter Frauen empfänden viele Studentinnen als entspannter. Nach ihrer Erfahrung dauere es bei den meisten etwa ein Jahr, bis der Druck abfalle und sie selbstbewusster würden, bis sie wüssten, dass sie mit den Anforderungen klarkämen und technische Probleme genauso gut lösen könnten wie die männlichen Kommilitonen im Hörsaal nebenan. Sie selbst sei damals an der HU Berlin von Anfang an gut damit klargekommen, eine von nur fünf Frauen unter 60 Erstsemestern zu sein.

Und nach dem Bachelorabschluss? Jede zweite HTW-Absolventin hänge ein technisches Masterstudium an, berichtet die Professorin. Die andere Hälfte steige direkt in die Arbeitswelt ein, mit sehr guten Chancen auf einen attraktiven Job. 

Juliane Siegeris geht davon aus, dass mit dem Studiengang Frauen angesprochen werden, die sich nicht für ein reguläres Informatikstudium eingeschrieben hätten. Denn Auswirkungen auf den Frauenanteil in den gemischten Studiengängen habe das Frauenstudium nicht. „Dort sind ähnlich viele Studentinnen eingeschrieben wie früher“, sagt sie. 




 

„Geschlechtertrennung im Studium, das wünscht sich ja erst mal niemand. “

Imen Hachani
Imen Hachani hat an der Hochschule Bremen im Frauenstudiengang Informatik studiert – und ist dadurch beruflich dort angekommen, wo sie immer hinwollte.
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Imen Hachani (Foto: privat)
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An ihrem ersten großen Projekt arbeitete Imen Hachani als Bachelorstudentin bei dem Raumfahrtunternehmen Astrium Bremen. Es ging um das Defect-Tracking-System, das für den Betrieb der Internationalen Raumstation ISS eingesetzt wird. Hachanis Job war es, nach Lösungen zu suchen, wie sich das Softwaresystem, dessen Nutzer in mehreren europäischen Ländern sowie in Nord- und Südamerika sitzen, dezentralisieren und automatisch synchronisieren lässt. Die Informatikstudentin entwickelte dafür einen Prototyp, den sie später, nach ihrer Festanstellung, zu einem realen System ausbaute. Das war im Jahr 2009 und der Anfang ihrer Karriere.

Inzwischen ist Astrium Bremen in den internationalen Konzern Airbus Defence and Space aufgegangen – und Imen Hachani dort Entwicklungsingenieurin. Die 34-Jährige betreut mehrere Weltraumprojekte, bereitet Experimente vor, die die Astronauten auf der ISS durchführen, arbeitet beispielsweise an einer Software, die es den Astronauten ermöglichen soll, rein verbal mit ihrem Computer zu kommunizieren. Ihr Studium unter Frauen habe sie zu dem geführt, was sie sich vorgestellt habe: zu einem spannenden Job, in dem sie auch gut verdiene, sagt sie.

Kleine Kurse in guter Lernumgebung

Eher zufällig hat sie im Internet den Studiengang in Bremen entdeckt. Ihr gefiel, dass dort nur 30 und nicht 300 Studierende in einem Hörsaal sitzen, so wie an der Technischen Universität Braunschweig, wo sie als Gasthörerin Wirtschaftsinformatik studiert hatte. „Das fand ich toll“, sagt Hachani.

Dass der Unterricht in Bremen in den ersten drei Semestern nur unter Frauen stattfindet, hat sie zunächst etwas irritiert. „Geschlechtertrennung im Studium, das wünscht sich ja erst mal niemand“, sagt sie. Doch sie dachte pragmatisch, hielt es für eine gute Idee, das auszuprobieren. Gerade nach ihren Erfahrungen in Braunschweig, wo sie als eine von wenigen Frauen unter vielen Männern studiert hatte. Sie habe dort im Hörsaal immer alleine gesessen, erinnert sie sich. „Nicht nur die direkten Sitze neben mir blieben frei, sondern die ganze Reihe.“ Bis heute regt sie das auf. Sie habe gedacht, dass sich niemand zu ihr setze, weil sie aus einer anderen Kultur komme. Imen Hachani ist in Tunesien aufgewachsen. Bis ihr ein deutscher Freund erklärte, dass das wohl eher daran liege, dass sie eine Frau sei. Solche Situationen hat sie danach nie mehr erlebt. In der Arbeitswelt hat sie sich schnell akzeptiert gefühlt.

Im Studium in Bremen kam sie sehr gut voran. Die Bedingungen seien geradezu paradiesisch gewesen: kleine Kurse, in denen sie Fragen stellen konnte, Professoren, die sie mit Namen kannten und das Gespräch mit den Studentinnen suchten. „Hierarchien spielten keine Rolle“, so Hachani. Sie ist glücklich, das Studium absolviert zu haben. Dabei ist sich Imen Hachani gar nicht sicher, was für sie wichtiger war: die ideale Lernumgebung – oder das Studieren unter Frauen. Aber das spielt für sie letztendlich auch keine Rolle mehr. „Was zählt, ist das Ergebnis.“

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