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Weiblich, männlich und generisch im Deutschen

Peter Eisenberg
Peter Eisenberg (Illustration: Irene Sackmann)
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In seinem bekannten Buch „Gender“ zeigt der britische Linguist Greville Corbett, dass die Genussysteme in den Sprachen der Erde semantisch fundiert sind. Stets existiert ein Kernsystem mit Kategorien wie göttlich/nicht göttlich, belebt/nicht belebt, menschlich/nicht menschlich, männlich/weiblich, ergänzt durch zahlreiche weitere Bedeutungsmerkmale.

Das Deutsche gehört zu den Sprachen mit einem einfachen, funktional verständlichen Genussystem. Jedes der drei Genera hat Eigenbedeutung. Alle zusammen erweitern die Ausdruckskraft unserer Sprache erheblich, ganz abgesehen davon, dass sie auch eine bedeutende Rolle für die Strukturierung größerer Einheiten wie Nominalgruppen und Sätze spielen.

Im Folgenden geht es um die Frage, welchen prinzipiellen (nicht detaillierten) Bezug die Genera des Deutschen in Personenbezeichnungen zu den Kategorien des natürlichen Geschlechts haben. Wir verwenden dazu „weiblich“ und „männlich“ im üblichen Sinn, daneben „generisch“ für sexuelle Orientierungen allgemein, das heißt auch solche außerhalb des binären Systems. Ein drittes Geschlecht ist generisch natürlich nicht. 

In allen Genera des Deutschen gibt es Wörter, die generisch sind, sich nicht auf Personen eines bestimmten Geschlechts beziehen lassen. Dazu gehören im Neutrum Baby, Kind, Genie, Mitglied, Ekel; im Femininum gehören dazu Person, Koryphäe, Leiche, Waise, Geisel und im Maskulinum Mensch, Fan, Säugling, Leichnam, Prüfling

In allen Genera gibt es aber auch Wörter, deren Bedeutung Bezug auf ein natürliches Geschlecht hat. Dazu gehören im Neutrum Weib, Girl, Reff und andere Schimpfwörter mit Bezug auf weiblich, im Maskulinum gehören dazu Mann, Junge, Bengel, Knabe, Kerl, Knecht, Greis mit Bezug auf männlich und im Femininum Frau, Göre, Matrone, Dame, Amme wieder mit Bezug auf weiblich.

Die Beispielwörter wurden beliebig und ohne Rücksicht auf ihre Form zusammengestellt. Viel zahlreicher sind aber Personenbezeichnungen, die mit einem Suffix abgeleitet sind. Die mit Abstand produktivsten sind -chen/-lein für Verkleinerungen und Kosewörter (Weibchen, Jungchen) im Neutrum, -er für Nomina Agentis im Maskulinum (Bäcker, Lehrer) und -in für weibliche Personen im Femininum (Greisin, Richterin). 

 

Peter Eisenberg
Peter Eisenberg (Illustration: Irene Sackmann)
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Spracharbeit

Dem Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg geht es seiner Kolumne Spracharbeit weniger um die eigene Behauptung im Diskurs, sondern eher um die Sprache selbst. Bevor gewertet wird, geht es erst einmal um das, was man heute über diese Gegenstände weiß, also um Tatsachen. In diesem Sinn möchte die Kolumne zur Aufklärung über den Zustand des Deutschen beitragen. Im Großen und Ganzen wird sich zeigen, dass diese Sprache sich in hervorragender Verfassung befindet. Was nicht heißt, dass es nichts an ihrem Gebrauch zu kritisieren gäbe. Immer bitten wir die Leserschaft um etwas Geduld. Die Sprache ist nun einmal kein ganz einfaches Gebilde, erschließt sich aber doch viel eher, als die verbreitete Furcht vor ein wenig Grammatik erwarten lässt. Und dann geht von ihr eine Faszination aus, die ihresgleichen sucht.

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„Zweifellos haben wir im Deutschen die Möglichkeit, viele, sehr viele maskuline Personenbezeichnungen generisch zu verwenden.“

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Peter Eisenberg (Foto: Jürgen Christ)
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Peter Eisenberg
Sprachwissenschaftler

Die drei Suffixe -chen/-lein, -er und -in bilden so etwas wie die produktive Kerngruppe zur Bildung von Personenbezeichnungen und damit für den Sexusbezug von Substantiven überhaupt. Beginnen wir wieder mit -chen/-lein

Es gibt Tausende von Personenbezeichnungen im Neutrum mit -chen/-lein, von Bäckerchen bis Männchen und von Dämchen bis Persönchen. Daneben gibt es zahlreiche Bezeichnungen für nicht menschliche Lebewesen sowie Unbelebtes, etwa Kätzchen, Bäumchen, Rädchen, Häuschen, die für unsere Fragestellung nicht direkt von Bedeutung sind. Sie sind wie die Personenbezeichnungen von Substantiven abgeleitet, das heißt, sie enthalten einen Bestandteil, der selbst Genus hat. Für -chen/-lein gilt die allgemeine Regel, dass abgeleitete Substantive in derselben Weise geschlechtsbezogen sind wie ihr Stamm. Also sind Kindchen, Menschlein, Persönchen generisch, Männchen, Knäblein haben Bezug auf männlich, Weibchen, Dämchen haben Bezug auf weiblich.

