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Richard Socher – der verantwortungsvolle Überflieger

Podcast-Cover mit Richard Socher - Durchfechter-Podcast
Illustration Sven Sedivy
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Richard Socher ist ein Überflieger. Die Universität Stanford zeichnete seine Doktorarbeit 2016 mit dem Computer-Science-Thesis-Award aus. Sie wurde ein großer Erfolg, auch weil der junge Informatiker gleich zwei Koryphäen als Doktorväter gewinnen konnte: Christopher Manning und Andrew Ng. Manning ist weltweit der meistzitierte Wissenschaftler für Sprachverarbeitung und Ng wohl mit der wichtigste Pionier für maschinelles Lernen. 

Socher brauchte beide, denn es gab damals noch keine Wissenschaftler, die seine Forschungsidee hätten komplett betreuen können. Ihm blieb nur die Variante 50/50. Dass sich Manning und Ng darauf einließen, zeigt, wie überzeugend Socher sein kann. Er erinnert sich noch gut. Beide seien offen gewesen zu sagen: „Ich kenne mich zwar in der Hälfte Deiner Forschungsarbeit nicht aus. Aber lass uns das zusammen lernen und etwas Neues entwickeln.“ 

Das ist etwas Besonderes, gerade bei etablierten Professorinnen und Professoren. Wer sich über Jahrzehnte hinweg tief in ein Forschungsfeld eingearbeitet hat, fängt selten zusätzlich ein komplett neues Gebiet an. Socher konnte jedoch durch Manning und Ng schon früh hautnah erfahren, was möglich wird, wenn man das Gegenteil tut und neue Schnittmengen zwischen Forschungsfeldern aufbaut. Dann wird es einerseits richtig spannend. Andererseits kann es aber auch kontrovers werden, wenn eigene Forschungserfolge Entwicklungen anstoßen, die ganze Wissenschaftszweige quasi über Nacht ziemlich alt aussehen lassen.

„Die momentane industrielle Revolution basiert auf Informatik, Computern und Künstlicher Intelligenz. Und Deutschland hat in diesen Feldern momentan leider nicht viel Einfluss in der Welt. “

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Richard Socher (Foto: privat)
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Richard Socher
Informatiker und Startup-Gründer

Linguistik und Informatik

Im Fall von Richard Socher und seinen Doktorvätern war dieses Neue die Möglichkeit, dass Maschinen nicht nur Bilder, sondern tatsächlich auch Sprache selbst lernen können. Das galt über viele Jahre hinweg als sehr umstritten. Schlichtweg deshalb, weil Sprache sich schlecht in Logik und Mathematik hineinpressen lässt – sie ist einfach zu komplex und hat zu viele Ausnahmen, Interpretationsebenen oder Gewichte. Der Computer aber wird über Logik und Mathematik programmiert.  

Deshalb definierte man Anfang der 2010er-Jahre noch lange Wortlisten und entsprechende Merkmale für Computersysteme, um der Maschine Sprache beizubringen. Die Expertinnen und Experten taten es also „zu Fuß“ und nicht automatisch. Socher wagte sich weiter vor. Er nahm die Ideen und Forschungserfolge für neuronale Netze im Bildverstehen und projizierte diese so, dass sie auf das sprachliche Verstehen angewendet werden konnten.

Noch heute schwärmt der 39-Jährige davon: „Das war super stark, dass wir als Forscherinnen und Forscher alles in einen multidimensionalen Vektorraum projizieren konnten und wir die KI dann selbst verschiedene Wörter in bestimmte Bereiche dieses Raumes projizieren ließen.“ Die maschinellen Systeme lernten so alle möglichen Interaktionen von Wörtern – alleine mithilfe von Trainingsdaten und ohne menschliche Experten. 

Das kam nicht bei allen gut an, wovon sich Socher allerdings nicht beirren ließ. Viele seiner Paper wurden von genau den Forschungsgruppen abgelehnt, die noch eigenhändig Wortlisten und Kennzahlen definierten. Doch das Neue ließ sich nicht mehr einfangen und suchte sich Umwege um diese Gruppen herum. Heute sind neuronale Netze für Sprachverarbeitung gängige Praxis – weil das automatische Lernen um so viele Längen besser und schneller klappt, als das Programmieren zu Fuß. 

