Sonstiges

Das Hackathon-Problem

Hackathon New York, Fall 2015
New York Hackathon 2015 (Foto: hackNY.org/ CC BY-SA 2.0)
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Angeblich gibt es nur zwei schwierige Probleme in der Informatik, und eins davon ist die Namensgebung. Manchmal werden auch drei Probleme genannt, dann ist das dritte die Frage, ob man mit der Zählung bei null anfangen soll oder bei eins. Aber die Suche nach dem richtigen Namen für einen Sachverhalt gehört nicht nur in der Informatik zu den großen unbequemen Aufgaben. Wer einen Studiengang oder eine Veranstaltung benennt, trifft eine weitreichende Entscheidung.

In den 1990er Jahren wurde an der Fachhochschule Hamburg der Studiengang „Bibliothekswesen” umbenannt in „Bibliotheks- und Informationsmanagement”. Eine ehemalige Studentin des Fachs berichtet: „Mit einem Schlag hatten wir plötzlich fünfzig Prozent Männer in den Kursen. Bis dahin waren es nur Frauen, pro Jahrgang von 50 Studenten vielleicht zwei Männer, und die in der Regel schwul. Das war der Normalzustand, bis sie den Studiengang einfach umbenannt haben. Es war am selben Ort, es waren dieselben Professoren, es war alles gleich bis auf den Namen. Als ich anfing zu studieren, gingen die Professoren in diesen Raum rein, guckten blöd, gingen wieder raus, guckten auf die Raumnummer, weil sie davon überzeugt waren, sie hätten sich im Raum geirrt und es wäre ein Ingenieursstudiengang.”

Dabei geht es nicht in erster Linie um den Frauen- oder den Männeranteil. Die Geschlechterverteilung ist nur ein Indikator, an dem man auf einen Blick ablesen kann, ob eine Veranstaltung eine stark und vermutlich ungewollt verzerrte Stichprobe aus dem Bevölkerungssegment angelockt hat, das man eigentlich ansprechen wollte.

Dale Dougherty, Mitarbeiter im US-Technikverlag O’Reilly, hegte 2005 ursprünglich den Plan, eine neu zu gründende Zeitschrift über das Selbermachen „HACK“ zu nennen. Seine Tochter war dagegen, weil „Hacken” für sie unattraktiv klang. Doughertys Argument, dass Hacken nicht nur Programmieren heißen muss, verfing bei ihr nicht, und so bekam die Zeitschrift den Titel MAKE. Die Diskussion um den Begriff des Hackens gibt es immer wieder bei der Benennung von Veranstaltungen und Veranstaltungsorten: Hackerspace oder Makerspace? Hack Day oder Open House? Hackathon, Code-a-thon oder ganz anders? 

 

Der Veranstaltungsname „Hackathon” enthält dabei gleich zwei Probleme: Aus der Sicht weniger hundertprozentiger Nerds gleich welchen Geschlechts deutet er an, dass man dort unerwünscht sein könnte, wenn man sich nicht selbst als „Hacker” definiert. Die Marathon-Komponente sagt, dass etwas sehr Langes und Anstrengendes geschehen wird, bei dem es um Ehrgeiz und Konkurrenz geht. Ein Begriff, der für einen engen Nutzerkreis genau richtig klingt, kann Interessierte außerhalb dieses Kreises abstoßen.

Ein guter Name ist wie Seife. Wie das Seifenmolekül sich mit seinem hydrophoben Ende an Fettiges anheftet und mit seinem hydrophilen ans Wasser, verbindet ein solcher Name zwei Bestandteile und hat daher das Potenzial, Interessierte aus mehr als einer Nische anzulocken. Eine alternative Bezeichnung für Hackathon ist „Codefest”. Darin stecken zwei neue Probleme: „Code” klingt nach kryptischem Geschehen, und „Fest” hat nichts mit der tatsächlichen Form der Veranstaltung zu tun. Aber immerhin ist es ein Name mit einem professionellen und einem einladenden Ende: Für ein Fest braucht man weder Ehrgeiz noch Siegeswillen. 