So lautet die allgemeine Regel für das Neutrum auf -chen/-lein, aber natürlich gibt es in einer Sprache mit langer Geschichte auch Abweichungen. Die bekanntesten sind Mädchen und Fräulein. Dass Mädchen als Bezeichnung für junge weibliche Personen verwendet wird und seinen Bezug auf Maid/Magd verloren hat, während Junge ohne Verkleinerung auskommt, ist Anzeichen für die unterschiedliche Sicht auf junge Personen beiderlei Geschlechts. Entsprechendes gilt für Fräulein, das ja leichter abzuschaffen war, als es bei Mädchen der Fall wäre. Versuche dazu gibt es natürlich. Auch Weib ist heutzutage negativ besetzt. Die spezielle Rolle des Neutrums für Personenbezeichnungen ist inzwischen gut untersucht (das Erna, aber nicht das Fritz, sondern nur das Fritzchen). 

 

Brief an ein „Fräulein“
Brief an ein Fräulein
Foto: Lupus in Saxonia, [CC BY-SA 4.0](https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0) via [Wikimedia Commons](https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/0e/%2BBrief_an_das_Fr%C3%A4ulein_-_Bild_001.jpg)
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Kommen wir zu den Maskulina auf -er. Auch bei ihnen gibt es zahlreiche Bezüge auf männliche Personen. Sagt jemand Der neue Bäckermeister verwendet nur Biomehl, dann ist bei normalem Verständnis ein Mann gemeint, ebenso bei Sätzen wie Dieser Lehrer gibt zu gute Noten oder Wir sollten eine Lehrerin und einen Lehrer zur Fortbildung schicken. Einen speziellen Bezug auf männlich thematisiert die Germanistin Damaris Nübling. Assoziationstests haben gezeigt, dass bestimmte Maskulina einen mehr oder weniger ausgeprägten Bezug auf männliche Stereotype haben: „Personenbezeichnungen wie Terrorist, Spion, Physiker, Lehrer, Sozialarbeiter, Erzieher, Kosmetiker haben also ein soziales Geschlecht, das unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann (…) So dürfte bei obiger Abfolge vom Terroristen bis zum Kosmetiker der Grad an männlicher Genderisierung abnehmen.“ Je weiter links ein Wort in der Reihe steht, desto eher denkt man bei seiner Nennung an Männer. 

Bei anderen Verwendungen von maskulinen Personenbezeichnungen ist das nicht der Fall. In Sätzen wie Wer geht heute zum Bäcker? oder Beim Italiener hat es nicht geschmeckt denkt man nicht an Personen eines bestimmten Geschlechts, die Verwendung der Maskulina ist generisch. Dasselbe gilt für Sätze wie Sechzig Prozent der Berliner Richter sind Frauen oder Immer häufiger werden Frauen als Spione eingestellt. Auch hier sind die Personenbezeichnungen generisch verwendet. Es gibt viele weitere Verwendungen dieser Art. Wir wollen sie hier nicht aufzählen. Zweifellos haben wir im Deutschen die Möglichkeit, viele, sehr viele maskuline Personenbezeichnungen generisch zu verwenden.

Das ist anders bei den Feminina auf -in. Wörter wie Lehrerin, Bäckerin, Anglerin haben das Bedeutungsmerkmal weiblich. Bei einer Wortreihe wie Terroristin, Spionin, Physikerin, Lehrerin, Sozialarbeiterin, Erzieherin, Kosmetikerin gibt es nicht unterschiedliche Grade weiblicher Genderisierung, auch wenn die Wörter unterschiedlich typisch für weibliche Stereotype sind. Ein generisches Femininum existiert im Deutschen nur für einzelne Wörter, wie sie oben genannt wurden, aber nicht bei produktiven Wortbildungstypen.

Als Kritik an den beschriebenen Fakten findet man am häufigsten die Behauptung, maskuline Wörter hätten generell das Merkmal männlich. Das ist offensichtlich unzutreffend. Und schon im Jahr 1980 machte Luise Pusch den Vorschlag, das vorhandene System durch eines mit offener Genusmarkierung zu ersetzen: der Lehrer (männlich), die Lehrer (weiblich), das Lehrer (generisch). Eine oft wiederholte Begründung dafür besagt, das vorhandene System sei unklar und unpräzise, weil es teilweise dieselbe Form der Lehrer für das Merkmal männlich wie für das Merkmal generisch verwende. Aber es kommt eben nicht nur auf die Form, sondern auch auf ihre Verwendung an. Und Puschs bis heute immer wiederholter Vorschlag weist eine noch höhere Zahl an Mehrdeutigkeiten auf. Die Form ein Lehrer beispielsweise ist sowohl Nominativ Maskulinum als auch Nominativ Neutrum, hat also sowohl das Merkmal männlich als auch das Merkmal generisch.

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