Perfekt sind solche Lernsysteme deshalb noch lange nicht – wer könnte das besser wissen als Richard Socher. Denn die Maschine lernt alle Vorurteile, blinden Flecken, Einseitigkeiten oder Übertreibungen mit, die in Datenbeispielen stecken können. Man nennt dieses Problem „Bias“. Deshalb sind aus seiner Sicht sehr gute Datensätze außerordentlich wichtig. Und solche Datensätze zu definieren, aufzubauen und zu pflegen werde als Aufgabe vielerorts eher noch unterschätzt. 

Bessere Daten für die Forschung

Die Arbeit von Richard Socher zeigt: Maschinelles Lernen ist auf gutes Datenmaterial angewiesen. Allerdings sind Daten aus der realen Welt in der Forschung oft Mangelware. Andere Sektoren hingegen verfügen über wertvolles Datenmaterial, zum Beispiel die Wirtschaft. Doch die Bereitschaft und die Möglichkeiten, Daten zu spenden und oder mit der Forschung zu teilen, sind nicht groß. Mal sprechen Betriebsgeheimnisse dagegen, mal sind die Daten nicht kompatibel mit den Anforderungen in der Forschung. 

Mit der Datagroup Business 2 Science hat der Stifterverband einen Initiativkreis aus Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen initiiert, der das Thema Daten(nach)nutzung weiterentwickelt. Die Gruppe diskutiert die Bedingungen, unter denen bessere Datenteilhabe möglich wird. Ziel ist es, das „Datenökosystem“ in Deutschland insgesamt weiterzuentwickeln.

Mehr zur Datagroup Business 2 Science

Wenige innovative deutsche Firmen mit KI-Bezug

Für den deutschen Mittelstand können die fehlenden Datensätze gar zum Problem werden. Einen Ausweg erläutert der Informatiker im Durchfechter-Podcast. Ihm liegt viel daran, die deutsche Wirtschaft diesbezüglich mehr wachzurütteln. Denn viele wichtige KI-Erfindungen seien schon gemacht und stünden bereit. 

Socher spricht von einem dualen Modus, in dem sich die KI gerade befinde. Auf der einen Seite gebe es noch Forschung, um zur allgemeinen Künstlichen Intelligenz zu kommen. Dieses Ziel sei aber noch sehr abstrakt und weit entfernt. Auf der anderen Seite habe KI jetzt einen Status wie die Elektrizität. Die sollte in ihren Anfängen Gaslampen ersetzen, habe aber auch den Motor möglich gemacht und so vieles mehr.

Es sei also an der Zeit, sich ernsthaft zu fragen: Wird KI meine Industrie komplett über den Haufen werfen oder sie nur ein bisschen effizienter machen? Richard Socher verdeutlicht dies gerne am autonomen Traktor der Zukunft. Er hat schon Agrarwirtschaftsroboter gesehen, die gezielt kleine Spritzer Pestizid auf einzelne Unkräuter schicken können oder sie mit Hilfe kleiner Laserblitze verdorren lassen. Auch das Bewässern werde in Zukunft mit solchen Robotern sehr effektiv. 

Effektivität bedeute jetzt: mit KI. Das zu verinnerlichen, brauche etwas Zeit, sagt Socher. Er sorgt sich etwas, dass Deutschland in der momentanen, durch KI ausgelösten industriellen Revolution nur wenig Einfluss habe. „Es werden leider bislang nur wenige innovative deutsche Firmen mit KI-Bezug gegründet, die die Welt verändern und vernetzen wollen.“ 

„Man kann die Künstliche Intelligenz mit der Elektrizität vergleichen. Die sollte zunächst nur die Gaslampe ersetzen. Plötzlich waren damit auch andere große und folgenreiche Erfindungen möglich, wie der Motor.“

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Richard Socher (Foto: privat)
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Richard Socher
KI-Forscher und Suchmaschinen-Entwickler

Eine bessere Alternative zu Google

Er selbst ist ein überzeugter Gründer geworden. Hierfür lehnte er sogar nach der Doktorarbeit eine Assistenzprofessur an der Universität in Princeton ab. Statt Professor zu werden, gründete Socher seitdem mehrere Start-ups mit KI-Bezug. 