Auch Seifenmolekülnamen halten nicht ewig. „Webdesign” war Mitte der 1990er-Jahre ein beliebter Begriff, weil er das damals noch etwas entlegene, technisch konnotierte Thema Internet mit dem zugänglicheren Design verband. Dann wurde der Begriff „Web” mainstreamfähig, das einstmals respektable Webdesign trug jetzt einen Namen aus zwei weichen Bestandteilen und niemand wollte mehr Webdesigner genannt werden. Umgekehrt erging es dem „Software engineering”, das ursprünglich ebenfalls ein Begriff mit einem harten und einem weichen Ende war. Janet Abbate zeichnet in „Re-Coding Gender: Women’s Changing Participation in Computing” nach, warum der Begriff in den 1960er-Jahren eingeführt wurde: Softwareentwicklung war eine im Vergleich zum Hardwarebau statusniedrige Tätigkeit, die durch das „engineering” einen seriöseren Anstrich erhalten sollte. 

Kathrin Passig
Kathrin Passig (Foto: Susanne Schleyer/autorenarchiv.de)
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Ein Ticket wurde eröffnet

Wer Kathrin Passigs Texte im Techniktagebuch liest, erfährt von ihren recht häufigen Reisen, vorzugsweise nach Irland. Dort schlägt sie sich nicht selten mit den Besonderheiten des Mobilfunks herum oder ergründet das kryptische Postleitzahlen- oder nicht vorhandene Hausnummernsystem. Ohnehin sind die Kapriolen der Technik offenbar ihr Herzensthema und charmante Betrachtungen wie z.B. über die hin und wieder zu erlebende Änderung der Wagenreihung bei der Deutschen Bahn lassen unvermittelt an den großen Jaques Tati denken. Doch wo Tati den Tücken des Technischen konsequent und humorvoll-linkisch erlag, findet Kathrin Passig immer einen souveränen Zugang zu den Unergründlichkeiten der postmodernen Technikwelt. Technik - so lernt man bei ihr - ist weder gut oder schlecht: Es kommt nur darauf an, wie man sich ihr nähert. Technik muss uns nicht immer so schrecklich ängstigen, sie muss uns aber auch nicht besoffen machen. Manchmal ist Technik ärgerlich und oft einfach nur komisch - in jedem Falle aber lohnt es sich, über sie nachzudenken. Darüber schreibt Kathrin Passig hier eine Kolumne, die den verheißungsvollen Titel Ein Ticket wurde eröffnet trägt. 

Mittlerweile ist Software sozial aufgestiegen, und “Software engineering” ist ein Begriff mit zwei seriösen Enden geworden. Die Entscheidung für die Ingenieursmetapher „may have had adverse consequences for women's participation”, vermutet Abbate angesichts des zur selben Zeit stark zurückgehenden Frauenanteils in der Informatik.

Allgemeinere Formulierungen wie „Make” statt „Hack” oder das Einklinken „weicher” Begriffe wie „Medien”, „Design” oder „Kommunikation” in einen Namen bereitet den Anhängern der ursprünglichen Bezeichnungen oft Sorgen: Der Studiengang oder die Veranstaltung könnten zu viele Leute mit den falschen Qualifikationen anziehen und diejenigen mit den erwünschten Qualifikationen vergraulen. Als 2012 an der Hochschule für Telekommunikation Leipzig die Studiengänge „Telekommunikationstechnik” und „Nachrichtentechnik” in „Kommunikations- und Medieninformatik” und „Informations- und Mediendesign” umbenannt wurden, erhoben sich Proteste: „Mit diesen begrifflichen Mogelpackungen verlieren Hochschulen (…) genau das Klientel an Studenten, das schon eine gewisse fachliche Reife mitbringt.” Ausgrenzung per Namensgebung muss nicht aus bösem Willen geschehen, sie kann hilfreich sein für Interessierte, denen die nötigen Vorkenntnisse fehlen. Aber Veranstalter, die nicht nur in ihren Pressemitteilungen so tun als ob, sondern wirklich gern ein etwas breiteres Bevölkerungsspektrum ansprechen möchten, tun gut daran, Nachdenken in die Namensgebung zu investieren. Eben wie in der Softwareentwicklung auch.

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