Lehrermangel

„Für guten Unterricht muss man Zeit investieren“

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Susanne Bliemel (li.) und Mathias Hoffmann (Foto: Martin Magunia)
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Frau Bliemel, warum sind Sie Lehrerin geworden – hatten Sie Vorbilder?
Susanne Bliemel: Ich war immer von Neugier getrieben und mochte es schon als Schülerin, mir unbekannte Dinge zu erarbeiten und immer wieder neue Methoden zu entwickeln, wie ich sie anderen weitervermitteln kann. Den Ausschlag für meine Berufswahl gab aber – ganz klassisch – eine meiner Lehrerinnen, deren Unterricht mir immer gefallen hat und die sich sehr für ihre Schüler eingesetzt hat. Es gibt tatsächlich Studien, die belegen, dass viele Lehrer Dinge genau so oder ähnlich machen wie früher ihre eigenen Lehrer, deren Unterricht sie mochten. Deshalb sehe ich mich auch in einer Vorbildfunktion für künftige Lehrer.

Was sagen Sie als Referendar dazu, Herr Hoffmann?
Mathias Hoffmann: Frau Bliemel ist für mich genau das, was ich unter einer guten Lehrerin verstehe. Ich habe als Schüler aus ihrem Unterricht sehr viel für mich mitgenommen. Nie hatte ich das Gefühl, mich zu langweilen, im Gegenteil. Wir haben viel ausprobieren dürfen und viel gelacht. Frau Bliemel hat uns dabei immer signalisiert: „Ihr dürft Fehler machen und auch mal scheitern, denn daraus lernt ihr.“ Das hat sehr viel Druck von uns genommen. Und sie hat uns deutlich gemacht: „Ich bin nicht unnahbar, auch ich mache Fehler.“

Was ist für Sie demzufolge guter Unterricht?
Hoffmann: Jedenfalls nicht das, was ich selbst auf einem humanistischen Gymnasium erlebt habe, wo man mir hauptsächlich aufgezeigt hat, hat, was ich alles nicht kann. Erst als ich diese Schule verließ, eine Zeit lang in Norwegen zur Schule ging und dann anschließend in Crivitz Abitur machte, habe ich erfahren, dass Schule motivierend und kreativ sein kann.

Was verstehen Sie darunter?
Hoffmann: Es geht nicht nur um stures Auswendiglernen und Wiederausspucken. Das ist auf den ersten Blick der bequeme Weg für viele Lehrer und Schüler. Ich möchte die Schüler im Unterricht aus dieser vermeintlichen Komfortzone herauslocken.
Bliemel: Das sehe ich genauso. Gut ist für mich ein Unterricht, der die Schüler aus der „Blase Schule“ herausführt und sie dazu animiert, aktiv zu werden. Diese Methode funktioniert bei Siebtklässlern ebenso wie bei Abiturienten: Das Erlebnis, etwas gemacht zu haben, was man sich vorher vielleicht selbst nicht zugetraut hat, motiviert ungemein.

Ein Beispiel?
Bliemel: Ich habe in der Oberstufe eine Unterrichtseinheit über Macht und Menschlichkeit konzipiert. Wir haben nicht nur Texte und Gedichte gelesen und analysiert, sondern die Schüler mussten selbst Gedichte verfassen. Zuvor hatte ich die Schüler jeweils im Zweierteam eine Blindenführung durchs Schulgebäude simulieren lassen. Einer musste sich als „Blinder“ dem anderen anvertrauen und sich von ihm leiten lassen. Anschließend sollte jeder Schüler einen lyrischen Text über diese Erfahrung schreiben und veröffentlichen. In welcher Form und an welchem Ort, das war jedem selbst überlassen. Und in einer achten Klasse habe ich Schüler gebeten, etwas zu tun, was sie noch nie zuvor getan haben, und dann über ihre Erlebnisse zu schreiben. Spannend, was dabei herauskam!

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Foto: Martin Magunia
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Lehrer aus ganz Deutschland trafen sich im Herbst 2015 zum ersten Deutschen Lehrerforum auf der Hirschburg in Königswinter.

Raus aus der Komfortzone

„Es geht nicht nur um stures Auswendiglernen und Wiederausspucken. Ich möchte die Schüler im Unterricht aus dieser vermeintlichen Komfortzone herauslocken“

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Mathias Hoffmann (Foto: Martin Magunia)
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Mathias Hoffmann
Refrendar am Gymnasium „Am Sonnenberg“ in Crivitz. Er studierte Deutsch, evangelische Religion, Niederdeutsch und Norwegisch für das Gymnasial- und Grundschullehramt. Nebenher promoviert der 28-Jährige über die Vermittlung des Niederdeutschen im Unterrich

Das klingt nach einer aufwendigen Unterrichtsvorbereitung …
Bliemel: Ich bekomme ja auch viel zurück, wenn ich versuche, die Schüler dort abzuholen, wo sie sind. Das heißt zum Beispiel, dass ich im Unterricht Smartphones oder Tablets einsetze – man kann viel damit machen. Für guten Unterricht muss man Zeit investieren. Die ist für uns Lehrer fast noch wichtiger als die finanzielle Ausstattung.

