Lehrermangel

Machen MOOCS Schule?

Foto: [Domenico Loia[(https://unsplash.com/photos/DHq8C54g6Bs); CC0; via unsplash.com_bearbeitet
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Nina-Vanessa Warnecke blickt selbstbewusst in die Kamera. Sie erklärt, wie „Big Brothers and Sisters“ funktioniert, ein Patenprojekt an der Gesamtschule Weierheide in Oberhausen. Hier bilden die Kinder Trios aus vollintegrierten, teilintegrierten und Regelschülern und organisieren gemeinsam eine multikulturelle Spaßolympiade. „Wir fordern von ihnen ganz schön viel Arbeit und Anpassungsvermögen“, sagt Warnecke. Am Ende wird im Idealfall das angestrebte Ziel erreicht: der erfolgreiche Übergang von zugewanderten Kindern in den Regelschulbetrieb.

Nina-Vanessa Warnecke und die Oberhausener Gesamtschule sind nur eins von vielen Praxisbeispielen, das im Videokurs „Schule machen – Wege zum Bildungserfolg für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler“ vorgestellt wird. Er ist als sogenannter MOOC, kurz für Massive Open Online Course, im Internet zugänglich. Urheber ist Teach First Deutschland, eine gemeinnützige Bildungsorganisation, die sich seit 2007 für Chancengerechtigkeit im Bildungssystem einsetzt und zu diesem Zweck Hochschulabsolventinnen wie Warnecke als sogenannte Fellows zur Unterstützung des Lernens in Schulen in einem herausfordernden sozialen Umfeld qualifiziert.

Nina-Vanessa Warnecke (Foto: Screenshot)
Nina-Vanessa Warnecke (Foto: Screenshot)
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Nina-Vanessa Warnecke berichtet von ihren Erfahrungen an der Gesamtschule Weierheide in Oberhausen.

Lehrfilme mit praktischen Tipps

Foto: Teach First
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Entstanden sind die Lehrfilme als Folge eines Forschungsprojekts aus dem Jahr 2016: Es setzte am Übergang von sogenannten Willkommensklassen oder internationalen Vorbereitungsklassen in den regulären Unterricht an. Teach First Deutschland wollte in Zusammenarbeit mit dem Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration herausfinden, wie zugewanderte Schüler diesen Schritt meistern und was ihnen dabei helfen könnte. Aus dem Wunsch, die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Transfer auch für Praktiker zugänglich zu machen, sagt Susanne Frank, Senior Managerin bei Teach First Deutschland, entstanden dann im Jahr 2017 die ersten Lehrfilme, finanziell gefördert von der Haniel Stiftung und technisch umgesetzt durch die Lernplattform Lecturio.

Das Ergebnis sind knapp zwei Stunden Videomaterial. Die unterteilen sich in drei Module mit den Themen schulische und soziale Integration, Unterrichtsgestaltung sowie Kommunikation und Zusammenarbeit. Unterteilt sind sie wieder in kleinere Kapitel. Hier wechseln sich mündlich vorgetragene theoretische Informationen mit Interviews und Filmsequenzen ab, die den Zuschauer und die Zuschauerin mit in den Schulalltag nehmen: Schulleitungen kommen zu Wort und berichten von ihren Problemen, Fellows stellen ihre Projekte dar, die Kamera ist Zeuge im sprachsensiblen oder ritualisierten Unterricht. Gegenüber einem Seminar oder klassischem, textbasiertem E-Learning haben die MOOCs einen klaren Vorteil, meint Susanne Frank: „Sie sind deutlich handlungsorientierter als ein Fachartikel und ein ansprechender Weg, um Leute aus der Praxis zu erreichen.“

„Ich möchte gerne etwas zurückgeben, denn Bildung war meine Chance. “

Thuvaraka Thavayogarajah
Teach First-Fellow an der Gesamtschule Bad Lippspringe-Schlangen

Teach First Deutschland will die Videolerneinheiten im laufenden Schuljahr im Programm Echte Teilhabe! zur Ausbildung von Fellows einsetzen. Thuvaraka Thavayogarajah hat sie jetzt schon getestet. Die 33-jährige promovierte Biowissenschaftlerin war vorher in der Industrie tätig und ist seit einem Jahr als Fellow an der Gesamtschule Bad Lippspringe-Schlangen im Einsatz. „Ich möchte gerne etwas zurückgeben, denn Bildung war meine Chance“, sagt Thavayogarajah, deren Eltern vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka nach Deutschland geflüchtet sind.