Nun steckt er als Gründer und CEO von you.com immens viel Kraft in das Vorhaben, eine bessere Suchmaschine für die Welt aufzubauen. Das Ziel könnte kaum höhergesteckt sein: you.com soll eine ernsthafte Alternative zu Google werden, indem sie den Nutzerinnen und Nutzern viele Rechte und Entscheidungsfreiheit zurückgibt und ihnen nicht unnötig die Zeit stiehlt. Denn Google sei längst nicht mehr der freundliche Weiterleiter ins übrige Internet, sondern ziehe die Menschen aus ökonomischen Gründen immer häufiger in Aufmerksamkeitsschleifen hinein, berichtet Socher.

Das soll auf you.com nicht passieren. Und es ist ihm durchaus zuzutrauen, dass er vieles von dem schafft, was er sich vorgenommen hat. 45 Millionen Dollar Wagniskapital hat der Deutsche bereits bekommen und die Entwicklungsarbeit längst begonnen. Welche Ideen es für you.com gibt – auch darüber erzählt er im Durchfechter.

 

Es schwingt etwas Wahrhaftiges mit, wenn Richard Socher sagt: Er möchte die Welt verbessern. Nur von Bühne zu Bühne mit der einen großen Gründergeschichte zu reisen, ist nicht sein Ding. Er packt vieles an und gestaltet, wo er kann. 

Das zeigt er auch außerhalb der Arbeit. Seinem ehemaligen Gymnasium Dresden-Plauen sponserte Socher ein Schüler-Innovationszentrum – natürlich mit IT- und KI-Schwerpunkt, weil sie so wichtig sind. Auch bei der durch das Bundeskanzleramt angestoßenen Initiative „Makers of Tomorrow“ wirkt der Informatiker mit. Diese Initiative macht Studierende mit Unternehmertum vertraut und soll sie für die Start-up-Welt begeistern.  

Socher ist wichtig, dass das Investitionsökosystem in Deutschland stärker wächst, damit Ideen aus der Forschung tatsächlich in die Industrie reinkommen können. Er bietet den jungen Menschen eine Abkürzung an: Forschende mit einer innovativen Idee können sich über den von ihm gegründeten Venture Fund „AI+X“ direkt an ihn wenden.

Was Richard Socher verändern kann, das tut er auch. Und wenn er etwas erreicht hat, überlegt er ziemlich schnell, was er als nächstes angehen kann. Von sich selbst sagt der Gründer, er sei immer auf der Suche nach Aufgaben, bei denen er die größtmögliche positive Veränderung bewirken kann. Hierfür zoomt er gerne aus dem System heraus und studiert mit mehr Abstand das große Ganze.

Wie befreiend eine Vogelperspektive sein kann, demonstriert der KI-Experte eindrücklich auch an ganz anderer Stelle. Ein Video auf seiner Homepage zeigt, wie er mit einem Motorgleitschirm über Dutzend atemberaubende Landschaften fliegt. Socher gleitet mühelos, aber auch abenteuerlich durch enge Schluchten und an hohen Felswänden vorbei, während hinter ihm der Motor beruhigend knattert. Wer ihn so sieht, kann sich kaum vorstellen, dass er einmal Höhenangst hatte. Wenn der 39-Jährige niedrig über Seen und Flüsse fliegt, streift er immer wieder mit seinem Sneaker die glitzernde Wasseroberfläche.

Dieses Bild passt sehr gut zu ihm: ein Überflieger, der spielend leicht geerdet bleibt.

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Illustration: Sven Sedivy
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Durchfechter: Stimmen der Veränderung

Es sind die ungewöhnlichen Menschen, die mit Ecken und Kanten, die uns inspirieren. Es sind Menschen, die sich nicht so schnell entmutigen lassen, die manchmal große Umwege gehen, um ans Ziel zu kommen, oder nach herben Rückschlägen einfach noch einmal von vorne beginnen. Es sind die Stimmen der Mutigen, der Aufmüpfigen, der Unruhestifter, die uns mit ihrem Vorbild weiterbringen. Solche Menschen erzählen im „Durchfechter“-Podcast von ihren Erfahrungen, ihrem Antrieb, ihren Zweifeln und Hoffnungen.

Im Stifterverband haben wir uns – neben anderem – der Innovation verschrieben: Die „Durchfechter“ helfen uns zu verstehen, wie das Lernen funktioniert, wie man Dinge voranbringt oder was es bedeutet, etwas ganz Neues zu schaffen. Die Stimmen der „Durchfechter“ sind Inspirationsquelle für alle, die davon überzeugt sind, dass nur, wer ständig an sich arbeitet, Dinge verbessern kann. 

Durchfechter gibt es auf allen gängigen Podcast-Plattformen. 

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