Impact of Science

Wenn Biologie auf Informatik trifft

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Foto: Screenshot Helmholtz Gemeinschaft
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Ruft ein Biologe einen Informatiker an. Sagt der Biologe: „Ich habe dir gerade ein paar Daten geschickt, kannst du die bis morgen analysieren?“ Sagt der Informatiker: „Ich habe vorher noch mal eine Frage zu den Daten von vor ein paar Monaten: Die waren noch nicht ausreichend, kannst du noch schnell eine Zellkultur anlegen, damit wir da bald mehr haben?“

Fabian Theis und Timm Schroeder lachen. „So ungefähr lief es bei uns am Anfang. Nichtmathematiker denken gerne, dass sich das Analysieren von Daten per Knopfdruck erledigen ließe“, sagt Fabian Theis, Bioinformatiker und Direktor des ICB Institute of Computational Biology am Helmholtz Zentrum München und Professor an der Technischen Universität München. „Und bei uns Biologen glauben Fachfremde oft, so ein paar Zellen würden von selbst wachsen und im Zeitraffer“, sagt Timm Schroeder, Biologe und Professor am Departement für Biosysteme an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich). Die Sachen sind eben meist komplizierter und langwieriger, als sie von außen erscheinen. Aber wenn man es schafft, die Geduld aufzubringen, zahlt sich das umso mehr aus.

Herausragende interdisziplinäre Forschung

Ausgezeichnetes Forscherteam: Fabian Theis, Laleh Haghverdi, Timm Schroeder und Carsten Marr (von links)
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ausgezeichnete Forscher (Foto: Screenshot Helmholtz-Gemeinschaft)
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Vor wenigen Wochen haben Fabian Theis, Timm Schroeder und zwei Kollegen – Laleh Haghverdi und Carsten Marr vom ICB – den Erwin-Schrödinger-Preis 2017 erhalten, der mit 50.000 Euro dotiert ist. Der Stifterverband und die Helmholtz-Gemeinschaft vergeben den Preis gemeinsam für herausragende interdisziplinäre Forschung. Das Forscherteam hat gezeigt, wie sich aus den Daten einzelner Blutzellen deren weitere Entwicklung berechnen lässt. Das ist unter anderem deshalb phänomenal, weil Forscher sich bislang vor allem größere Zellpopulationen angeschaut und daraus auf die Entwicklung einzelner Zellen Rückschlüsse gezogen haben. „Man kann die Menschheit anhand eines Durchschnitts beschreiben, zum Beispiel sind Menschen etwa 1,70 Meter groß und haben hellbraune Augen. Aber so lernt man nichts über die Individuen. So verhält es sich auch bei Zellverbänden und einzelnen Zellen“, sagt Timm Schroeder. Also sah man sich die einzelnen Zellen an, filmte sie regelrecht, über einen längeren Zeitraum und wertete aus, was man sah. Das ist nichts, was sich mit Biologie oder mit Mathematik beziehungsweise Bioinformatik allein bewerkstelligen lässt. Es funktioniert nur durch die Kombination beider Disziplinen.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit, das bedeutet in erster Linie Brücken bauen. Und über diese Brücken Wissen und Fähigkeiten zu transportieren, um gemeinsam etwas Neues zu schaffen. Einer der mitunter amüsanten Nebeneffekte: Vor allem am Anfang weiß man nicht, wie das alles auf der anderen Seite der Brücke so aussieht und abläuft. Da kann man den anderen schon mal schnell über- oder unterschätzen und von zwei verschiedenen Dingen sprechen, wenn man eigentlich das Gleiche meint.

„Wir mussten erst mal eine gemeinsame Sprache finden“, sagt Timm Schroeder. Dabei war nicht nur der oft unterschiedliche Zeithorizont eine Quelle von Missverständnissen: Jede Seite musste sich eine Reihe von Basisbegrifflichkeiten des anderen Faches aneignen. Deshalb waren Theis und seine Mitarbeiter regelmäßig bei Seminaren und Arbeitssitzungen aus Timm Schroeders Bereich, umgekehrt war Schroeder bei Workshops und Kolloquien im Bereich der Bioinformatik.