In zwei Willkommensklassen trifft Thavayogarajah auf die ganze Vielfalt der Bedürfnisse: Da gibt es Schüler zwischen 10 und 15 Jahren, teilweise nur mit sprachlichen, teilweise auch mit großen fachlichen Lücken. Thuvaraka Thavayogarajah packt mit an beim Teamteaching, gibt Förderunterricht am Nachmittag, gestaltet eine Computer-AG und einen Einführungskurs Biologie. Das MOOC „Schule machen“, von dem sie während einer Fortbildung erfahren hat, ist dabei für sie ein nützliches Werkzeug, „weil man konkrete, praktische Anregungen bekommt“: zum Beispiel das Video, in dem eine Fellow berichtet, wie sie an ihrer Schule Lesepatenschaften am Nachmittag organisiert hat. „Ich überlege, so etwas in diesem Jahr auch an meiner Schule auszuprobieren.“

Kurze Lerneinheiten zum Wiederauffrischen

Auch die Theorievermittlung im Videoformat gefällt Thavayogarajah gut: „Kurze Lerneinheiten zum Wiederauffrischen.“ Gerade dafür, meint Susanne Frank, sind die MOOCs ideal: als Bindeglied zwischen Theorie und Praxis. Denn es geht nicht nur darum, Informationen aufzunehmen, sondern sie auch anhand der eigenen Erfahrung zu reflektieren: Wie behandelt meine Schule das Thema? Welche Möglichkeiten gibt es und was wird an der Schule am meisten gebraucht? Wie kann ich mich als Fellow und somit als zusätzliche Ressource am besten einbringen

Die Lehrfilme von Teach First Deutschland sind aber nicht nur für den Eigengebrauch gedacht. Der mehrdeutige Titel „Schule machen“ weist darauf hin, dass die MOOCs eine größere Zielgruppe im Blick haben: Sie seien interessant für alle Lehrkräfte mit dem Fach Deutsch als Zweitsprache, meint Susanne Frank, oder für Pädagoginnen und Pädagogen aus dem Bereich Integration und Sprachförderung, die mit zugewanderten Kindern arbeiten. Deshalb sind die Videolerneinheiten auf der Plattform Lecturio frei zugänglich. Auch für Lehramtsstudierende wären handlungsorientierte Lernfilme hilfreich. Könnte Teach First Deutschland in Zeiten, wo die Lehrkräftebildung in Sachen Praxisbezug auf dem Prüfstand steht, hier mit weiteren MOOCs etwas bewegen? Susanne Frank bleibt hinsichtlich solcher Ideen vorsichtig: „Wenn unsere Erfahrungen angefragt werden, gehen wir sicherlich gerne in einen konstruktiven Dialog.“

Netzwerk Stark durch Diversität

2018 haben Stifterverband und die Schöpflin Stiftung, gefördert durch die Stiftung Mercator, das Netzwerk „Stark durch Diversität – Förderung interkultureller Kompetenzen in der Lehramtsausbildung“ ins Leben gerufen. Darin kommen regelmäßig zehn Hochschulen zusammen, die zuvor im Wettbewerb „Spracherwerb stärken“ des Sonderprogramms „Integration durch Bildung“ ausgezeichnet wurden. Das Ziel: Gemeinsam mit weiteren Projekten und Institutionen über Best-Practice-Projekte und den Stellenwert von interkulturellen Kompetenzen in der Lehrerbildung auszutauschen.

2019 erschien zum Abschluss des Netzwerks die Handreichung „Lehrkräftebildung für die Schule der Vielfalt“. Die Publikation kann hier heruntergeladen werden.

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