Haben Sie diese Zeit denn?
Bliemel: Mit einer Vollzeitstelle und einem Stundendeputat von 27 ist es unmöglich, einen Unterricht zu machen, wie ich ihn mir vorstelle. Wer es versucht, manövriert sich an den Rand eines Burn-outs. Unsere Stundenzahl sollte generell reduziert werden. Ein frommer Wunsch, ich weiß. Deshalb habe ich mich vor drei Jahren entschlossen, Teilzeit zu arbeiten. Das müsste viel mehr Lehrern ermöglicht werden, damit sie sich die Freude am Beruf bewahren können. Denn seither habe ich wieder mehr Energie für kreative Ideen. Anders wäre es nicht möglich gewesen, gemeinsam mit meinem Mann unser niederdeutsches Lese- und Bilderbuch für die Leseförderung von Grundschulkindern zu schreiben – das dann wiederum Grundlage wurde für eine Lehrerfortbildung und für Unterrichtsmaterialien, die Mathias Hoffmann und ich gemeinsam konzipiert haben.

„Was wir unseren Schülern zugestehen, nämlich auch mal zu scheitern, sollten wir aber ebenso uns selbst zubilligen.“

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Susanne Bliemel (Foto: Martin Magunia)
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Susanne Bliemel
Lehrerin für Deutsch, Englisch, Russisch, Darstellendes Spiel und Niederdeutsch am Gymnasium „Am Sonnenberg“ in Crivitz

Können Sie sich mit Ihren Kollegen über Ihre Vorstellungen von gutem Unterricht austauschen?
Hoffmann: Wir haben zum Glück einen Schulleiter, der uns viel ausprobieren lässt. Es gibt aber auch viele Kollegen, die ganz anders ticken und mit unserem Unterrichtsstil nichts anfangen können. Darum war für uns das Lehrerforum eine schöne Erfahrung: Wir haben dort viele Gleichgesinnte getroffen, haben uns viele Anregungen geholt – und konnten im Gegenzug auch unsere gemeinsame Lehrerfortbildung vorstellen.

Haben Sie etwas „eingetauscht“, das Sie in Ihr eigenes Kollegium tragen können?
Bliemel: Ja, zum Beispiel die Erkenntnis, dass man eben nicht mit allen Ideen auch wirklich alle im Kollegium erreichen muss. Es kann viel sinnvoller sein, verschiedene Ausschüsse zu bestimmten Themen, die an der Schule weiterentwickelt werden sollen, einzurichten. Die Kollegen, die sich für einen solchen Ausschuss melden, müssen dann bis zur darauffolgenden Dienstversammlung erste Ergebnisse vorstellen. Das schafft Verbindlichkeit.

Was wünschen Sie sich noch?
Bliemel: Was mir oft fehlt, ist eine Atmosphäre der Offenheit. Zuzugeben, dass man mit seinem Unterricht nicht weiterkommt, ist unter Lehrern beinahe ein Tabu. Was wir unseren Schülern zugestehen, nämlich auch mal zu scheitern, sollten wir aber ebenso uns selbst zubilligen.
Hoffmann: Dafür braucht es Rückzugsorte. Die haben wir uns an unserer Schule in Form von kleinen Vorbereitungsräumen geschaffen, die jeweils von drei bis vier Kollegen genutzt werden. Und in diesem kleinen Kreis erzählt es sich viel leichter von Problemen als im großen Lehrerzimmer vor allen Kollegen. Wünschenswert fände ich es allerdings, wenn wir uns, auch schulübergreifend, gegenseitig einer regelmäßigen Supervision unterziehen würden. Doch das funktioniert leider noch nicht.

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Foto: Martin Magunia
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Das Deutsche Lehrerforum

16 Bundesländer, 16 Schulsysteme: Bildung in Deutschland ist Ländersache. Es gibt viele Unterschiede, aber auch ebenso viele Chancen, von diesen Unterschieden auch zu lernen. Auf dem Deutschen Lehrerforum, das der Stifterverband zusammen mit der Stiftung Bildung und Gesellschaft sowie weiteren namhaften Stiftungen und Vereinen veranstaltet hat, kommen deshalb Lehrer aller Fächer und Schulformen bundesweit zusammen. Das Besondere: Die Teilnehmer, die sich immer als Zweierteams (Tandems) beworben haben, gestalten die Inhalte selbst und formulieren zum Abschluss ihre Ideen für die Weiterentwicklung des Deutschen Lehrerforums.

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