Aber das war nach einhelliger Aussage von Theis und Schroeder keine Bürde, sondern eine Freude. Und die Motivation war und ist bis heute auf beiden Seiten hoch. „Bei der interdisziplinären Zusammenarbeit kann ich einerseits meine Expertise einbringen, andererseits bin ich Lernender, fast wie in der Uni, das ist eine wunderbare Verquickung von Wissen“, sagt Schroeder.

Gemeinsam komplexe Fragen beantworten

Alles begann mit einer Frage, die Timm Schroeder zusammen mit Fabian Theis formulierte: Was bewegt eine Blutzelle dazu, sich in einem von drei Subzelltypen weiterzuentwickeln? Was speziell klingt, trägt eigentlich eine der größten Fragen der Menschheit in sich: Wie kann sich aus einer einzigen Zelle ein hochkomplexer Mensch entwickeln? Dies ist bislang in vielen Aspekten noch völlig unklar. Dabei ist es nicht nur aus erkenntnistheoretischer Sicht höchst relevant. „Mediziner aus allen möglichen Fachrichtungen vermuten auch, dass hier bereits die Ursache für Krankheiten liegt, die erst weit später im Leben auftreten, darunter bestimmte Formen von Diabetes oder Schizophrenie“, sagt Theis.

Auf der Suche nach Antworten haben sich die Forscher unterschiedlicher Fachgebiete dann gegenseitig den Ball zugespielt, Hilfegesuche mit Hilfestellungen beantwortet. So hat Timm Schroeder die Wet Science übernommen, die „nasse Wissenschaft“, also die Laborarbeit mit Zellen, und auch die Software entwickelt, mit der die Daten gewonnen wurden. Dank neuer Technologien können hier Datensätze mit unglaublicher Geschwindigkeit gewonnen werden – und das zu einem Bruchteil der Kosten, die etwa vor zehn Jahren noch anfielen. Theis und seine beiden Bioinformatikkollegen Marr und Haghverdi haben dann diese Daten untersucht und analysiert.

Diabetes und Leukämie besser verstehen

So ging es hin und her, über Jahre. Finanziert wurde die Forschung aus mehreren Töpfen. In den ersten fünf Jahren konnte Theis das meiste noch über Mittel aus einem Helmholtz-Strukturprojekt bezahlen, der Systembiologie-Allianz. Als das Projekt auslief, mussten die Wissenschaftler von der eigenen Grundfinanzierung immer wieder etwas abzwacken, um das Projekt am Laufen zu halten. „Wir mussten Prioritäten setzen und zu denen gehörte unser Projekt“, sagt Theis.

Und es hat sich gelohnt. Nature, Nature Biotechnology, Nature Methods: In zahlreichen renommierten Fachmagazinen haben die Forscher bereits Ergebnisse veröffentlicht. Zusammengenommen haben sie das Wissen der Menschheit damit um ein kleines und sehr feines Stück erweitert: Heute lässt sich anhand der Erkenntnisse teilweise vorhersagen, wie sich einzelne Blutzellen entwickeln und warum sie das tun. Und wie so oft bei der Grundlagenforschung wird auch mit den Erkenntnissen des Forscherteams die Basis dafür gelegt, Krankheiten – in diesem Falle Autoimmunerkrankungen und Leukämien – besser zu verstehen und damit künftig auch besser behandeln zu können.

Eine solch fruchtbare und preisgekrönte Zusammenarbeit des Teams wurde natürlich wesentlich begünstigt durch die räumliche Nähe: Bis vor Kurzem arbeiteten alle vier Wissenschaftler im Helmholtz Zentrum München. Die Nähe ist jetzt nicht mehr gegeben, Timm Schroeder ist mittlerweile Professor an der ETH Zürich im Standort Basel und Laleh Haghverdi arbeitet am European Bioinformatics Institute (EMBL-EBI) in Cambridge. In engem Kontakt stehe man aber trotzdem noch, sagen Theis und Schroeder. Die interdisziplinären Brücken vor allem zwischen den beiden sind stabil – und allzeit bereit für neuen Austausch.

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Foto: Screenshot Helmholtz Gemeinschaft
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Das ausgezeichnete Forschungsprojekt im Video

„Die Probleme dieser Welt lassen sich nicht mehr bloß mit Physik oder Mathematik beantworten. Man braucht das Wissen aus vielen verschiedenen Fachgebieten.“
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