Impact of Science

Wasserschutz: Abbaubare Medikamente

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Schaum, der sich vor Talsperren in Flüssen auftürmt – das war ein Anblick, der in den 60er-Jahren die Öffentlichkeit aufschreckte. Die Ursache waren schwer abbaubare Tenside in Waschmitteln, die sich seit Jahren über das Abwasser in Gewässern angereichert hatten. Die Politik reagierte bereits 1961 mit einem Gesetz zur Abbaubarkeit waschaktiver Substanzen, Chemieunternehmen brachten wenige Jahre später umweltverträglichere Tenside auf den Markt.

Diese Geschichte erzählt Klaus Kümmerer, Professor für Nachhaltige Chemie und Stoffliche Ressourcen an der Leuphana Universität in Lüneburg, gern, um zu beweisen: Wenn es um sauberes Wasser geht, ist ein Umsteuern möglich. Das will er auch mit seiner Forschung zu nachhaltigen Arzneimitteln erreichen. Mit einer Kombination aus Laboranalyse, Computersimulation und chemischer Synthese macht sich der Chemiker und Umweltforscher auf die Suche nach giftigen Abbauprodukten, die Arzneien nach der Einnahme und der Ausscheidung im Abwasser hinterlassen. Und er findet Wege, den chemischen Bauplan der Wirkstoffe so abzuwandeln, dass sie wie gewünscht im Körper wirken, am Ende aber in harmloses Kohlendioxid und Wasser zerfallen.

Rückstände im Wasser

Nicht jedes Medikament ist gefährlich für die Umwelt. Von den etwa 2.300 in Deutschland zugelassenen Humanarzneien trifft das nach Einschätzung des Umweltbundesamtes etwa auf die Hälfte zu. Anders als der Schaum sind ihre Rückstände allerdings nicht mit bloßem Auge sichtbar. Mit hochsensiblen Analysemethoden wurden seit den 90er-Jahren Spuren von mehr als 150 Wirkstoffen in der Umwelt gefunden, im Wasser in Konzentrationen von unter 1 bis zu 100 Mikrogramm pro Liter. Schon diese geringen Mengen können großen Schaden anrichten. Antibiotika beispielsweise, die sich in Flüssen und im Grundwasser anreichern, hemmen das Wachstum von Pflanzen und gelangen über Fische in die Nahrungskette – die Ausbreitung antibiotikaresistenter Keime ist eine langfristige Folge.

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Umweltfreundliche Medikamente

Als hochtoxisch für die Umwelt gelten Zytostatika – Zellgifte, die in der Chemotherapie zur Behandlung von Krebs eingesetzt werden. „Das Problem ist aber nicht nur, dass diese Substanzen selbst in mehrstufigen Klärverfahren nicht aus dem Abwasser herausgefiltert werden können. Wir kennen zu einem großen Teil nicht einmal die Abbauprodukte, die sich bilden, wenn die Stoffe in der Kläranlage oder der Umwelt nur umgebaut anstatt vollständig abgebaut werden“, sagt Klaus Kümmerer. „Das hat mich dazu gebracht, über nachhaltiges Design von Medikamenten nachzudenken“.

Um ein umweltverträgliches Zytostatikum zu entwickeln, kooperierte er mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Die Molekülstrukturen, die die Krebsforscher für einen neuen Wirkstoff vorschlugen, haben Kümmerer und sein Team in Computersimulationen geprüft: Wie reagieren sie auf Licht und auf Bakterien in der Umwelt? „Den medizinisch wirksamen Teil lassen wir unangetastet, alles andere wird durchvariiert“, erläutert Kümmerer die Vorgehensweise. Unter den Tausenden infrage kommenden Varianten wurde die medizinisch wirksamste und biologisch am besten abbaubare Molekülstruktur identifiziert und im Labor synthetisiert. Derzeit arbeitet das Team an umweltfreundlichen Versionen von Antibiotika und Betablockern – die blutdrucksenkenden Mittel gehören zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten.

Ausgezeichnete Forschung

Für seine Forschung wurde Klaus Kümmerer 2015 mit dem Wasserressourcenpreis der Rüdiger Kurt Bode-Stiftung geehrt. „Ich muss noch viel Überzeugungsarbeit leisten, deshalb ist der Preis so wichtig“, sagt Kümmerer. Bei der Arzneimittelentwicklung müsse in Zukunft der gesamte Lebenszyklus in den Blick genommen werden: von der Herstellung über die Einnahme und Wirkung im Körper bis zum Abbau in der Umwelt. „Bisher gilt in der Pharmaforschung die Regel: Der Wirkstoff muss eine möglichst lange Haltbarkeit haben, um Nebenprodukte auszuschließen“, moniert Kümmerer. Stattdessen sollte man einen flexibleren Ansatz verfolgen und unterscheiden, wo das Molekül reaktiv sein müsse und wo nicht. Handlungsbedarf sieht er auch in der politischen Arena: „Wir brauchen gesetzliche Regelungen, die Innovationen triggern“, so Klaus Kümmerer. Schnellere Zulassungsverfahren oder längere Patentlaufzeiten für umweltfreundliche Arzneiwirkstoffe könnten Unternehmen Anreize bieten. 

Um die Ressource Wasser zu schonen, hat Klaus Kümmerer nicht nur das nachhaltige Design von Arzneimitteln im Blick: Das Preisgeld von 100.000 Euro will er verwenden, um seinen Forschungsansatz auf weitere Substanzen auszuweiten.

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Klaus Kümmerer (Foto: Leuphana)
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Interview mit Klaus Kümmerer

Forschergeist: Im Podcast des Stifterverbandes spricht Klaus Kümmerer, Preisträger des Wasserressourcenpreis 2015, über die Belastung unserer Gewässer und wie eine nachhaltige Chemie das Problem an der Wurzel bekämpft.
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„Neben Arzneimittelrückständen gelangen auch Stoffe ins Wasser, die aus Textilien ausgewaschen werden“, sagt Kümmerer. Auch bei diesen Stoffgruppen wisse man noch nicht, wie sie in der aquatischen Umwelt wirken. Das Ziel, das er vor Augen hat, ist klar: Ob Antibiotikum oder Antischmutzausrüstung – der Stoff muss vollständig abbaubar sein.

Der Preis

Mit dem Wasserressourcenpreis zeichnet die Rüdiger Kurt Bode-Stiftung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft seit 2012 herausragende Strategien und Konzepte für die nachhaltige Nutzung der globalen Wasserressourcen aus. Der mit 100.000 Euro dotierte Preis wird alle drei Jahre verliehen. Ziel der 2009 durch den Hamburger Pharmazeuten und Unternehmer Rüdiger Bode gegründeten Stiftung ist die Förderung interdisziplinärer Forschung in den Lebens- und Naturwissenschaften.

Website der Rüdiger Kurt Bode-Stiftung
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